Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Oor Jahrhunderten trug der Berggipfel die Burg der Grafen 
bon Bilstein, die zu den mächtigsten Geschlechtern Hessens gehörten 
und schon im 10. Jahrhundert genannt werden. Viele NAdlige 
Hessens und Thüringens waren ihnen lehenspflichtig. Die Bilsteiner 
waren mit dem Amt der Gaugrafen der Germaramark betraut 
Als solche hatten sie im Krieg auch den Heerbann zu führen. 
An den furchtbaren Kämpfen, die Kaiser Heinrich JV. mit dem 
sächsischen Grafen Otto von Nordheim ausfocht, war auch ein Graf 
Kädiger von Bilstein beteiligt. Er zog mit einem Heere gegen 
Otto, wurde aber von diesem im Jahre 1070 bei der Stadt 
Esjchwege vernichtend geschlagen. 
Die einst so mächligen, aber allzu freigebigen BSilsteiner, die 
oiele ihrer Güter an ein benachbartes, von ihnen gegründetes 
Kloster“) verjchenkten, verarmten zuletzt derart, daß der Bäcker des 
nahegelegenen Städtchens Allendorf a. d. Werra dem Grafen ohne 
sofortige Bezahlung bein Brot mehr liefern wollte, wie eine alte 
Urkunde besagt. — Die ehemaligen Gaugrafen waren schließlich 
zu Kaubrittern herabgesunken, gegen die, wie gegen viele andere, 
Kaiser Kudolf von Habsburg den Landgraäfen Albrecht don 
Thũüringen aussandte, um den Landfrieden wiederherzustellen. Der 
Landgraf eroberte im Jahre 1201 die Burg Bilstein. Aus dieser 
Zeit mag die Sage stammen, die sich an den Burgsitz knüpft. 
Feinde belagerten lange das Schloß, ohne daß es gelungen 
wäre, den Bilsteiner zur Übergabe zu zwingen. Die Eingeschlossenen 
zeigten sich auf der Burgmauer und waren guter Dinge, verhöhnten 
die Bedränger und schienen an Nahrungsmitteln beinen Mangel 
zu leiden, was den Belagerern jseltsam erschien. — Am Fuß des 
Burgberges lag eine Mähle, die Höllenmühle genannt, deren 
Kad von der forellenreichen Berka gedreht wurde. Der Müller 
ging mit den Seinen ungehindert ein und aus in seinem Besitztum. 
Der Feind nahm die Mühle nun unter scharfe Bewachung. Da 
entdeckte man eines Tages, daß von einem im Garften gelegenen 
Keller aus zur Burg ein unterirdischer Gang hinauf führte. Durch 
diesen hatte der treue Müller seinen Herrn und die übrigen 
Bewohner des Schlosses mit Speise und Trank versorgt. Der 
Auf Hein 
Im Stadtwald Melsungen. 
Es war am vierten Adventsonntag, der in der Geschäjftswelt 
als „der goldene Sonntag“ beliebt und geschätzt ist. Auch ohne 
Nützlichkeitsapostel mit einem ledernen Herzbeutel voller Sahlen 
zu sein, darf man diesen Sonntaa als einen goldenen gelten lassen. 
Fallen auf ihn als 
den letßten Sonntag 
bor Weihnachten doch 
schon die Strahlen 
des Lichtgoldes, das 
ʒum Christfest am 
Weihnachtsbaum er— 
blüht. Beglückende 
Weihnachtsstimmung 
füllt schon die Stuben 
und geht auf den 
Gassen um, wo weih⸗ 
nachtsfrohe Bliche, 
hinter denen liebe 
Geheimnisse stecken, 
sich glückhaft be— 
gegnen und grüßen. 
Heuer hat der 
goldene Sonntag, der 
uns in früheren Jahren 
schon gern mit einem 
tũchtigen Fuder Schnee 
aufwartete, ein fast 
frühlinghaftes Aus- 
sehen. Die Luft ist so 
lind und lenzlich, als 
wollte sie Schneeglöck⸗ 
chen und Veilchen aus . 
der Erde locken. Uns lockt sie aus der Stadt hinaus, ũber die glitzernden 
Fuldawellen, die wie feine, blanke Rillen ũber den Flußspiegel laufen. 
Die Wege zum Lindenberg hinaus sind fein trocken und säuberlich 
vie im Sommer. Aber Haus „Lindenlust“ hat im Erdgeschoß die 
Fensterläden geschlossen und liegt wie im Dornröschenschlaf. Der 
Waid steht kahl und grau ums farbenfrohe Haus. Das stumpfe 
Grün der Föhren belebt das Waldbild kaum. Nun läuft der Pfad an 
* Germerode. Kreis Eschwege. 
NAach 
Hetreue ward getötet, und bei den Belagerten hielt bald der 
Hunger Einzug. 
Der Bissteiner jedoch wollte seinem Gegner nicht lebend in 
ie Hände fallen. Er zog den Tod der ÜUbergabe vor. Ein mit 
ier Pferden bespannsfer Wagen wurde auf die Burgmauer 
eschafft. Der Graf mit seiner Gemahlin und seiner einzigen 
Tochter bestieg das Gefährt. Dann ergriff er die Sügel, trieb 
zie vor dem Abgrund zurückbäumenden Tiere an, und der Wagen 
auste mit seinen Insassen in die Tiefe. So endete der Sage nach 
der letzte Bilsteiner. 
Von der Burg jselbst ist noch heute ein Mauerrest von etwa 
0 Meter Höhe vorhanden, auch Teile von Grundmauern sind noch 
ichtbar. Von einer kreisförmigen VDertiefung inmitten des alten 
Burghofs, in der allerlei Gesträuch emporgrünt, weiß man nicht 
nehr, ob sie ein Wasserbehälter, ein Verlies oder der Eingang 
u jenem verborgenen Gang war, von dem die schaurige Sage 
erichtet. 
Nach dem Tode des letzten Grafen von Bilstein fielen seine 
Zesitzungen an den Landgrafen von Hessen. Die hl. Elisabeth, 
dandgräfin von Hessen, weilte auch einst als Gast auf dem Bilstein. 
ẽks ist noch eine Urkunde erhalten, die sie auf dem Grafenschloß 
russtellte und eigenhãndig unterschrieb. — Im Jahre 1594 wurde 
die früher so stolz in die Lande ragende Burg wegen Bau— 
älligkeit abgetragen. 
Da, wo sich einst streitbare Ritter in frohen Kampfspielen 
ummelten, wo Waffenlärm erblang, wenn die Grafen mit ihren 
Mannen zu Gejaid und Fehde auszogen, herrscht jeßt das Schweigen 
er Einsambeit. Nur die Waldbäume rauschen, allerlei Gevögel 
stet und singt da oben, und zuweilen dringt vom Sträßchen im 
dõllental herauf das Rasseln eines gemächlich vorbeifahrenden 
Vagens. Wilde Rosen und allerlei Feldblumen blühen im früheren 
Zurghof. Blaue Schlehen leuchten von dunkbelgrünen Büschen. 
die alte Burgmauer aber blickt sinnend auf ihre so anders 
ewordene Umwelt, träumt von alten Seiten und denkt nach über 
ie Vergänglichkeit irdischer Größe. 
atwegen. 
J 
oher Fichtenwand entlang zum Buchenwald hinauf. Die Buchen- 
ronen warfen schon all ihr Laub zu Boden und sehnen sich nach 
Schnee. Die Tannendickung nimmt uns auf. Sie trägt auf braunen 
Stämmen ihr dichtes Nadeldach. Kein Laut durchtönt den Wald. 
Die Hohe ist erreicht. Eine Schonung gibt den Blick zur 
Ferne frei. Die liegt verschleiert. Nur in der Richtung Günsterode 
heben sich die dunklen 
Höhen vom fahlen 
Winterhimmel ab. Um 
uns trägt bnieehohes 
Eichgestrüpp noch all 
ein Laub in braftigem 
Braun. Der Pfad 
neigt sich zur Tiefe. 
Hinter bahlen, Lnor- 
eigen Eichen hervor 
grüßt die Räckseite 
eines langgestreckten 
Baues, der hier oben 
330 Meter über dem 
Moecresspiegel in einer 
Einsatlelung zwischen 
‚wei Kuppen liegt. 
Es ist die „Heilstätte 
Stadtwald für lungen- 
ranke Eisenbahnbe- 
dienstete der deutschen 
Keichsbahn“. Wir 
umschreiten den lang- 
gestreckten Bau, an 
dessen Flanken braun⸗ 
tämmige, schlanke 
Föhren ihre brausen 
Wipfelschöpfe schau⸗ 
eln. Das Pfieffetal und alle Höhen jenseits sind von winterlichem 
duft und Nebeldunst verhüllt. Wir treten ein. Kohlestiftzeichnungen 
on Baluschek mit Darstellungen aus dem Leben der Eisenbahner 
chmũcken die Wände des Treppenhauses und deuten an, wem diese 
Stätte des Segens dient. 
Die Heilstätte Stadtwald wurde 1903 von der Pensionsbasse 
ür die Arbeiter der PreußischHessischen Eisenbahngemeinschaft 
errichtet. Der ärztliche und wirtschaftliche Betrieb liegt seitdem 
einer Photographie von Carl Thöricht, Hann.Münden.
	        
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