Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

n den Weltanschauungen der Denber, in den Keligionen der 
Oölker sind des Menschen Antworten zu Formen der 
ODerfestigung geworden, denen ein ganz Neues nicht mehr 
zugefügt werden kann, weil alle dem Menschengeist möglichen 
Vege auch von ihm schon eingeschlagen sind. Neue Oer⸗ 
znotungen, Verknüpfungen und Verflechtungen mögen sich 
sügen — dem Wesen nach hat der Mensch schon alles gesagt 
und gedacht, was zu sagen und zu denken er fähig ist. 
Merkwürdige Einsichtl Ja, der Gelehrte vermag wirkblich, 
venn er sich müht, alles zu besitzen, was in den Denb⸗ 
nöglichkeiten des Menschen liegt — und so könnte er dem 
Wesen nach am Ende alles Wissens angelangen? Am Ende 
des Menschenwissens — jal Keine Neugier, kbeine Sucht 
nach Nichtdagewesenem wird den mehr quälen, der das 
erkennt; fast könnte man glauben, daß alle Philosophie 
ausgerungen hätte, daß das Drängen der Geister in diesem 
Wijssen sich zu stillen vermöchte. Aber da gehen von der 
einförmig geraden Straße des Wissens all die Wege und 
Pfade ab, die in die Wiesen und Wälder, zu den Hõhen 
und in die Abgründe des Lebens und Erlebens führen, 
wo im unendlichen Wandel und Wechsel ewig neu sich 
schaffend die Schöpfung immer wieder das einmal Einzige, 
nie Gewesene, nie Wiederbehrende in quellendem UÜber⸗ 
strömen dem Urgrund alles Seins enttauchen und wieder 
in ihm schwinden läßt; vom Wissen führt dem Lebendigen 
der Weg zum Schauen, und im Leben selbst gestaltet sich 
hm alles ewig neu. 
Die Höhen schieben sich näher zusammen, das Tal, in 
dem die Straße emporsteigt, wird schmäler. Graubraungrün 
träumen im Lichte der Mittagssonne die Wiesen im feuchten 
Grunde, zahlreiche feine Wasseradern und kleine Kinnsale 
fügen sich zu einem stärker abwärtsströmenden Sachlauf 
zusammen, und an vielen Stellen haben sich bleine Soeen 
gebildet, die das Wiesenland überschwemmen, und in denen 
sich die tiefe Bläue des Himmels spiegelt. Der Name des 
Dorfes, durch das eben der Weg führt, erzählt davon, daß 
hier voreinst ein Kloster gestanden hat. Seine Spuren sind 
bom Erdboden verschwunden. Aber es ist, als ob der stille 
Ort, die Gesamtheit der Umgebung, die nahe sich heran- 
schiebenden Wälder, der leise rinnende Bach, die sanft- 
uisteigende Berglehne, von der aus über vielgestaltige 
Kuppen und Hügel und über die sich dehnende Talmulde 
der BSlick ruhig in eine weite, himmelüberspannte Ebene 
geht, als ob in all dem noch etwas wie ein unvergessenes 
Erinnern daran lebte, daß hier in .längst entschwundenen 
angen Jahren Hunderte von Menschen in stiller Abwendung 
oon der rauschenden Welt da draußen Frieden und Kuhe 
gesucht und nach, wer weiß wieviel Not und Kampf, wohl 
uch manchmal gefunden haben. Vergangen und versunken 
auch dies, die Klostermauern abgetragen, vergessen die Namen, 
verschwunden die Gräber, und doch an dieser Stätte, in 
diesem Tal ein Erinnern, das wie ein feiner Hauch über 
dem Bilde des Ganzen schwoebt. 
Der Wald tritt zu beiden Seiten an die Straße heran, 
und in Windungen und Biegungen führt sie weiter. Hoch- 
ragende Tannen tragen den Schmuck ungezählter Tannen- 
zapfen, die im Sonnenschein in leuchtendem Gelbbraun 
zwischen dem Grün der Wipfel und dem Himmelsblau stehen, 
zwischen Buchenstämmen und Eichbäumen fließt über kahles 
Gezweig lichter Sonnenschein zum feuchten Boden, und das 
zroße Schweigen des hellen Mittags ist über Wald und 
Sergland gebreitet. Die langgedehnte Waldwiese, die hier 
in einem schmalen Tal abwärts zieht, und auf der im Früh— 
ling alle Herrlichkeiten eines Blütenmeeres sich enthfalten, 
liegt noch schläfrig im Halbschatten, und über sie und durch 
ie hin fließt es und rinnt es, weicht es den Boden und 
sckert in ihn hinein. Wie wäre es, wenn in dem Dickicht, 
as überall an die Straße grenzt, einer oder ein paar 
Zerle warteten, einen wehrlosen Wanderer zu überfallen, 
uszuplündern und still zu machen? AUnmöglich ist's nicht, 
ind seit den Tagen des Ibikus ist es ja bekbannt, daß der 
Zaubmord im Walde für die Käuber sich zunächst lohnen 
ann, und die Triebentfesselung unserer Tage hat ja auch 
iese plumpste Form des Faustrechts wieder ordentlich in 
en Schwung gebracht. Es ist aber ja nicht nur hier, in 
er großen Waldeinsambeit, daß in aller Herrlichbeit der 
datur gemeine Gefahr lauern kann — üũberall umgeben uns 
zedrohungen, Vernichtungsmöglichkeiten, den Einen wie den 
Indern. Wie Lommt es, daß der Eine, den Aberlegungen 
olcher Möglichbeiten hingegeben, Furcht und Grauen emp- 
ndet, während der Andere, auch um die Möglichbeit der 
Zefahren wissend, ruhigen, blaren Blickes, heiteren Herzens 
nd sicheren Schrittes durch sie geht, ganz einerlei, ob er 
hnen zum Opfer fällt oder nicht? Da steht wieder einer 
ner Widerstreite, den kein Grübeln und bein Sinnen be⸗ 
itigen, Leine Vernunft lösen kann: Sestimmung und Frei⸗ 
eit Der eine denknotwendige Satz sagt: Aus der Ge— 
imtheit aller Urjachen ergeben sich unentrinnbar alle Folgen 
n ihrer Gesamtheit, und wenn in den Oerbnüpfungen des 
ßeschehens, in Ursache und Wirkung eine bestimmte Folge 
egründet ist, dann tritt sie ein — mit anderen Worten: 
du kannst dem nicht entrinnen, was als dein Schickjal be⸗ 
immungsgemäß in der Gesamtlage der Welt für dich fest 
elegt ist. And andererseits fühlst du mit Gewißheit: es ist 
twas in dir, was wählen bann, was beine andere Sindung, 
ls dein eigen Wesen hat, das sich für oder gegen etwas 
u entscheiden und in der Entscheidung frei zu jein vermag. 
tie wird ein Wissender hier die Lösung finden. Eines nur 
ann alles Beklommensein, alle Furcht überwinden, bann 
en Menschen ruhig und sehend in jede Gefahr gehen lassen: 
er Glaube an den Sinn des Seins. Hätte ohne diesen 
zlauben irgend ein Opfer nur den geringsten Wert? Hätten 
hne ihn im Weltkrieg Millionen Männer auf allen Seiten 
laren Sinnes in die Hölle der Großbämpfe ziehen können? 
Vas dir bestimmt ist, darin erfüllt sich ein Sinn, der dein 
zelbst überschreitet und dich damit unlöslich mit den wirken- 
en und schaffenden Kräften des Weltengrundes verbnüpft. 
Iin diesem Glauben kannst du beides sein: furchtlos und treu; 
r bann dir helfen, das Ich und die Welt zu überwinden. 
Schon hat die Sonne die Mittagshöhe überschritten. 
zwischen hohen Stämmen dunbkbler Tannen wird es licht, 
ind es schimmert freies Gelände durch. Aus dem Dunbel 
wischen Jungtannen flattert ein leuchtend gelber Sitronen- 
alter im schwanbenden Fluge vorüber, ein goldbrauner Lauf⸗ 
äfer kreuzt den Weg. Wo werdet ihr Frũherwachten die 
dahrung finden, die ihr braucht? Der Wald endet, freies 
dand, äckertragende Hügel, Talmulden liegen vor dem 
Zlick, und jenseits steigen wieder bewaldete Höhen empor. 
feucht schimmert das Erdreich, silbrig fließt das Sonnenlicht 
ber Ackerschollen hin, die der Pflug in den letzten Tagen 
ewendet hat, ein leises Atmen haucht durch den —R 
essen herber Duft mit feinstem Dampf zusammen aus den 
zurchen aufsteigt; und das Sonnenlicht saugt den Dampf 
mpor und löst ihn in warmer, lichter Luft auf. Auf andern 
Ackern steht im hellen Grün die Wintersaat, ihre Hälmchen 
einken sich satt aus dem Boden, der vom Schmelzwasser 
urchtränbk ist, und schnellwachsend schieben sich gleichzeitig 
hre Würzelchen im sanft gelockerten Erdreich weiter. Hier 
edet und raunt alles vom Geschehen in der Natur und 
einem ewigen Ineinandergreifen. Lebendiges Werden ist.
	        
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