Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

zu verscheuchen. Aber der wich nicht. „Willst doch mal 
hersuchen, ob du die letzte Tanzmelodie noch einmal wieder 
ertig bringst.“ Mit den Worten nahm er seine Geige aus 
dem Kasten heraus. Wie schwer war die. UAnd als er sie 
in die Höhe richtete, guckten neugierige Goldmünzen aus den 
Schallöchern hervor, und kling — kling hüpften auch schon 
ꝛinige in der Stube herum. Das war ihm schönerer Ton 
ils der feinste Geigenstrich. 
Sis oben hin war der Bauch der Geige gespickt mit 
züldenen, vollwichtigen Dubaten. 
Da verschloß er seine alte Freundin, und wenn die Leute 
sich wunderten, daß sie keinen Geigenblang mehr aus der 
Schule vernahmen, so sagte er, sie wäre naß geworden und 
hätte sich verzogen. Als aber die Kirmes vorüber war, 
agte er dem Gemeinderat, die Stadt möchte sich nach einem 
andern Schulmeister umsehen; er wolle ins Franbenland und 
da sein Glück versuchen. 
„Den Mann hat's,“ sagten die Stadtväter und ließen 
hn ziehen. 
Als im nächsten Jahre Kirmes in Brotterode war, 
am ein leichter Wagen, mit zwei kräftigen Braunen bespannt, 
or das Gemeindewirtshaus gefahren. Drin saßen der alte Alle, 
fẽse und Gerhard. Da gab es ein Händedrücken und 
sßlückwünschen zu der großen Erbschaft, die Gerhards Onkel 
n Angarn, der ihn nie gesehen und doch als seiner Schwester 
zind geliebt, selbigem vermacht hatte. So hatte Gerhard 
usgesprengt, und nur seiner jungen Frau hatte er die 
Vahrheit mitgeteilt. 
Am nächsten Abend saßen Gerhard und Else im 
Avemark, und Gerhard ließ die wonnigsten Melodien bis 
nach Mitternacht ertönen. 
Aber da öffnete sich kLein Kefebtorium und kam bein 
Bruder Kellermeister, und so haben sie denn beinen Danb 
veiter abstatten können. 
„Laß uns gehen, Else, es hat schon halb Eins 
jeschlagen. Dielleicht haben sie es doch gehört und sich 
arüber gefreut. Ein braver Mann, der Abt, und 
iedre Leute, die Fratres, vor allem Bruder Keller— 
neister.“ 
⸗ 
Aus alter Seit. 
Die Hessen im Kampf gegen 
Karl den Kühnen von Burgund. 
Don Ernst Wenzel, Magdeburg. 
Herzog Karl der Kühne war am 10. November 1433 als Sohn 
Philipps des Guten von Burgund geboren und folgte seinem Vater 
14614, nachdem er 1465 den König von Frankbreich besiegt hatte. 
Er terug sich mit dem Plan, das alte Königreich Burgund wieder 
aufzurichten. Sein Leben war ein immerwährender Kampf. Wieder⸗ 
holt lag er im blutigen Streit mit dem französischen König, der 
nit den Lothringern und 
S chweizern im Bunde war. 
4174 schloß er, nachdem sein 
Sestreben, vom deutschen 
Kaijer Friedrich III. die Er- 
ebung des Herzogtums zum 
Königreich zu erlangen, miß- 
Jlũckt war, mit dem König 
»on England ein Bündnis 
zur Eroberung von Franb— 
ꝛeich. Gleichzeitig mischte er 
iich auch in die Kölnischen Stiftshändel, in deren Verlauf er auch 
nit hessischen Truppen zusammenstieß. die er aber trotz jeiner 
edeutenden AÄbermacht und der furchtbarsten Anstrengungen nicht 
esiegen konnte. 
Nach G. B. Kriegk in seinen deutschen Kulturbildern war das 
Jahr 1474/75 ein Ehrenjahr Hesjens und eins der glänzendsten 
her deutschen Geschichte. 
Im Erzstift Köln war 1412 3wischen dem Eesbischof Kuprecht 
hon der Pfalz und dem Domkapitei ein Streit ausgebroͤchen, 
chlangen der verschiedensten Kaliber, und zu ihrer Bedienung 
200 Büchsenmeister und Knechte. Diese gewaltige Artillerie ver⸗ 
vendete er gegen die Stadt Neuß, sein Heer war 60 00o Mann stark. 
Am 21. Juni 1474 brach der Landgraf mit 15000 Mann von 
Marburg auf. Der Sug durch die Stadt Frankenberg dauerte 
2 GStunden, da ein großer Troß mitging. Auf schweren Sastwagen 
agen Büchsen, Pulver, Pfeile, Bũchsenscheme, Sliden, Proviant 
ind Gezeug. Die Städte haätten dazu ihre Artillerie geliehen und 
08 Wagen, die Dörfer 659 Wagen gestellt. Sunächst lagerte der 
dandgraf bei Schreuffa an der Edder und Nuhne, um gegen west- 
ãälijche Stãdte, namentlich Brilon, vorzugehen, dann eilte er gegen 
Linz a. Rhein, das auf 
Kuprechts Seite stand. Die 
Selagerung verlief aber 
ohne Erfolg, weshalb sich 
der Landgraf am 22. Juli 
mnit den Bürgern und 
Bauern zum Rückzug ent— 
chloß. Der Kern seines 
heeres aber, 1000 Mann 
Knechte und 600 Keiter, 
.ZzZogen nach Neuß. Unter 
en Reitern befanden sich 69 hessische Edelleute. Mit diesen 
Truppen und denen des Erzstifts suchte Hermann die von 
tarl dem Käühnen bedrohte Stadt Neuß nördlich von Köln 
oͤᷣu halten. Am Abend des 20. Juli 1474 erschien Kael der Kühne 
nit etwa 14 000 Mann vor den Toren der Stadt und begann sie 
zu stürmen. Die lombardischen Sturmtruppen wurden aber von 
er Besatzung mit Geschütz zurũckgeworfen. Auch die folgenden 
Ztũrme zerschellten an dem Widerstand der Bürger, Hessen und 
xölner, die sich einander zum Kampf 
uf Leben und Tod verpflichtet hatten. 0 
zn rascher Folge warfen die Be— 8 
agerer 500 große und bleine Stein— 
ugeln in die Stadt, die Stadttore 9 
vurden fast ganz in Trümmer geschossen, 
iuch altertümliche Mauerbrecher 
ourden gegen die Mauern geführt. 
Bei einem Ausfall der Hessen wurden 
en Belagerern 2 Feldsjchlangen, viele Feuergewehre und 2 Faß 
)ulver genommen, bei einem anderen einige Büchsen erobert und 
2 Büchsenschirme in den Batterien durch Brand zerstört, bei einem 
Angeiff auf das englische Lager wurden 8 Feldschlangen erbeutet. 
die Kölner Truppen nahmen 10 Schiffe und erbeuteten 6 Hau— 
itßen, Feldschlangen, Habenbüchsen und andere Siũcke. 
Wäaͤhrend dieser Seit hatte der deutsche Kaiser Friedrich am 
T. August 14174 von Augsburg aus ein Aufgebot des Keichs— 
eeres zur Abwehr des Burgundenherzogs erlassen; doch waren 
ie Reichsstände recht säumig, und das Jahr 1414 verging, ohne 
aß das Reichsheer zujsammentrat. Um seinem Bruder in der Not 
u helfen, jandte Landgraf Heinrich im Februar 1415 1500 Mann 
in das andere Ufer des Kheins, Neuß gegenüber, wo er mit einer 
CC. CVCCCCOCGCCG 
Abb.2 
nfolgedessen das Kapitel den Dechanten Hermann, Landgrafen 
zu Hessen, 1413 als Derwesjer des Erzstifts wählte mit der Anwärt- 
chajt auf den erzbischöflichen Stuhl. Ruprecht dagegen verband 
ich mit dem mächtigen Herzog von Burgund, Karl dem Kühnen, 
und bestellte ihn zum Vogt und Schirmherrn über das Erzstift. 
Hermann, erbannte aber rechtzeitig, daß er einem so mächtigen 
Hegner nicht gewachsen war, und verband sich deshalb mit seinem 
Bruder, dem Landgrafen Heinrich III. von Hessen, der sich gegen 
Derpfändung von fünf westfälischen Städten bis zur Sahlung 
der Kriegskosten zur Stellung eines ansehnlichen Kriegsvolks 
—A 
Karl der Kühne hatte eine ganz bedeutende Arlillerie, 850 
SZtũck, eiserne und kupferne Steinbũchsen, Bombarden und Feld—
	        
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