Ann hatte diese Worte im höchsten Sorn von sich
zestoßen. Hochaufgerichtet stand sie da, ihre Augen flammten,
uind ihre beiden Fäuste waren geballt.
Der Pfarrer Leutewein war ratlos, und das bam nicht
oft vor. Er machte eine abwehrende Handbewegung, so
daß Ann mitten im Satze abbrach. Nun ging er einigemal
gesenkten Hauptes im Simmer auf und ab, dann blieb er
p»or Ann stehen.
„Kind, du mußt mir dein Herz aufjchließen. Du stehst
nir näher als die andern. Ich habe dich nie aus den
Augen gelassen. Du warst ein liebes, braves Mädchen.
Und hernach, als du in meinem Hause meiner seligen Frau
ientest“ — den alten Mann überkam eine leise Kührung —
.Anna, Anna, erleichtere dein Herz!“
„Hoerr Pfarrer, ich bann's nicht.“
„Kind, Kind, ich muß dich vom heiligen Abendmahl
ausschließen.“ Köchelnd kam's hervor, leise, unheimlich.
„Herr Pfarrer!“, breischte Ann auf und sank vor ihm
n die Kniee.
Er wandte sich ab. Tränen standen in seinen guten,
hrlichen Augen.
‚Stehe auf, Kind.“
Herr Pfarrer, lieber Herr Pfarrer, ich kann nicht anders.“
„Kind, steh auf.“ Er hob sie auf und führte sie zu
ꝛinem Stuhle. Wieder bat er mit eindringlicher Stimme.
Sie blieb dabei: „Ich bann nicht anders“.
„Gehe“, sagt er schließlich — nicht gerade unfreundlich,
iber auch nicht wie sonst — „so lange du nicht dein Herz
durch vollständige Buße gereinigt hast, schließe ich dich hiermit
»om Troste des heiligen Sabraments aus. Besinnst du dich
iber eines andern — — — —
Mein Haus steht dir zu jeder Tagesstunde offen.“
Er reichte ihr die Hand und sah ihr mit einem Blick
mendlichen Mitleides in die verweinten Augen.
Ann ging.
Und er, der Pfarrer Leutewein, saß da Stunde um Stunde
und dachte und dachte. Er stammte aus dieser Gegend und
annte den Menschenschlag, und er liebte ihn mitsamt seinen
rehlern und Schwächen.
Und dieses Mädchen nun gar erst . . ..
Ja, ja, stieg da nicht ein liebes Gesicht vor ihm auf,
das seines Brudersohnes, und nickte ihm freundlich, aber
traurig zu? Dieser Brudersohn hatte ihn als flokter Student
jo gern besucht und — Jugend hat beine Tugend. Da
vohnte da oben im Dorf in der wackeligen einstöckigen
Hütte ein Mädchen. Das Mädchen gehörte der alten
Annemarth, der Her, wie sie im Dorfe genannt wurde.
Und das Mädchen war ein Menschenkind wie Milch und
Blut, ein Wunder Gottes an Schönheit. Der flotte Student
lah's, und da eines Tages, da — Jugend hat beine Tugend
— da stand die Mutter dieses selbigen Mädchens, der Ann,
an derselbigen Stelle, und er hatte ihr dieselbige Frage vor—
gelegt wie eben der Tochter und — auch dieselbige Ant—
vort erhalten wie von der Tochter.
„Sollte — — 2?*“
Der Pfarrer besaß einen Sohn. „Sollte — —? Doch
nein, der war ja schon fünf Jahre als Missionar da draußen
in der Heidenwelt.
Aber warum, um alles in der Welt, hatte Ann nicht
geredet ?“
Wieder wanderten seine Gedanben in die Vergangen—
peit: „Sein Brudersohn, wo mochte der wohl jetzt weilen?
Derschollen Annas Mutter tot! Here, Herr, du bist ein
eifriger Goft... Nur einmal noch war von dem leicht—
innigen Jungen, von Bremen aus, ein Brief angelangt,
n dem er seine Fehltat offenbart hatte — der Lene gegen.
iber.
Wie hatte er da so blein dagestanden, der hochehrwürdige
herr Pfarrer Leutewein, der armen Lene gegenüber, die
hm durch ihr Schweigen die Schmach vor seiner Gemeinde
»espart, daß sein Fleisch und Blut, seines Bruders Kind.
ich mit ihr vergessen hatte.
Was in seinen Kräften stand, war von da ab von ihm
jetan worden, Lenes trauriges Los, das dem der Ann
ruf's Haar glich, zu erleichtern.
Auch das Kind hatte er zu sich genommen, als es so
im die zwölf Jahre alt war, um es durch seine Frau zu
ꝛinem tüchtigen Mädchen erziehen zu lassen.
Nun hatte sich das Schwergewicht der Umgebung doch
ils stärker erwiesen. Anna war ihrer Mutter aufs Haar
gefolgt. Menschenlos . . . Weibeslos ...
Ach, das arme Kind — ich muß doch hinter ihm her—
jehen und ihm zureden . . . Der Pfarrer Leutewein zog
ich ein wenig besser an und ging eilig der Hütte am Berge
zu. Zu Hause ließ es ihm beine Kuhe.
Swoei Stunden später wanderte er wieder in seiner
*tudierstube auf und ab. VDergeblich war's gewesen, ver—
geblich.
And sie war doch früher so weichherzig, die Anna, und
iun, er erbannte sie Laum mehr wieder.
Ja, ja, ihr Herz war mit rohen Händen angefaßt
vorden, und der rauhe Griff hatte es versteinert.
»Wehe diesem Volkbel! Ganz sicher war's wieder so ein
eicher Bauernbursche. Geld hatte er ihr für die Schande
jeboten. Geldl Alles soll das schnöde Geld zwingen.
Vüßte ich nur den Namen des Taugenichtses, ich wollte
hn be—gelden, den Schlingel.“
Wieder rutschte das Käppchen von der Stirn zur Erde
und blieb diesmal dort liegen.
„Arme Anna, ich kann dir nicht helfen.“
Was nun noch erst bommen solltel Nein, das Mädchen
nußte von Sinnen sein, rundweg hat's erblärt: „Herr
Rarrer, ich werde doch zum Abendmahl bommen.“
„Kind! — Ich muß dich in der Kirche zurüchkweisen,“
erregt hatte er's geantftwortet.
AUnd sie darauf: „Tun Sie's nur.“
„Die ganze Gemeinde wird's sehen.“
„Sie soll's sehen — sie, gerade sie, deshalb.“
„Du fügst mir ein großes Leid zu.“
»Das tut mir tausendmal weh, aber ich bann nicht
inders. Nuf den Knieen will ich's abbitten, Ihnen, dem
inzigen Menschen, der mir im Leben Gutes getan hat.
Aber diesen will ich trotzen — trotzen, bis ich untergehe.“
So war Kede und Gegenrede gegangen. And zuletzt
atte sie ihm ihre ganze Dereinsamung und ihren ganzen
sammer ausgeschüttet. vor die Füße geschüttet wie ein trübes
Vasser.
„Sind wir nicht die Ausgestoßenen, die Aussätzigen.
neine Eller und ich? Und warum?
Ich soll nun auch noch vom Abendmahl ausgestoßen
verden. Herr Pfarrer, es ist Ihr Amt so — aber wie
iele dürften dann zum Abendmahl gehen, wenn nur die
Keinen seiner würdig wären?
Hab' ich mich zur Sünde gedrängt? —
Nein — nein — hineingeliggelt) bin ich worden. Lauter
dieb ist's von mir gewesen — Dankbbarkeit. daß mich ein
Sursch ansah ...“
EILä