in den Händen des Chefarztes Prof. DOr. O. Koepke. Nach jeinen
Vorten will die Heilstätte „imit den altbewährten Heilkräften der
Natur — Licht, Luft und Wasser —, mit einer bräftigen und
reichlichen Ernährung und einer geregelten Verteilung von börper-
icher Kuhe und Bewegung die im Kampfe gegen den Tuberkbel-
hazillus unterlegene Widerstandskraft des Körpers und der Lunge
vieder zu beleben und zu stärken suchen.“ Dank des Entgegen—
tommens des Chefarztes war es sehr fesselnd, einmal den
unscheinbaren Erreger der Krankheit, den Tuberbelbazillus, und
die von ihm verursachten Serstörungen des Lungengewebes an
herschiedenen Präparaten bennen zu lernen; zum andern die
Belämpfung dieser Geißel der Menschheit durch alle erdenklichen
Mittel und Einrichtungen in möglichster Vollkommenheit zu sehen.
Seien es nun die Methoden der Antersuchung und Erbennung
des Grades der Erkrankung, auch durch Köntgenstrahlen, Köntgen-
aufnahmen und Tuberbulin, seien es die mannigfachen Maßnahmen
der Heilbehandlung, die in schweren Fällen die Anlage der
Basbrust zu Hilfe nimmt, seien es Duschen, Kohlensäure- und
Lichtbãder oder Höhensonnenbestrahlung in den hierzu eingerichteten
Kãumen des Erdgeschosses, oder sei es die Auswurfbeseitigung:
aberall drängt sich einem die Erbenntnis auf, daß hier mit den
besten Waffen und auf die wirbsamste Weise gegen eine schleichende
Wacht, die am Volkbskörper zehrt, mit gutem Erfolg angekämpft
wird. Hier verläuft alles bewußt zweck- und planmäßig; größte
Ordnung und peinlichste Sauberkeit herrschen, wohin man auch
nur sehen mag, und die Kranken haben an ihrem Teil nicht wenig
zu diesen Fabtoren der Gesundung beizutragen. Und überaü
kritt das Bestreben des leitenden Arztes und seiner Helfer hervor,
auf die strenge Beachtung der Verhaltungsmaßregeln durch die
Krankben nicht nur während ihres Aufenthaltes in der Heilstätte,
ondern auch nach ihrer Entlassung in der Familie — und dort ersi
eecht — hinzuwirben, damit die Gesundung von Dauer sei.
Unter freundlicher Führung ist noch Gelegenheit gegeben, die
hellen und luftigen Krankenzimmer mit je 2 bis 4 Betten und den
Lese- und Schreibsaal mit seinen Bücherschätzen und Schreibtischen
zu besichtigen. In der Weihnachtszeit, wo die Sehnsucht nach der
Familie umso stärker an die Seele greift, werden hier mehr Briefe
als jonst geschrieben, wandern von hier mehr herzliche Grüße als
zu anderer Seit ins Land hinaus. Wie schreiten durch die langen
Flure, betreten die Räume ur den Tagesaufenthalt der Kranken
ind freuen uns der seinen, stimmungsvollen Malereien, mit denen
zin Melsunger Malermeister sie geschmückt hat, besonders aber
den Tagesraum, der beiden Bebenntnissen zu ihren Gottesdiensten
zur Verfügung steht. Da tritt uns überall das Motiv des Kreuzes
entgegen, daran erinnernd, daß der Mensch ein Kreuzträger ist
und ewig jein wird. Wir wandeln an der Liegehalle entlang und
ehen die Erholungsuchenden ihren Gedanken, die wohl zu Hause
veilen, nachhängen. Kaum wendet sich ein schmales Gesicht nach
den Fremden um, die in stiller Sonntagsfrühe das Haus besichtigen.
Im Geiste sieht man den tausendfach verzweigten Wiersschafts
organismus des modernen Industrie- und Agrarstaates vor sich,
diese komplizierte Maschinerie, die an wichtigster Stelle mit von
diesen Männern bedient wird, deren Gesundheit hier oben in
rischer Waldluft und unter fachärztlicher Behandlung zurück-
gewonnen werden jsoll, damit sie ihre verantwortungsvollen Posten
wieder ũübernehmen kbönnen. — Im Speisesaal, dessen Malereien
den farbenfrohen Blick wohltuend ansprechen, ist den anderthalb
Hundert Patienten der Heilstätte in einladender Weise der
Mittagstisch gedeckt. Und aus der Kũche nebenan weht schon ein
Bratenduft. Mit ihrer Betriebsambeit und ihren vorzüglichen
naschinellen Einrichtungen ist die große Küche ein Reich für sich.
Der Küchen- sowie der Wäschereibetrieb wird von bewährten
Schwestern geleitet. Sum Schluß behren wir in dem Karitäten-
abinett des Meisters der bosmetischen Künste ein, der zu
testlichen und feiertäglichen Anlässen den Gesichtern beschnurrbarteker
Mannsleute den notigen Glanz verleiht, seine Künste dann und
vann wohl auch mal an einer reizenden Damenfrisur zu beweisen
Gelegenheit hat oder doch gern hätte. Von den Wänden grüßen
uns allerlei seltsame Käuze in des Wortes wahrster Bedeutung
sowie in ũübertragenem Sinne. Da äugt der Waldkbauz nach seiner
lieben Base, der Ohreule. Und neben der Schleiereule hockt ihr
bleiner Vetter, das Käuzchen, das nachts sein schauriges „Kiwiti“
(Komm mitl) ruft und deswegen auch das Totenkäuzchen heißt.
Ein ganz Lurioser Gesell in der Gesellschaft der Eulen ist ein
Hase mit Hörnern. Ob es der ist, vor dem die sieben Schwaben
jo wacker Keißaus nahmen? Sweifellos hat die gefahrdrohende Nähe
der brallenbewehrten Nachtraubvögel unseren guten Meister Lampe
bewogen, sich Hörner anzuschaffen. Diese Wasse gibt ihm tatsächlich
das Aussehen eines Heldenhasen und uns hinreichenden Grund,
hn in Subunft nicht mehr zu kränken, indem wir seinen
ehrenwerten Namen jedem feigen Menschen beilegen; dafür müßte
ich die Wortbildungslehre von jetzt an eigentlich eines anderen
Ausdrucks bedienen. Unsere Aufmerksambeit wird noch von
illerlei bizarren Wachstumsbildungen der Stämme und Wurzeln
eregt, die als Truhen und ähnliche Behältnisse in den Dienst des
osmetischen Künstlers gestellt sind. Merbwũrdig ist auch, daß sich
ie schwer schließende Tür durch energisches Klopfen an der Wand
eichtlich schließen läßt. Es scheint ein humorvoller Geist in diesem
Zaume umzugehen. And ich denke, es ist etwas Gutes und
Zöstliches um den Humor, der ein Lächeln auf mißmutige
hesichter zu zaubern weiß.
VOoll von den Eindrücken, die uns so bereitwillig vermittelt
vurden, wandern wir zu Tal. Der Wald steht heiter und licht,
ils dränge schon die Inospende Kraft aus den Tiefen. Aber in
inigen Tagen — wer weiß, da sind die dunkelgrünen Nadeln und
as zierliche Buchengezweig vielleicht schon von blitzenden Rauh—
eifkristallen versilbert oder von Schneewuchten belastet. Dann
vird alles wie in tiefstem Schlafe sein. Denn das deutsche Christ-
lindchen muß doch aus einem richtigen Winterwald kommen. wenn
»as Weihnachtsfest vollkommen sem soll.
AÄber die krumme Brücke Lommen wir zurück zur Stadt. Die
arbenfrohen Fachwerkbauten der Brũckenstraße sind uns ein Seichen,
aß in der Stadt der Bartenweßzer der gute aite Bürgergeist noch
ebt. Durch die weihnachtlichen Straßen mit ihrem ungewohnten
„onntagsgeschäftsverlehr wandernd, weilen unsere Gedanken noch
mmer da oben, wo ärztliche Kunst, unterstützt von einem tüchtigen
schwestern· und Pflegerpersonal, einen erfolgreichen Kampf gegen
die Tuberbulose führt, diesen schlimmsten Feind unseres Oulbes.
Ein Wintermorgen⸗
Von W. Sunbel, Marburg (Hessen).
Der Müller hört bebanntlich das Geräusch seiner Mühle erst
ann, wenn sie plötzlich stille steht. Die Dinge und Menschen, die
vir alltäglich mit großer Kegelmäßigkeit zur selben Seit treffen,
sehen“ wir wohl mit unseren Augen, aber es bildet sich nicht
ꝛdesmal eine Vorstellung davon in unserem Bewußtsein. So bann
ch genau angeben, wo und zu welcher Minute mir dieser oder
ener Mensch morgens in der Stadt begegnet, aber ich werde mir
glüũcklicherweise — nicht immer der Begegnung bewußt, und doch
hyũrde es mir sofort auffallen, wenn jemand von diesen vielen
euten eines Tages fehlen wũrde. Manchmal wähle ich einen
inderen Weg, um nicht immer dieselben Gesichter angucken zu
nũssen: den pensionierten Offizier, der seine Uniform aufträgt und
iebenher an die glorreiche Vergangenheit denkt, die gegenwarts-
rohen Schulkinder, den eiligen Bahnbeamten, den zum Leidwesen
er Schüler immer noch nicht pensionierten Professor, den mit
eientalischer Hast dem Briefträger entgegenlaufenden Bankier,
die Milch und Müllwagenmänner, den Fleijscherlehrling usw.
Ich brauche nur eine Stunde früher von zu Hause weg zu
jehen, so begegne ich allen diesen Alltagserscheinungen nicht.
Meine Bebannten wundern sich dann, daß ich an so einem Winter—
norgen um 8 AUhr schon im Stadtwald, an der Lahn, auf dem
Schloßberg oder bei den „Drei Linden“ gewesen bin. — „Sie boönnten
ich doch wirklich ausschlafen,“ wird mir dann gesagt; „denn wie
chhnell Sie laufen, brauchten Sie erst viel später als wir andern
»on zu Hause fortzugehen, und kLämen doch noch rechtzeitig.“ —
Da ist was Wahres dran, nämlich das Schnellgehen stimmt und,
die durch manches andre unterscheide ich mich auch durch die
Zangart von meinen Art-, Seit- und Schichksalsgenossen im allge—
neinen, besonders aber von dem „zweckmäßigen Meyer“, dessen
Erdenwandel Hermann Löns folgendermaßen schildert:
„Er wanderte in jenem gemessenen Gange, der den besonnenen
Naturbetrachter in der unwissjenschaftlichen Menge sofort benntlich
nacht, seines Weges.“
Schnell durcheile ich die Stadt und erblimme auf vielen Stufen
en Schloßberg, an dessen Fuße unsere Lahnstadt Marburg noch
n grauem Frühdämmer liegt. Der Kauch der Schornsteine dringt
urch den Morgendunst und verliert sich in der höheren blaren
duft, die große Schwärme brächzender Krähen und hellrufender
dohlen mit ihren munteren Flugspielen beleben. Die schwarzen
dögel haben gesellig im Stadtwald genächtigt und verteilen sich
ꝛht über das Flußtal, um auf Wiesen und Ackern ihre Nahrung
u suchen: Gewũrme, Nas, Körner und andere Pflanzenstoffe, auch
Näuse fangen sie und nützen so dem Landwirt, der leider auch
it noch nicht genügend die Bedeutung der Kaubvyögel als Nage-
ier⸗Dertilger würdigt. — Hoch oben im Blau schwebt — ein
Adler im bleinen — unser Mäusebussard ũber den Lahnbergen,
Ȋhrend von Norden her ein stattlicher Wanderfalk gleich einem
ejchwingten Pfeil durch die frische Winterluft den Krammetsvögeln
achjagt, die von den Wehrdaer Bergen herüberwechseln. Wie
chneidig er hinter den Drosseln her ist; jetzt hat er im Flug die