Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Heimat · Schollen 
Slätter zur Pflege hessischer Art. Geschichte und Heimatkunst 
Nr. 6/ 10280Epeme Donatch Vrguptais l2 Du im icgtelsahen eimoh orte rahere 
5. Jahrgang 
Vorfrühlingy õ DVon Carl Hacberlin. 
Vor drei Tagen hatte in der Abenddämmerung unter 
ief graublauem Himmel der Wald in Dusft und Dampf 
gestanden. Die schnell nach der langen, harten Frostzeit 
eingetretene Wärme hatte die großen Schneemassen geschwind 
zum Schmelzen gebracht, und nur an den Nordhängen lagen 
noch größere, zusammenhängende Schneefelder; nach Morgen, 
Mittag und Abend zu hatte die Sonne fast alles weg- 
geschmolzen, und reichlich verdunstende Wassermassen hatten 
sich als Nebel emporgehoben und zu Wolkben wieder zu— 
sammengefügt. Überall in Wald und Busch war ein Kinnen 
und Kieseln, ein leises Gurgeln und Glucksen, ein Fließen 
und Tropfen; kleinste Kinnsale zogen durch Moos und 
Gras, weich und schlammig war die Erde auch unter den 
dichten Massen der braunen Buchenblätter, überall lockerte 
ich der Boden, und Graugrün, Grau und Braun erschienen 
wieder, wo vorher all der lichte Glanz von Schnee und 
Kälte leuchtend gestanden hatte. Noch ein paar Tage 
rüher, und unter einer dichten Schneedecke schien alle 
Natur tief zu schlafen; eisiger Ostwind hielt Luft und Himmel 
tlar, und vom reinen Firmament flossen ungeheure Mengen 
wveißblauen Lichts durch die Atmosphäre und über die 
schweigenden schneeigen Felder und Wälder hin, eĩin Glänzen 
und ein Strahlen, das das Auge kaum zu ertragen ver— 
mochte und das ein Gefühl unsagbarer Keinheit der ganzen 
Natur weckte. In blarem, scharfem Licht stand Näheres 
und Ferneres; der einzelne Baum und ganze Berge warfen 
blaue Schatten, und in ein auf Erden fast nie erschautes 
Leuchten war die Ferne verblärt. Atherreine Luft wehte 
dem Berganstrebenden aus den Höhen entgegen, und es 
war, als ob eĩin heiliger Hauch, ein Hagion Pneuma, in 
ihn einginge, wenn die in der Arbeit des Steigens sich 
Aus Carl Haeberlin: Blätter aus meinem Lebensbuche, HeimatschollenVDerlag. 
veitenden, luftverlangenden Lungen den sonnendurchfluteten 
Vind voll in sich einsogen. Und wer in nächtiger Stunde 
inausging über leise lirrenden Schnee, auf dem das sanfte 
ꝛicht der Gestiene im dämmernden Widerschein träumte, 
er sah in den unermeßlichen Fernen des Weltenraumes 
uf schwarzem Grunde ein strahlendes Funkeln und Leuchten 
ngezählter Sonnen und Lichtnebel zu seinen Häupten — 
as urewige Lied vom Werden, Sein und Vergehen in 
er Flammenschrift weltenschöpferischer Gestaltungsbräfte mit 
en Bahnen still wandelnder Sterne und Sternhaufen in 
ie unendlichen KRäume eingezeichnet — sah über sich die 
dacht, die schweigende Urmutter des Seins, aus deren tief- 
unkbein Mantelfalten hier und da Welt und Leben, Tag 
nd Licht hervorquellen, die wieder in ihr ewig welten⸗ 
hwangeres, geheimnisreiches Dunkel in nie endendem Nuf 
ind Nieder, im Sternentanze eines bosmischen KRhythmus 
eimbehren und ewig gewandelt aufs neue aus ihm ausfluten. 
All die hehre Herrlichkeit des Wintertages und der 
Vinternacht ward dann dem menschlichen Auge entrückt. 
der Wind sprang um, föhniges Wehen blies mit warmer 
duft aus West und Süd, der Schnee begann zu schmelzen, 
ind aus dampfenden Tälern, Wäldern und Wiesen hoben 
ich Nebel, und bald barg sich der Sonne und der Sterne 
dicht hinter dichtem Gewölk; Nebelregen schwebte in der 
duft, von Baum und Busch troff und floß feines Geriesel, 
ind zu Schlamm ward das Erdreich. Alles Leuchten, alle 
zchönheit des Winters mußte weichen und schwinden, graue 
ässe und feuchter Morast mußte bommen, damit die große 
Vandlung sich vollziehen und dem Leben neu die Stätte 
ereitet werden bönne, dem Leben, dem seit dem Wechsel 
es Windes und dem Wehen wärmerer Lujst in Grund und 
Zruch, in Hecke und Baum, in Wald und Feld, in Ge—
	        
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