Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

hatte, und fragte erschreckt: „Is dem Kend ebbes?“ Frau 
Susanne schüttelte den Kopf. 
„Worim hoste daa geheult?“ 
Er ging zwei Schritte auf sie zu und wollte den Arm 
um sie legen. Sie wurde bleich wie eine getünchte Wand, 
»ob die Hände wie zur Abwehr und sagte keuchend: „Loß 
mich! Loß michl Du ... du Messerstecher. ..“ 
—A—— Seufzer entfloh 
seiner Brust. Seine Augen erloschen, seine Hände krampften 
ich wie zum Gebet zusammen. 
Susanne schaute ihn schweigend an. In ihrem Blich 
tand helles Entseßen. 
„Es is wohr! Gott! Gott! Es is wohr!“ breischte sie 
und sank verzweifelt in sich zusammen. Ein hartes, trocknes 
Schluchzen schüttelte sie. Dann, mit einer plötzlichen Be— 
vegung, trocknete sie die Augen, sah den schweigenden Mann 
nit einem feindlichen Blicke an und sagte, wie von Ebkel 
geschüttelt: „Betrüger!“ 
Dann saß sie auf einem Stuhle nieder, stemmte die Fäuste 
in die Backen, sah stier vor sich auf das Wachstuch des 
Tisches und stöhnte: „Jetzt waaß ich, worim de dei' Moad 
geheuroat host, jetzt waaß ich's: weil baa ehrlich Mensch dich 
zum Mann genomme hätt'l Woas hot mei' Modder gesoat 
sellemol, wie ich hammkoom un hun gesoat: „Mei' Herr 
will mich heiroatel?“ „Kend“, hot se gesoat, „woas is do 
lus?“ An se hot gemoeent — no, wie die Leut meene, wenn 
sich zwü heiroate musse, un hot gemeent, ich wär wumihlich 
schold. Do hun ich se ausgelacht un hun gesoat: „Nix, 
Wodder, e hot mich geern. An ich hun's geglaabt bes heut!“ 
„Glaabstes nit mih, Sannche?“ 
Es war eine Stimme, die vor innerem Weh brach, 
ils sie so fragte. 
Da schrie im Simmer das Kind. Ein wehes, gellendes 
Welnen. 
Susanne ging hart an ihrem Manne vorüber. Er hörte 
sie das Kind beschwichtigen, hörte ihr „Schlaf, Kindchen, 
schlafl“ Da lachte er plötzlich rauh und gellend heraus und 
sang mit zerbrochener Stimme: 
„Schlof, Kinnche, schlof! 
Dei' Doadder is e Schof, 
Dei Doadder is e Trampeldäjer, 
Is e altes Ungeheuer! 
Schlof, Kinnche, jchlof!“ 
Die zersjpellte Scheibe des Küchenfensters harfte leije 
mit, wenn er den tiefsten Ton des Liedchens sang. Es blang 
vie ein höhnisches Quäben. 
Mit einer raschen Bewegung strich er sich über die 
Stirne, faßte eine Stuhllehne, umspannte sie mit zwei Händen 
und preßte sie, als wollte er sie zerbrechen. Dann rannte 
er plötzlich hinaus. 
Am späten Abend behrte er fröstelnd heim. In der 
Küche war es dunkel. Das Vieh schrie in den Ställen. 
Ein Settel lag auf dem Tische: „Ich bin mit dem Kinde 
fort zu meiner Mutter. Es soll nicht mit einem Mörder 
unter einem Dache leben. Susanne.“ 
Seine Augen flogen über die Seilen. Es war, als 
ginge ihn das Geschreibe gar nichts an. Er ließ den Tieren 
ihr Kecht werden, aß Brot und Dickmilch und überschlug, 
was er am nächsten Tage tun solle. Schon war er fertig 
mit seinem Planen, als ihm einfiel, daß Susanne nicht daheim 
sei. Da trieb es ihn zu seinem Nachbarn, der ihm bereit— 
pilligst eine Magd überließ. „Für e poor Doagl Mei 
Fraa is zou ihrer Modder! Dere alte Fraa is es die gan— 
Zeit nit justl“ So lod er. 
Um Mittag des anderen Tages pflügte er an der 
haßdorfer Straße. Da fuhr der Doktorwagen vorbei. Der 
Arzt grüßte freundlich und rief: „No, es is nit so schlimm, 
Karl, da muß mer nit gleich de Kopp hänge lassel Sone 
Kind hat mehr Lewensbkraft wie e Großer! Du hättst nur 
zestern die Bosse mit mache müsse un dei Fraa nach Haß- 
orf enüwer schickel Sovill Derstand hätt' ich der eigentlich 
ugetraut.“ 
Karl Keckeroth stand wie betäubt. Es war von einem 
Kinde, von seinem Kinde die Kede. Wie ein Schlag traf 
2s ihn. Was kbonnte ihm fehlen? 
Gegen den Mbend lenbte er die Schritte nach Haßdorf. 
WVie ein Dieb umbreiste er das bleine Häuschen, in dem 
eine Schwiegermutker wohnte. Der Dobtorwagen stand 
davor. Da bnarrte die Haustüre. Ein breiter, heller 
Lichtstreifen fiel auf den Hof. Drei Schatten waren darin. 
„Soll ich bei Ihrem Mann vorbeifahren, Frau Keckeroth? 
Es wäre vielleicht doch besser. . . .“ 
„Ach, lassen Sie das, Herr Dobktor!“ 
„Kend! Kend! Kouf dein Mannl“ 
Es war eine zitterige, alte Stimme, die diese Worte 
prach. 
„Modder, de Korl hot de heilige Doag gezackert! Loß 
em sei' Rouhl“ 
Der Kutschenschlag knallte zu, die Pferde zogen an. 
Fine Weile noch hörte man das Gerassel des Wagens, 
iine Weile noch stand der Lichtstreif breit und voll auf dem 
Hof. Dann lag das Häuschen im Dunkel. Nur aus dem 
Kitz des einen Ladens quoll ein Lichtstrahl in die Nacht. 
wei Augen preßten sich an den schmalen Spalt, ein 
auschendes Ohr trank gierig jeden Laut, der aus der lichten 
Stille geboren wurde. Da war ein enges Stübchen mit 
einem hohen Bett, auf das sich ächzend die alte Frau aus— 
treckte, da war ein Wäscheborb, dicht an den Ofen gerückt, 
n dem ein Kind lag, dessen Händchen einmal in die Höhe 
zuckten, wieder niedersanken, das plötzlich aufsaß und ein 
eiseres Wimmern hören ließ, da war eine Frau, die mit 
zusammengebniffenen Lippen neben dem Korboe saß. 
Nun tat sie den Mund auf. 
„Modder, bist de noach wacker?“ 
„Woas willste, Kend?“ 
„Modder, ich hun dich beluhel! Ich hun gesoat, ich wär 
ort, weil des Korlche brank worn is, doas is nit wuhr. 
Ich sen fort, weil de Korl e Messerstecher is, weil e gemord 
»ot. Worim hoste mer doas nit gesoat, Modder?“ 
Hart, gleichgültig klang die Stimme. Ein Muermeln 
antwortete ihr. 
VDor dem Fenster sank ein Mann in die Knie. Die 
nachtfeuchte Gartenerde durchnäßte seine Kleider. Er merkte 
uchts davon. Seine Hände hielt er aufs Herz gepreßt. 
„E hot su fromme Aage, Modder, un e is, su lang 
ner verheiroat sen, gout zou mer gewest; oawwer es gruself 
mich virem, seit ich waaß, woas e geschafft hot.“ 
Das Kind wimmerte leise. 
„Gott geb, daß des Korlche sterbt!“ 
„Sannche! Su derfst de nit schwetzel Es is dei' Mann. 
un es is dei' Kend, un Leutgeschwätz...“ 
„Leutgeschwätz — Gottesgesetz!“ 
Die Hände des Mannes brallten sich in die Erde. Er 
biß die Sähne zusammen, um nicht aufzustöhnen. 
Nun hob er sich schwer vom Boden. Einen müden BSlich 
parf er in das Simmerchen. 
Die junge Frau schattete ihre Augen mit der Hand. 
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