Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

allgemeinen Freude, zumal er des Schulmeisters nicht ansichtig 
wurde. Des Abends ging es im Wirtshause hoch her; 
die Bergleute hatten guten DVerdienst, und die Eisenwaren 
jtanden hoch im Preise; wer nicht zu Hause bleiben mußte, 
feierte flotte Kiemes. Da fanden sich der Schulmeister, der 
über Land gewesen war, und Else zusammen. Der alte 
Alle war in seligster Stimmung. Doch als seine Augen 
plötzlich auf die Tanzenden fielen und er seine Tochter im 
Keigen mit dem verhaßten Geldschleicher, wie er ihn nannte, 
erblickte, da war seine Kirmesfreude vorbei. Sornglühend 
sprang er auf, riß die Errötende aus den Keihen der Tänzer 
und führte die Weinende nach Hause. 
Am andern Worgen, als der alte Alle eben beim guten 
Frühstück saß und sich den Würzburger schmecken ließ, trat 
der Schulmeister ein. Vor Staunen blieb dem Alten die 
Hand mit dem Glase halbwegs zum Munde stehen. Als 
aber gar Gerhard in wohlgeseßten Worten um die Hand 
seiner Tochter bat, da war es mit Alles Kuhe zu Ende. 
„Er Hungerleider, der nichts hat, als was er auf dem Leibe 
trägt, freit um die reiche Eljel Seine AUnverschämtheit ist ja 
so groß wie der Inselsberg. Ja, Er Geldschleicher, Er 
soll meine Tochter haben, wenn Er mir seinen alten Jammer- 
basten“ — damit meinte er des Lehrers DVioline — „nur 
halb voll von guten, gewichtigen Dubaten daher bringt.“ 
Wie Hagelschläge prasselten Spottwortke und Schmäh— 
reden auf den armen Schullehrer nieder, der froh war, als 
ꝛr, dem Donnerwetter entronnen, wieder in seiner stillen 
Stube saß. 
Er hielt nur seine Schulstunden und mischte sich nicht 
unter die Menschen, denn er wußte gar wohl: Wer den 
Schaden hat, braucht um den Spott nicht zu sorgen. 
Nach vier Wochen hatte der alte Alle sein Anwesen 
erkauft und war nach Würzburg ins Franbkenland 
gezogen, wo die Derwandten seiner Frau lebten. „Ich will 
hr den Starrsinn schon brechen; wenn sie ihn nicht sieht, 
wird sie ihn bald vergessen. Weibertränen, Aprilregen ...“ 
Am Tage des Wegzuges hatte der Schulmeister durch 
die alte Anna Christine einen Settel erhalten. Darauf 
chrieb ihm Else, daß sie ihm treu bleiben würde bis in den 
Tod. Die Hälfte der Buchstaben waren verwischt. „Das 
»aben die Tränen getan,“ sagte Anna Christine. 
Ein Jahr war vergangen. Es war wieder Juni geworden. 
Der Flieder blühte endlich auch in Brotterode, und die 
Menschen freuten sich, daß der Sommer schon da war, denn 
—A 
Nach warmem Tage war eine wonnesame Nacht herauf— 
gezogen; der Vollmond stand helleuchtend über dem Seim— 
berge, und die Milchstraße hob sich wie zartestes Silber— 
gejspinst vom blauen Nachthimmel ab. Oben am Waldesrand 
im Avemark, von wo in früheren Seiten das Ave Waria- 
Läuten des schon längst zerstörten Klosters ins Tal gedrungen 
war, lag der Schullehrer Gerhard im Grase, hatte seine 
treue Geige im Arm und hing seinen Gedanben nach; die 
zogen nach Würzburg zum Hause der Liebsten, und Hoff- 
nungslosigkeit bemächtigte sich seiner, da er des geizigen 
Daters gedachte. Da aber bein Herz in der Nähe war, dem 
rr sein Leid vertrauen konnte, nahm er seine Freundin und 
Trösterin zur Hand und vertraute ihren Saiten alles, was 
ihn quälte. Da quollen wundersam weiche, traurige Melodien 
hervor, und wo jemand die Klänge vernahm, sprach er: 
„So wie unser Schulmeister weiß doch niemand den Bogen 
zu führen. Ja, ja, man versteht ordentlich, was die Geige 
spricht. Schade um ihn, er war sonst solch' lustiger Geselle.“ 
Mitternacht war vorüber, Gerhard spielte noch. Da 
egte sich ihm plötzlich eine Hand auf die Schulter, und eine 
hm fremde Stimme fragte: „Wie wärs mit einem guten 
Tropfen Wein? Musibanten sind ja stets durstig, und unser 
Abt, der heute seinen Namenstag feiert, ist ein Derehrer 
er edlen Frau Musika.“ Hinter dem Schulmeister stand ein 
Nönch in brauner Kutte, mit wohlgenährtem, glänzendem 
sesicht, draus zwei lustige Augen hervorzwinberten. Ein 
zäpplein deckte, fast im Nacken sitzend, nur halb die Tonjur, 
n der Rechten hielt der Störer einen Becher, den er jetzt, 
vie um der Einladung mehr Nachdruck zu geben. bis auf 
en Grund leerte. 
Derwiert folgte ihm Gerhard. Sie traten durch einen 
5pitzbogengang in ein hochgewölbtes, jäulengetragenes Gemach, 
zurch dessen buntbemalte Scheiben der gedämpfte Schein 
her hellstrahlenden Sonne hereinfiel. „Wache ich oder träume 
h? Hier heller Tag und draußen glänzt der Vollmond!“ 
Nun, Spielmann,“ rief da eine fette Stimme vom Ende 
der langen Tafel, die mitten im Kefebtorium stand und von 
inem Dutzend Mönchoe besetzt war, „nun, Spielmann, erst 
Bescheid getan! He Kellermeister, laß ihm das Glas nicht 
rustrocknen. Mein Freund, der Würzburger, schickt uns ein 
zutes Tröpfchen. Wirst schon schlechteren getrunken haben. 
Und dann, Confratres, soll er uns eins aufspielen. Daß 
x's kann, haben wir schon vernommen, und heute, als an 
meinem Namenstage, Lönnen wir uns so etwas erlauben.“ 
Die Mönche lachten und nickten vergnügt, und der 
Bruder Kellermeister, der ihn eingelassen, gab ihm ein großes 
Daßglas voll goldigen Weines: „Nur runter damit, mein 
*sohn. Wer gut schmeert, der gut fährt. Feuchte Kehle, 
linker Bogen. Frau Musika ist eine Dame, die den Wein— 
röhlichen hold ist.“ Dabei zwinkberte er Gerhard mit lustigen 
Auglein an, und die Hängebacken wackelten vor Vergnügen. 
ßerhard trank mit zierlicher Derneigung gegen den Abt. 
Dann klangen die lustigen Weisen. Hei, wie die Mönche 
n fröhlicher Ungebundenheit sich gehen ließen, sie hüpften zu 
den Tönen, und selbst der würdige Abt versuchte seine 
urzen Beine im Tabte der Musik zu schwingen! Auch der 
5chulmeister, den Bruder Kellermeister nicht dürsten ließ, 
vurde fröhlich, und als ihn der MAbt an seine Seite rief 
und ihn leutjelig nach Woher und Wohin fragte, da schüttete 
er dem sein Herz aus. „Nun, mein Sohn, was nicht ist, 
ann noch werden. Hab' manchen Spielmann gebannt im 
Zömerland, der mehr Dubaten verdiente als Eljes protziger 
dater. Nun noch einen recht Lustigen zum Kehraus. Die 
Hejper ist vor der Tür.“ 
Da spielte Gerhard noch einmal auf, und die über— 
nütigsten Melodien hüpften aus den Saiten heraus. Voll 
Ausgelassenheit sprangen die Mönche im Keigen herum, und 
uletzt rissen sie Gerhard mit in den Kreis, schwenkten ihn 
»erum, bis daß er schwindlig und weinselig in einen Sejssel 
ank und tiefer Schlaf sich jofort auf jeine Augen legte. 
Als er erwachte, spähte er verwundert um sich. Er lag 
ben am Waldesrand im Avemark. Anten sah er die Leute 
in der Feldarbeit beschäftigt. Die Sonne stand schon im 
Osten, und eben schlug es fünf Uhr. Neben ihm stand 
vohlverpackt in ihrem schwarzen Gehäuse seine liebe Violine. 
Er sprang auf und eilte durch die Felder der Schule zu. 
Guten Morgen, Heerr Schulmeister! Schon so frühe ein 
ißchen im Walde gewesen? Das wird heute wieder ein heißer 
Tag — aber wir bekbommen Gewitter, die Sonne ist im 
dunste aufgegangen.“ — „Guten Morgen, guten Morgen!“ 
Ind er eilte vorwärts, als ob er sich schämen müsse, bis er 
ein stilles Simmer erreicht hatte. Da steckte er seinen Kopf 
ief in frisches Ouellwasser, um den wüsten Traum der Nacht
	        
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