Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

eimat· Schollen 
Slätter zur Pflege hessischer Art. Geschichte und Heimatbkunst 
W 
Nr. 3 / 1025 Erscheint 2mal monatlich. Bezugspreis 1.20 Me. im Vierteljahr, einschl. Porto. Frühere 
LAAr. Jahrgänge können, soweit noch vorrätig, vom Heimatschollen-ODerlag nachbezogen werden 
5. Jahrgang 
Slätter aus meinem Lebensbucheꝰ/Von Carl Haeberlin 
Tempelbau. 
Inmitten des Heimatlandes der Menschheit standen auf 
einer Hochfläche, von der das Auge über weite Gebiete 
hinblickt, die sieben Tempel, die die Menschheit dem gebaut 
hatte, was ihr das Größte zu sein schien. Daß sie dem 
Heiligen ein Heiligtum bauen wollten, darin hatten sich alle 
einig gefunden. Doch als das Werb getan werden sollte, 
zeigte es sich, daß es sieben verschiedene Dinge waren, von 
denen eines immer einem Teil der Menschheit als das Größte 
erschien. So geschah es, daß nicht ein, sondern sieben Tempel 
gebaut wurden. Es war aber mitten im Lande der Menschen 
aur das eine Hochland der Anbetung, und darum wurden 
die sieben Tempel nebeneinander gebaut. Sie standen in 
einem offenen Halbrund, und ihre Vorderseiten berührten 
rinander; jeder Tempel verbreiterte sich nach innen nach seiner 
Kückwand zu, also daß auch die Rückseiten der Tempel 
einen zujsammenhängenden großen Halbbreis bildeten. Durch 
tarke Mauern aber war im Innern jeder Tempel vom nächsten 
geschieden, durch Mauern, die so stark waren, daß der Klang 
der heiligen Gesänge, die in jedem der Tempel erschallten, 
nicht durch sie dringen bonnte. Dor diesen Mauern zogen 
sich an den Seitenwänden Säulenreihen hin, auf denen das 
Gebälb der Dächer ruhte. 
Als die einzelnen Heiligtümer vollendet waren, standen 
sich gegenüber der Tempel der Arbeit und der der Wissen- 
schaft, dann solgten, näher zur Mitte, der Tempel der Weis- 
heit und der der Schönheit, zu ihren Seiten lagen der Tempel 
der irdischen Liebe und der der himmlischen Liebe, und als 
mittelster zwijchen diesen beiden der Tempel des Leids. 
*) Aus „Slätter aus meinem Lebensbuche““ von Dr. Carl Haeberlin. Heimat- 
chollen · Verlag. 
Veder die Menschen, die anbetend immer wieder dasselbe 
ʒeiligtum aufsuchten, noch die Priester und Priesterinnen, 
ie in jedem der Tempel am Heiligen dienten, wußten um 
ie Dinge der Derehrung und ihre Geheimnisse. die die 
indern Tempel umschlossen. 
Es begab sich, daß durch das Land der Menschen ein 
roßer Meister ging, der alte Ordnungen und Gesetzestafeln 
erbrach und Neues, Lebendiges schuf. Und aus seinem 
rarken und großen Geiste flossen Ströme des Lebens in die 
zeelen der Menschen. Auch er stieg zu den Höhen der 
Anbetung empor und kat auch hier ein Meues: er durch— 
panderte in Andacht alle' sieben Heiligtümer. 
Was er sah, war dieses: 
Im Tempel der Arbeit war der Altar ein gewaltiger 
Ambos, zu dem harte und schwielige Hände von Männern 
a Lederschurz und groben leinenen Kitteln mit mächtigen 
zangen Eisenblöcke aus der Glut einer Esse trugen und 
inhielten, und auf die Blöcke sausten aus anderen Fäusten 
röhnende Hammerschläge formend nieder, zu denen das Lied 
er Arbeit machtvoll erkblang. An den Säulen und inden 
)ertiefungen und Nischen der Kückwand standen und hingen 
ie Geräte des Handwerks und des Ackerbaues. Wuchtig 
ind bkraftvoll waren die Gestalten der Tempelhüter der Arbeit, 
zart und klar der Blick ihrer Augen, eintönig und starb 
as Lied, das sie sangen. 
Im Tempel der Wissenschaft waren auf dem Altar die 
Seräte der Forschung aufgestellt; zu seinen Seiten ruhten 
iuf Lesepulten große Bücher, in denen die Gesetze des 
ßeschehens aufgezeichnet waren, nach denen der Fall der 
Regentropfen wie der Lauf der Gestiene sich vollziehen. 
die Gesete der Sahlen und Formen, die Reihen der Arstoffe,
	        
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