Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

„Den Vater verlieren, das war kbein Verlust. Ich hab's 
nur vier Wochen gemerkt, dann kam das Leben und ver— 
wischte die Eindrücke, die sich an ihn knüpften. Nun erinnere 
ich mich wohl an den steifen, harten Mann, dem das Herz 
nicht über die Sunge glitt.“ 
Susanne laufen die Tränen über die Backen. Saghaft, 
halb widerstrebend hebt sie die Hand. Nun schmiegt sich die 
Wange des Mannes in sie hinein. 
„Sannche, mei' Sannche!“ 
Sie atmet schwer. 
„Sannche, mer worn verzeh' Johr alt, sollte aus de 
Schul komme, do ginge mer, die ganze Kunfermande, noo 
Eberbach zoum Owerförschter und frohte, oab mer Gruins!) 
schneire derfte. Ich wor, ehnd mehr fortginge, met Forschte 
Willh em Hop zesommegewest, un dem Willh sei' Vadder 
hatt gesoat: „Un wenn die ganz Gesellschaft Messer metnimmt, 
dau, Willy, nimmst Laa Messer met!“ An do hatt de Willh 
gesoat: „Na, Dadder, ich nomme kbaa Messer met!“ Wie 
mer oawwer drauße vir dem Dorf sen, so weist de Willy mer 
e funbelnoagelnau Messer, e Kichekniip, un sät: „Korl, guck 
emol, woas e fei' Messerl Doas hun ich mer aus meiner 
Modder ihrer Kest genomme!“ An daa ruift e dem Scholze 
Johann un sät: „Johann, kannste mer emol dei' Messer gewwe?“ 
Un de Johann gibt em des Messer, un mer pischbern mit⸗ 
enanner, un da schneid' e in de Rueipchestill“)“ K. K.“ 
An e lacht, un ich lache un soonẽ): „Wenn mer bunfermiert 
sin, daa kräj ich des Messer oawwer aach!“ — „Nadierlich“ 
sät e, un mer komme nooch Ewerbach, mer gihn hammzous. 
Om scheppe Kech hot de Backesphilipp Korn stih. Des 
Anduns Schorsch hippt eniwwer un roppt sich en Halme 
und micht sich en Kornpeif.. Lippse Dicker is aach driwwe. 
Ich mache aach eniwwer, un Forschte Willy is newig 'mer. 
Uff aamol dout e en laute Krisch. Ich bräjen oo de Hand 
un denke, e hot sich versprunge. Do jsäihn ich des Kneip 
in seiner Brost steche, sähhn Blout. Die Annern laafe. 
Ich sitze om Kech, hun de Willh im Orm. „Dou mer des 
Mosser eraus!“ sät e. „Gottche, Willy!“ soon ichl „Versprech 
mer in die Hand, deß de meim Vadder nit sääst, deß ich des 
Kneip meiner Modder genomme hun, soa, dau hättst gehoatt!“ 
De Willy werd su schwer, deß ich en uff de Burrem lehe 
muß. „OVerjprech mersch!“ Do soon ich: „Jo, Willy!“ Do 
micht e die Aage zou. Aff aamol flimmert de ganz Burrem 
biir mer rut, ich waß nix mih voo mer, als bis ich dehamm 
im Bett loab.“ 
Susanne gleitet auf den Boden. Schluchzend reckt sie 
Hände empor. 
„Uß Kend! Korl! Uß Kendl“ 
Sie reißt sich los. 
„Korl, Korl, ich hätt bein Dobter gemußt!“ 
Er hält sie fest in den Armen. 
„Ich hun de Dobter gehollt!“ 
Mit wenigen, dürren Worten erzählt er von seinem Tun. 
„Die Modder is alleweil dem kranke Kend besser wie 
mir. Horch weirer!“ 
Sie bniet vor ihm, hält den Kopf in seinem Schoß und 
reut sich der sanften, streichelnden Hand. 
„Sannche, ich hatt's dem Willy huuch un heilig versproache, 
m ich hun's gehalle. Mein Herz loab uff de Schloacht- 
»anb, un jederaganer hot sei'“ Messer enenngestoache un hot's 
rausgezuhe un hot gesoat: „Du Mörder!“ Mei Modder 
yot mich sellemol gih losse, ich sen Kneecht worn, ich boom 
ein alte Keichel. Der funn mich emol oo de Bach, wie 
ch e Entche geschienelt hun, woas des Baache?9) baputt hat. 
fF guckt mich emol oo, streicht mer iwwer die Hoor un sät: 
Komm, Korl, bannst mer e bißje helfel“ Un wie mer Owends 
ehamm sen, do säre: „De host doach kaa Dehamm mihl 
De bannst häj bleiwe! Naner, der e frimd Entche schienelt, 
s kaa Mörder!“ 
Ihre Hand greift nach der seinen, hält sie fest. 
„Korl! Korl! Uß Kendl“ 
Er hört scheinbar nicht auf sie. Aber sein Ohr hat das 
Kollen eines Wagens vernommen. 
„Sannche, so sein ich dem alte Keichel sei' Erwe worn!“ 
Leije macht er sich los. 
„Es' is mer, als hätt die Kouh sich luusgerijsel“ 
Er ist hinaus. 
Mit wirren Augen sieht sich Frau Susanne Keckeroth 
im. Dann birgt sie das Gesicht in die Hände. 
„Mörderin!“ flüstert ihr Mund, „Mörderin!“ 
Da blingt die Türe. 
„Sannchel! Des Korlche hot's iwwerstanne!“ 
Mit einem Aujsschrei sinkt die Frau zusammen. 
„Ei Sannche, Sannche! E werd jo gesund!“ 
Sie hört nichts, ist von einer ktiefen, wohltuenden Ohn— 
nacht umfangen. Er läßt sie auf die Küchenbank gleiten, 
ucht die Essigflasche im Schranke. Nun neßt er ihre Stirn. 
Ihr wehes Lächeln wird friedvoll. Langsam geleitet er die 
halbohnmächtige zu Bett. 
Mun steht er am Fenster. 
Glühend, leuchtend steigt der Sonnenball empor. 
Er hebt seine Hände und läßt das Licht hindurchfluten. 
Dann lehnt er den Kopf an das Fensterbreuz und weint .. 
ange ... lange .. 
Sonnenuntergangsmärchen 0 Von Th. Endemann. 
Wenn am Abend Vater Petrus hört der Sonnenpferde Lauf, 
Setzt er in dem Pförtnersiũbchen sjeinen Heiligenschein sich auf, 
Aus der Tasche holt den großen, goldnen Schlüsjel er hervor, 
Kommt heraus und beide Flügel jperrt er auf am Himmelstor, 
Daß der Sonnenwagen ja nicht an dem blanken Tor rennt an, 
Und bequem im vollen Jagen in den Himmel fahren bann. 
—Hei, da bommt's herbeigepurzelt und geflattert und gelaufen: 
All' die runden, kleinen Engel kommen an in hellen Haufen. 
In dem blau und goldenen Himmel ist's so wunderschön und fein, 
Aber alle schau'n doch gern mal in die bunte Welt hineint 
Und dann ist es doch so herrlich, wenn die Sonne Lommt geprasselt 
Und mit Flammensprüh'n und Vonnern durch die erz'nen Tore rasselt. 
And sie jauchzen, und sie fragen, und sie schwirren mit Gesumm 
Um den guten alten Petrus mit dem Heil'genschein herum: 
„Sag' uns, guter alter Petrus, denn du bist so grundgescheut, 
i Grünes.2) Mepßerstiel. 8) sage. ) Beinchen. 
Zag' uns bitte, lieber Petrus, wann fährt ein die Sonne heut? 
sommt sie pũnbtlich jchon um acht Uhr, oder wird's wohl acht Uhr zehn? 
Daß wir ja sie nicht versäumen und schön ordentlich sie sehn!“ 
-And so schwirrt es um den Alten, und es burrt und schnurrt und summt, 
Zis er tuf, als wär' er böse, und erschrecklich knurrt und brummt: 
Wollt ihr wohl, ihr wildes Kroppzeug!“ Burr, dafliegt der ganze Hauf, 
halb in Angst und halb in Jubel, in die Lämmerwolken auf. 
Und die flimmern, und die leuchten von den Purpurflügeln fein, 
Und tiefgolden strahlt von unten auch des Alten Heiligenschein, 
Auf den weichen Wolkbenbänken sitzen froh sie allesamt, 
Sis die Sonne, mächtig lodernd, durch die Himmelspforte flammt. 
— Und dann wird es langsam dunkel, und daß beiner geht verlor'n, 
Schickt der Petrus nun den Mondmann mit dem goldnen Sichelhorn. 
Und der bläst so schlummerleise, daß sie müde alle Lommen. 
Doch vielleicht“, denkt F Maria, „hat es einer nicht pernommen.“ 
Ind so schreitet sie noch einmal durch den dunklen Himmel feern. 
Doch wir seh'n hier auf der Erde nur in ihrem Haar den Stern.
	        
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