Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

eimat · Schollen 
Slätter zur Pfledge hessischer Art. Geschichte und Heimatbkunst 
—8 IJ Die Heimat:Schollen, werden den Kreisblättern in Homberg, Melsungen, Kotenbuerg und Siegenhain 
Nr 5 ⸗ 1921 beigelegt. Die Kreisblãtter in Fritzlar. Frankenberg, Hersfeld, Hünfeld, Kirchhain und, Wolfhagen liefern 1 Jahrgano 
auf Bestellung. Außerdem kLonn der Bezug durch die Post und den Buchhandel erfolgen. Jahrespreis 10 Mb. 
Die Enkeltochter der Hex 0 Von Joh. H. Schwalm. 
Erzählung aus dem Schwalmtal. . Fortsetzung. 
diebe und Geduld, ein Dater der Armen, eine Stütze der 
Schwachen und vor allen Dingen ein — Mensch, der seine 
eignen Schwächen kannte, um desto milder mit denen seiner 
Mitmenschen ins Gericht zu gehen. 
Das Käppchen aber verdarb den Mann. Es hing in 
ehterer Seit erschrecklich oft nach vorn. And nun gar 
heute. Eben fiel ihm das Mützchen vor die Füße. ein 
⸗ʒeichen, daß sein Träger empört sei. 
„Siehe, mein Kind, unser Herr Jesus Christus will dir 
»eine Sünden in Gnaden vergeben, aber, meine Tochter, 
du mußt nun auch mit der ganzen Wahrheit ihm entgegen- 
rommen. Sage mir, deinem Seelsorger. deinem besten Freund. 
ver ist's?“ 
Lieber Herr Pfarrer, ich kann's nicht.“ Ann ist's, die 
nit tränenüberströmtem Gesichte vor dem Pfarrer steht und 
diese aus einem gepreßten Herzen quellende Antwort gibt. 
„Kind, du bannst nicht. — Sieh mich einmal an, ich 
zin ein alter Mann, über dreißig Jahre diene ich nun dieser 
Hemeinde, aber so etwas ist mir nur einmal noch in meinem 
Leben vorgelommen. Kind, erleichtere dein Herz.“ 
„Ich kbann's nicht, Herr Pfarrer. Der Judas — hat 
nir Geld angeboten — um mich los zu werden — und 
zerhieß mir doch erst, mich zu heiraten. Und darum — 
schäm ich mich seiner, — darum nenn ich seinen Namen 
nicht — und sollte ich sterben müssen — darum .. .. Ich 
renn' ihn nicht mehr — er ist aus meinem Gedächtnis 
entschwunden — — nur noch zur Kache flammt er drin, in 
neinem Herzen, als etwas AUngeheuerliches, das man von 
ich werfen möchte und doch nicht loswerden Kann. Ach, du 
iebeer Goftt — 
Der Wetteranzeiger eines Menschengemüts sind mancherlei. 
Bei dem einen Menschen röten sich die Wangen, blitzen die 
Augen, beim andern furcht sich die Stirn. Nuch daß sich 
unwillkürlich die Hand zur Faust ballt, gilt als untrüagliches 
Zeichen drohenden Wetters. 
Der Pfarrherr Leutewein in Wiesenbach besaß einen 
anderen Wetteranzeiger, sein Hausbäppchen. Saß das im 
Nacken, so bedeutete dieser Umstand, daß der Himmel seines 
Hemütes von beinem Wölbchen bedeckt sei. Hing besagtes 
Käppchen auf der rechten Seite, so Lonnte man hundert gegen 
eins wetten, dem Herrn Pfarrer müsse etwas Guts geschehen 
sein. Schwanbte die Kopfbedeckung nach links, deutete das 
auf etwas Unerfreuliches, das ihm heute schon über den 
Wag gelaufen war. Thronte das Mützchen genau auf der 
Mitke, war mit dem Heren Pastor Leutewein nicht gut um— 
gehen, er neigte dann zu etwas schärferer NAuffassung als 
gewöhnlich, sah gewissermaßen alles durchs Dergrößerungs- 
glas. Dieses bezog sich auf Gutes sowohl als auf Böses. 
Sturm zeigte sich bald, wenn der Wetteranzeiger nach vorn 
rutschte. Sogar der Grad des drohenden Wetters ließ sich 
feststellen. Mützchen etwas über dem vorderen Haarrand: 
nicht alles in Ordnungl Mützchen halbe Stienbreite: ein 
tüchtiger Aerger. Mützchen über der Nasenrunzel: schauder— 
hafter Nerger. 
Wer aber nun meinen wollte, der Pfarrer Leutewein 
habe der Familie Anleid oder einer ihr nahe verwandten 
Sippe angehört, der wäre auf dem Holzwege. Der Pfarrer 
Leutewein war vielmehr der beste Mensch von der Welt, 
oin Muster seiner Gemeinde. ein Seelsorger von unendlicher
	        
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