Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

letzte geschlagen und verschwindet mit seiner Beute talaufwärts. 
Heutzutage ist dieser prächtige Raubvogel em seltener Gast in unserer 
Dogelwelt geworden und vielerorts leider durch törichte Schießer 
ausgerottet worden. Im Mittelalter wurden die Edelfalken gehegt 
und gepflegt, brauchte man doch ihre, dem Horst entnommenen 
Jungen, um sie zur Falbenbeize, der ritterlichen Jagd auf Keiher, 
abzurichten. Auch an unseren hoessischen Landgrafenböfen blühte 
die Falknerei, von der bein geringerer als der hochbegabte Hohen⸗ 
staufenbaiser Friedrich II. in seinem lateinijch geschriebenen Werb 
„De arte venandi cum avibus“ uns eine grüũndliche Darstellung 
hinterließ. Jetzt sind sie alle verschwunden aus unserem Heimatgau: 
Landgrafen, Falkner, Keiherkolonien (bis vor wenigen Jahrzehnten 
bestand noch eine bei der Amoneburg) und, abgesehen von wenigen 
Überbleibseln, auch die Falkenhorste. Jetzt bejucht nur selten ein 
Keiher die hessischen Fluͤsse, und noch weniger oft Lann sich der 
beobachtende Naturfreund hier am Anblick eines wandernden 
Falken erfreuen. 
In größter Erregung und unter schnarrenden Kufen sind die 
Wacholderdrosseln in die Weißdornbũsche eingefallen, um sich 
zunächst von dem Falkbenschreck zu erholen und dann von den 
Mehlsäckchen der Büsche zu naschen. Nachdem sich die Drosseln 
an den Weißdornfrüchten gesättigt, widmen sie sich mit einer, 
Nordländern nicht schwer fallenden Ausdauer dem löblichen Geschäft 
der Verdauung und wählen dazu die Fichten am Hexenturm, in 
denen neben Goldhähnchen auch die mit einer spihen Federhaube 
gezierten Haubenmeisen (in Hessen mancherorts „Gendärmchen“ 
genannt) geschickt herumblettern. Beim Herabsteigen zum KRenthof 
ehe ich noch die an Farbenpracht den Tropenvögeln nicht nach— 
stehenden Blaumeisen und ein paar alte schwarze Amselmännchen, 
die im Fallaub herumstochern mit ihren hellgelben Schnäbeln. 
Auf dem Dache der „alten Anatomie“ (Soologisches Institut) 
jingen muntere Starmätze und „pfeifen auf die Menschen“ und 
ihre schlechten Seiten herab; sie merben ja nichts von der „Welt- 
geschichte“ und flöten noch ebenso wie vor einem Jahrzehnt im 
Frieden. .. Andere Trupps Stare bonzertieren auf dem Dache 
der Elisabethlirche, deren Turm früher (bei einer Besteigung im 
Herbst 1924 fand ich beine mehr, dagegen einen alten Turmfalken⸗ 
horst) regelmäßig auch Schleiereulen beherbergte. Häßlich nach 
dem Arkteil der meisten Menschen ist der Schleiereulen „Gesang“, 
iber den der bekannte Soologe und Schriftsteller Or. Kurt Floericke 
n seinem „Deutjschen Vogelbuch“ schreibt: „Für weniger furchtsame 
derzen hat die fatale Nachtmusik lediglich etwaäs ungemein 
Zelustigendes. Dieses Gefühl erweckten mir ihre Stimmlaute 
venigstens immer in Warburg, wo sie in warmen Frühlingsnächten 
egelmäßig vom Turm der herrlichen Elisabethkirche herab ertönten, 
oährend unten manch flotter Bruder Studio, der auf der Kneipe 
es Guten zu viel getan, nun auf dem Heimwege dem Gotte 
ßambrinus seine Opfer bringen mußte. an greulichen Tönen mit 
hnen wetteiferte.“ 
Noch für ein paar Minuten in den Botanischen Gartenl! In 
chwankenden Birbenzweigen hängend, naschen grüne Seisige und 
rächtig rote Dompfaffen oder Blutfinken von den Samenkätzchen, 
vährend unten am Boden unter alten Tannen ein Rotkehlchen 
erumhüpft und Frostspanner fängt. Die sonderbaren Winter— 
chmetterlinge fliegen, soweit sie dem mãnnlichen Geschlecht angehören, 
»om Herbst bis zum Frühling umher, während die ungeflügelten 
frostspannerinnen nur briechen können, und ihr burzes Dasein mit 
in bißchen Liebe und recht viel Eierlegerei ausjüllen. Solange 
er Teich des Gartens eisfrei ist, verweilen hier mitunter Teich— 
»ühner, und der schillernde Eisvogel sitzt im Ufergebösch auf der 
dauer, bis er sich mit einem Plumps ins Waser stürzt, bald mit 
inem erbeuteten Wassertier wieder auftaucht und damit zum 
jlußgraben fliegt. Swischen Gestrüpp und Gestein ist das Keich 
er Majestät Gerngroß, des Saunkönigs, und früher fischte hier 
iuch manchmal die Wassjeramsel. Beide Vsgel haben viel 
derwandtes, worüber Löns — und damit will ich schließen — seine 
Zetrachtungen angestellt hat: „Nicht weit von hier in einem tiefen 
Tale,“ wie es im Liede heißt, sitzt zwar bein „Mädchen an einem 
VDasserfa —ale“, denn dazu eignet sich die augenblickliche Jahres- 
eit nur mangelhaft, aber die Wasseramsel, eine Großfolio-Ausgabe 
es Saunbkonigs, als wäre sie ein Festredner oder ein Deputations- 
nitglied. Aber sonst ist sie einfach ein auscinandergegangener 
z*aunkönig, macht genau solche Knickse wie dieser, nur ist er eine 
Tleinobtapausgabe davon. Ist das nicht sonderbar? Dieser Däum— 
ing hat eine Stimme wie ein preußischer Feldwebel, und seine 
zroße Ausgabe singt um neunundneunzig Hüunderlstel leiser. Das 
st einer jener beliebten Witze der Natur, mit denen sie es den 
Nenschen abgewöhnt, sich auf Analogien zu verlasen. 
VDom Pulsschlag der Heimat. 
Inser eß dr schennste. 
Aus der Schwalm. 
Kleèene Keng träre!) of die Schäzz'e) — 
knodm) Dorf em ahle Heüsche 
Wohnt de Hannjerg on seng Frä, 
Séeoeère still eß bie ee Meüscheꝰ), 
On so denbe seée on hä: 
große ofs Häzz). 
„Ahnet höt das mol geblunge, 
Bie die Keng nôch wann?) deheèm, 
Die hon alsezu gejunge — 
ctzt höt jeresch) jenge Kremꝰ). 
Ja, so bleéêne Keng die träre?) 
Ahrer'!o) Motter of die Schäzz, 
Große Junge, große Märe!i), 
Awwoer of ds Ellenhäzz!?) ... 
Kleé Kengche!s) — geruhlich Stengchent) 
Oer dr Hausdehr setzt ds Dréngche!s) 
En dr hohle Haand die Stänn!o), 
Keong em's rem eè gaanz Gebengche! 
On seng jengstes off)em Gänn's). 
So gemitlich sétzt's als do, 
Noͤchts se duh!) on néechts se mache, 
On die Leöt, se bloͤnzeln's o, 
Die verewwergeh?d) on lache;: 
Spräche: „Guckt eèemol ds Dréèngche 
On ds Kend of jengem Gänn, 
Kleénes Kend — geruhlich Stengche 
— Busose sperer greßer wännl..“ 
) treten. 2) Schürze. 8) Herz. 9) In, dem. 5) Mãuschen — mäuschenstill. 
) waren. 7) jedes. 8) Kräm, seine Last. 9 treten. 10) ihrer. 121) Mädchen. 
) Elternherz. 15) Kindchen. 19 Stündchen. 16) Katharinchen. 16) Stien. 17) Ge— 
pündchen, einen ganzen Haufen. 8) Schoß. 19) fun. 20) porübergehen. 
Die Kurfeschteêͤn on Matt?), die Schwälmer Amme, 
kim Schlöß om Fänster guckte die jejsamme. 
On ver dm Schloß do stuͤnge die Saldate 
kn Reüh on Glied bie bungte Palésade?). 
VODerom Kurfescht war om Friedrichsplatz Parare?), 
Dofer wann's Hesje — alles gung om Fare?). 
Es war eè selch Saldatedurchenahner?) 
Zum Maulosjpärens fer alle Kasselaner. 
Die Amme guckt dom Schauspéel zu eée Weülche') 
—A— 
On sät, on ähre Schwälmer Gje blennstæ“): 
„Frau Kurfescht, inse Härr eß dôch dr schennste.“ 
Schw 
Schnurrpfeifereien. 
Leute machen Kleider, und was für welche! 
Der Herr Dorfbüũrgermeister kommt in das Wirtshaus. Des 
Bastwirts Tochter betrachtet ihn von oben bis unten und ruft 
iachend aus: „O je, unser Bürgermeister hat ja das Hinterquartier 
vorn in der Hosel“ Und wirblich, die bürgermeisterliche Hose 
sieht ganz so aus, als habe die Wirtstochter recht. Da der Herr 
Bürgermeister einen guten Anzug braucht, läßt er den Stadt- 
chneider Lommen, der nach der Stoffauswahl und dem Maßnehmen 
auch die verbaute Hose in Augenschein nimmt und bestätigen 
nuß, daß sein Kollege, der Dorfschneider, das Hinterquarlier 
atjächlich vornhin gemacht hat. Er nimmt die buriose Hose mit 
ind bringt den versetzten Körperteil wieder an die richtige Stelle. 
1) der schönste. ) Martha. 8) bunte Palisaden. ) Parade. 5) Faden. 6) großes 
Soldatendurcheinander, es waren viele Soldaten aufmarschiert. 7) Weilchen. 8) vornehm 
Mäulchen. Nqlänzten, leuchteten.
	        
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