hatte, und fragte erschreckt: „Is dem Kend ebbes?“ Frau
Susanne schüttelte den Kopf.
„Worim hoste daa geheult?“
Er ging zwei Schritte auf sie zu und wollte den Arm
um sie legen. Sie wurde bleich wie eine getünchte Wand,
»ob die Hände wie zur Abwehr und sagte keuchend: „Loß
mich! Loß michl Du ... du Messerstecher. ..“
—A—— Seufzer entfloh
seiner Brust. Seine Augen erloschen, seine Hände krampften
ich wie zum Gebet zusammen.
Susanne schaute ihn schweigend an. In ihrem Blich
tand helles Entseßen.
„Es is wohr! Gott! Gott! Es is wohr!“ breischte sie
und sank verzweifelt in sich zusammen. Ein hartes, trocknes
Schluchzen schüttelte sie. Dann, mit einer plötzlichen Be—
vegung, trocknete sie die Augen, sah den schweigenden Mann
nit einem feindlichen Blicke an und sagte, wie von Ebkel
geschüttelt: „Betrüger!“
Dann saß sie auf einem Stuhle nieder, stemmte die Fäuste
in die Backen, sah stier vor sich auf das Wachstuch des
Tisches und stöhnte: „Jetzt waaß ich, worim de dei' Moad
geheuroat host, jetzt waaß ich's: weil baa ehrlich Mensch dich
zum Mann genomme hätt'l Woas hot mei' Modder gesoat
sellemol, wie ich hammkoom un hun gesoat: „Mei' Herr
will mich heiroatel?“ „Kend“, hot se gesoat, „woas is do
lus?“ An se hot gemoeent — no, wie die Leut meene, wenn
sich zwü heiroate musse, un hot gemeent, ich wär wumihlich
schold. Do hun ich se ausgelacht un hun gesoat: „Nix,
Wodder, e hot mich geern. An ich hun's geglaabt bes heut!“
„Glaabstes nit mih, Sannche?“
Es war eine Stimme, die vor innerem Weh brach,
ils sie so fragte.
Da schrie im Simmer das Kind. Ein wehes, gellendes
Welnen.
Susanne ging hart an ihrem Manne vorüber. Er hörte
sie das Kind beschwichtigen, hörte ihr „Schlaf, Kindchen,
schlafl“ Da lachte er plötzlich rauh und gellend heraus und
sang mit zerbrochener Stimme:
„Schlof, Kinnche, schlof!
Dei' Doadder is e Schof,
Dei Doadder is e Trampeldäjer,
Is e altes Ungeheuer!
Schlof, Kinnche, jchlof!“
Die zersjpellte Scheibe des Küchenfensters harfte leije
mit, wenn er den tiefsten Ton des Liedchens sang. Es blang
vie ein höhnisches Quäben.
Mit einer raschen Bewegung strich er sich über die
Stirne, faßte eine Stuhllehne, umspannte sie mit zwei Händen
und preßte sie, als wollte er sie zerbrechen. Dann rannte
er plötzlich hinaus.
Am späten Abend behrte er fröstelnd heim. In der
Küche war es dunkel. Das Vieh schrie in den Ställen.
Ein Settel lag auf dem Tische: „Ich bin mit dem Kinde
fort zu meiner Mutter. Es soll nicht mit einem Mörder
unter einem Dache leben. Susanne.“
Seine Augen flogen über die Seilen. Es war, als
ginge ihn das Geschreibe gar nichts an. Er ließ den Tieren
ihr Kecht werden, aß Brot und Dickmilch und überschlug,
was er am nächsten Tage tun solle. Schon war er fertig
mit seinem Planen, als ihm einfiel, daß Susanne nicht daheim
sei. Da trieb es ihn zu seinem Nachbarn, der ihm bereit—
pilligst eine Magd überließ. „Für e poor Doagl Mei
Fraa is zou ihrer Modder! Dere alte Fraa is es die gan—
Zeit nit justl“ So lod er.
Um Mittag des anderen Tages pflügte er an der
haßdorfer Straße. Da fuhr der Doktorwagen vorbei. Der
Arzt grüßte freundlich und rief: „No, es is nit so schlimm,
Karl, da muß mer nit gleich de Kopp hänge lassel Sone
Kind hat mehr Lewensbkraft wie e Großer! Du hättst nur
zestern die Bosse mit mache müsse un dei Fraa nach Haß-
orf enüwer schickel Sovill Derstand hätt' ich der eigentlich
ugetraut.“
Karl Keckeroth stand wie betäubt. Es war von einem
Kinde, von seinem Kinde die Kede. Wie ein Schlag traf
2s ihn. Was kbonnte ihm fehlen?
Gegen den Mbend lenbte er die Schritte nach Haßdorf.
WVie ein Dieb umbreiste er das bleine Häuschen, in dem
eine Schwiegermutker wohnte. Der Dobtorwagen stand
davor. Da bnarrte die Haustüre. Ein breiter, heller
Lichtstreifen fiel auf den Hof. Drei Schatten waren darin.
„Soll ich bei Ihrem Mann vorbeifahren, Frau Keckeroth?
Es wäre vielleicht doch besser. . . .“
„Ach, lassen Sie das, Herr Dobktor!“
„Kend! Kend! Kouf dein Mannl“
Es war eine zitterige, alte Stimme, die diese Worte
prach.
„Modder, de Korl hot de heilige Doag gezackert! Loß
em sei' Rouhl“
Der Kutschenschlag knallte zu, die Pferde zogen an.
Fine Weile noch hörte man das Gerassel des Wagens,
iine Weile noch stand der Lichtstreif breit und voll auf dem
Hof. Dann lag das Häuschen im Dunkel. Nur aus dem
Kitz des einen Ladens quoll ein Lichtstrahl in die Nacht.
wei Augen preßten sich an den schmalen Spalt, ein
auschendes Ohr trank gierig jeden Laut, der aus der lichten
Stille geboren wurde. Da war ein enges Stübchen mit
einem hohen Bett, auf das sich ächzend die alte Frau aus—
treckte, da war ein Wäscheborb, dicht an den Ofen gerückt,
n dem ein Kind lag, dessen Händchen einmal in die Höhe
zuckten, wieder niedersanken, das plötzlich aufsaß und ein
eiseres Wimmern hören ließ, da war eine Frau, die mit
zusammengebniffenen Lippen neben dem Korboe saß.
Nun tat sie den Mund auf.
„Modder, bist de noach wacker?“
„Woas willste, Kend?“
„Modder, ich hun dich beluhel! Ich hun gesoat, ich wär
ort, weil des Korlche brank worn is, doas is nit wuhr.
Ich sen fort, weil de Korl e Messerstecher is, weil e gemord
»ot. Worim hoste mer doas nit gesoat, Modder?“
Hart, gleichgültig klang die Stimme. Ein Muermeln
antwortete ihr.
VDor dem Fenster sank ein Mann in die Knie. Die
nachtfeuchte Gartenerde durchnäßte seine Kleider. Er merkte
uchts davon. Seine Hände hielt er aufs Herz gepreßt.
„E hot su fromme Aage, Modder, un e is, su lang
ner verheiroat sen, gout zou mer gewest; oawwer es gruself
mich virem, seit ich waaß, woas e geschafft hot.“
Das Kind wimmerte leise.
„Gott geb, daß des Korlche sterbt!“
„Sannche! Su derfst de nit schwetzel Es is dei' Mann.
un es is dei' Kend, un Leutgeschwätz...“
„Leutgeschwätz — Gottesgesetz!“
Die Hände des Mannes brallten sich in die Erde. Er
biß die Sähne zusammen, um nicht aufzustöhnen.
Nun hob er sich schwer vom Boden. Einen müden BSlich
parf er in das Simmerchen.
Die junge Frau schattete ihre Augen mit der Hand.
*