„eimat · Schollen
Slätter zur Pflege hessischer Art, Geschichte und Heimatkunst
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N 4 / 1925 Erscheint Amal monatlich. Bezugspreis 1,20 Mbe. im Vierteljahr, einschl. Porto. Frühere
r. Jahrgänge kbönnen, soweit noch vorrätig, vom Heimatschollen-Derlag nachbezogen werden
5. Jahrgang
Anter fremder Last õ Von Otto Stückrath.
Susanne Keckeroth schob den Suppentopf vom Feuer.
Sie griff nach einer Schühsjel, in der Kartoffelschalen, Brot-
krusten und Gemüseabfälle lagen, tat zwei küchtige Hände
Kleie dazu und goß bochendes Wasser über das Ganze.
Dann füllte sie mit Laltem Wasser auf. Im Simmer greinte
ein Kind. Die Frau fuhr wie aus einem tiefen Traume
auf, strich sich gedankenvoll über die Stirne. und ihre Augen
füllten sich mit Tränen.
„Mei' orm, orm Kendl“ flüsterte sie, schlug die Hände
vor das junge, volle Gesicht und ging in das anstoßende
Zimmer, aus dem noch immer das Weinen scholl.
Ein geräumiges, vielfenstriges Gemach. An der Wand
eine lange Bank mit hoher Lehne und Schubladen unter
dem Sitz, davor ein schneeweiß blinbender Tisch, ein großes
Tafelklavier in der Ecke, ein Adam- und Efa-Ofen, darüber
zwei Hölzer zum Wäjchetrocknen, und neben dem Ofen ein
geschnitzter, steiflehniger Sessel und eine Wiege. Ein paar
schlechte EOldrucke und zwei vergilbte Photographien an der
blaugetünchten, braungemusterten Wand.
Sie beugte sich über die Wiege. Dabei löste sich eine
Flechte ihres reichen, braunen Haares und fuhr dem weinenden
Kinde durch das Gesichtchen. Das Weinen wandelte sich
in ein zufriedenes Schnurren, die Händchen griffen käppisch
nach dem losen Haar, packten zu, hielten es eine Weile fest.
Da fielen zwei heiße Tränen auf des Kindes Antlitz.
Schmerzvoll zuckte der bleine Mund,. seine Winkbel zogen
sich nach unten.
„Nit heule, Karlchel Nit heulel Guck, die Mamme
jpillt met derl“ And sie griff die Haarsträhne und ließ sie
flink hin- und hertanzen. Das kleine Weh schwand. Die
Frau hob das Kind aus der Wiege. trug es schaubelnd
uuf den Armen und summte ein „Heiol Heiol“ Das hatte
den schmerzhaften Ton der Jungmütterlichkeit.
Auf der Ofenplatte stand eine Flasche mit Milch.
Tändelnd hielt Susanne sie dem Kinde hin. Das griff danach
ind lachte jauchzend auf. Da schwang sie es zur Deche in
ie Höhe und ließ es mit einem leichten Plumps in die
zissen niederfallen. Einen Augenblick jpäter lag das bleine
Vesen zufrieden da, die Händchen fest um die Flasche ge—
lammert. Susanne saß im Lehnstuhl und sah sinnend dem
zinde zu. NAus ihren Augen flossen Tränen.
Das Kind war satt. Mit einer müden Bewegung nahm
zusanne die Flasche weg, strich die Wiegendecke glatt und
ung wieder in die Küche.
Mit dem Finger prüfte sie das vorher zubereitete Getränb.
Dann streifte sie die Schuhe ab, schlüpfte in Holzpantoffeln
ind ging in den Stall. Als sie zurückkam, stand ihr Mann
im Herde und rieb sich die Hände über der heißen Platte.
Er war hoch gewachsen, hatte harte, eckige Formen, einen
sebeugten Nacken. Seine Haare waren leicht angegraut.
Anter der steilen, zerfurchten Stirn leuchteten tiefe, gütige
Augen, die Nase war gebrümmt und das Nasenbein wies
n der Mitte einen sichtbaren Knick auf; über dem vor—
pringenden Kinn preßten sich die Lippen zu eĩiner dünnen,
einen Linie zusjammen. Er mochte wohl dreißig Jahre älter
ein als die junge Frau.
„G'n Doag, Sannche!“ Er rieb die Hände mit hörbarem
Heräãusch aneinander. „Bei dem Werre gits kalte Pute!“
ẽs war Fröhlichbeit und verhaltenes Lachen in seiner Stimme.
.Ich hun oawwer alleweil die härtst Orwet geschafft!“
Als ihm beine Antwort wurde, sah er seine Frau an.
Er gewahrte ihre umflorten Augen. merbte. daß sie geweint
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