Alten ist dem neuen Geschlecht entschwunden, ja unversländlich
geworden, zu viel von dem, was den Vorsahren heilig galt, ver⸗
frägt sich nicht mehr mit den Anschauungen und mit dem Suschnitt
der Neuzeit. Das Alte wurde, als nicht mehr für unsere Swecke
und in unser hastendes, nervöses Leben passend, einfach als unprabtisch
und für unser heutiges Volkstum ungeeignet verworfen.
Iu den alten, bei unseren Vorvätern üblich gewesenen Bräuchen,
die wohl auch zu den für immer entschwundenen zu rechnen sem
werden, gehört die Spinnstube. (Sie wird schon deshbalb nicht zu
neuem Leben erweckt werden bönnen, woeil der Flachsbau bei uns
fast ganz aufgehört hat. Su memer Kinderzeit stand bei den
Bauern meiner hessischen Heimat die Spinnstube noch in Blũte.
Spinnstubel Wie ein Gruß aus lieber entschwundener Seit
dünkt mich dies Wort, eine Ermnerung an jene Tage, da ich noch
an Maärchen glaubte, da noch Frau Holle in eigener Person, wenn
auch ungesehen, umherging. Abends schaute sie heimlich durch die
Fenster und hatte ihre Freude am Fleiße der Spnerinnen. Aber
den Faulen verwirrte sie auch den Flachs am Vocken oder ver—
wandelte gar sie selbst in Katzen. Diese wurden dann in der Kitz-
Lammer, der Basalthöhle am Wissener, auf welchem Gebirge die
Göttin ihren Sitz hatte, gefangen gehalten und mußten darin spinnen.
Wie sich die Frauen heute zum Kaffee besuchen und sich die
Zeit dabei mit dem Anfertigen moderner, wehr oder minder
nützlicher Handarbeiten vertreiben, so besuchten sich die Dorffrauen
meiner Heimat früher mit dem Spinnrade zum Kaffee. Ich habe
als Kind öfters salch einem „Fest“ beigewohnt, wenn unsere
Nachbarin. die „Wase Annli“, die Drechslersfrau, ihre Freundinnen
zur Spinnstube eingeladen hatte.
Wie deutlich sehe ich sie noch vor mir, die Stube im Nachbar—
haus mit ihrer rauchgeschwärzten, niedrigen Balbendeckel Die
Dielen waren zur Ehre des Tages dicht mit weißem Sand bestreut.
In der Ecke unter den zwei Fenstern zog sich im rechten Winbkel
die Bank entlang und davor stand der rotgestrichene Tisch mit
den Fußleisten. Vor dem Tisch aber waren die gleichfalls rotge⸗
strichenen Stühle aufgereiht mit den aus Steoh geflochtenen Sitzen
und mit den hohen, goraden Lehnen. In der anderen Simmereche
machte sich das mächtige Himmelbett breit, das augenscheinlich nur
mit Hilsje eines Schemels zu erstegen war. Der Strohsack und
die Federbetten quollen fast bis unter den Betthimmel empor, auf
dessen Kand Bibel und Gesangbuch, ab und zu auch 'mal ein
gefüllter Milchtopf — ein „RKewwes“ — ihren Platz hatten. Klein-
gewürfelte Baumwollvorhänge, auf Drähte unterhalb des Bett—
himmels auigezogen, schlossen das Bettinnere von der Außenwelt
ab. Neben diesem Bettungeheuer aber drückte sich des Hausvaters
„Sorgestuhl“ mit seiner steifen, geraden Lehne, in einen dunklen
Kattunbezug gesteckt, an die Wand. Und dieser harte Großvater⸗
stuhl war mein Lieblingsplatz bei meinen Besuchen zur Dämmer—
stunde im Nachbarhaus. Von ihm aus sah ich auch den Gescheh—
nisjsen in der Spinnstube zu.
Die geladenen „Wasen“ — Basen, Anrede für Frauen,
während die Männer mit Vetter angeredet wurden — erschienen
schon am frühen Nachmittag mit ihren Spinnrädern. Das Gold
des Flachses war mit breitem. buntseidenem Band am Spinnrocken
befestigt. Die metallenen Netzetöpfchen, mit deren Wasser während
des Spinnens die Finger benetzt wurden, glänzten in frisch gescheuerter
Schöne. Auch die Gaäͤste waren natürlich im Sonntagspuß erschienen.
Die damalige Frauentracht bestand aus dunklen, schweren Tuch—
kleidern, in deren Faltenrock vorn der Tuchstoff seines hohen
Preises wegen durch ein Stück Seug aus anderem Stoff erjsetzt
var. Der unschöne Sparsambeitsflichen, „Ihwest“ genannt, wurde
edoch durch die große schwarze auch buntfarbige Wollschürze gut—
nũtig verdeckt. Als Kopfbedeckung trugen die Frauen ein winziges
teifgestärktes Mützchen, das „Betzelchen“. auf dem in der Nitte
»es Kopfes aufgeneckten Sopfänoten. Diese winzige Mütze wurde
inter dem Kinn durch schwarze Seidenbänder gehalten. Sie wurde
—XVV
geschnittenen bequemen Schuhen, den „Kommoden“.
Waren die Gäste alle beisammen, dann wurde zunächst der
Taßffee aufgetragen, der mit viel Susatz aus Rübenmehl, das man
ius gerösteten und zerstoßenen gelben Wurzeln gewonnen hatte,
zedickt war. Die Tassen mußten zum Überlaufen gefüllt sein, und
he Inhalt wurde aus der Untertasse geschlürst, die auf den Spitzen
cr gespreizten Finger zZum Munde geführt wurde, während die
Trinkenden in ziemlichem Abstand vom Tische sapßen. Die Wirtm
atte natürlich ihr Bestes im Kuchenbacken geleistet. Der Tisch
var besetzt mit großen Schüsseln, die mit Bergen von „Blech—
uchen“, d. h. Kuchen, die auf großen, flachen Blechen gebacken
vpurden, beladen waren. AUnter diesen Kuchen waren die Sucker—
uchen und die hessische Spezialität „Schmantkhuchen“ die bevor-
ugtesten. Die Kuchen mußten sich durch besondere Höhe des
Teiges auszeichnen, und es gehörte eine gewisse Kunstfertigkeit
azu, die einige Finger breiten dicken Stücke ihrer Bestimmung
uzufũhren.
Nachdem die leibliche Stärbung beendet war. begann das
Spinnen. Und nun wurde es erst gemütlich und heimelig in der
Stube. Füße und Hände setzten sich in Bewegung, die Räder
chnureten und jurrten, frohliches Schwatzen und Lachen erfüllte
»en Raum, und im großen Kachelofen brodelte und zischte der
WVasserbessel. War es noch dazu em kalter Wintertag, an dem der
Schnee unter den Kädern der Gefahrte und unter den Sohlen
»er Fußgänger pfiff und kreischte, dann hatte es der Behaglichbeit
uind Wohligkeit fur mich in meinem alten harten Lehnituhl hinter
dem Himmelbett bein Endel
Sur Seit der Dommerung gingen die Gäste für einige Stunden
ns eigene Heim, um dort nach dem Kechten zu sehen, das Abend-
»rot füe die Familie herzurichten und auch das Dieh zu versorgen.
Nach dem Abendbrot vereinigte man sich dann nochmals im Spinn-
tubenhaus, und dann bamen auch die Ehemänner zu ihrem Kecht,
da sie jetzt ihre Frauen begleiteten. Es wurde nun Brot und
„Knackwurst“ aufgetragen, auch Schnaps, doch tat man den Wirten
nur eben „die Ehre an“, da man ja bereits daheim gegessen hatte.
Auch das junge Volkß hatte seine Spinnstube. In der ging
s aber etwas geräuschvoller her als bei den Alten, denn zu den
ungen Mäadchen gesellten sich abends die Burschen. Da wurden
Dolbslieder gesungen, auch gar manchmal einer Spinnerin der
Kocken genommen oder auch einer Streickerin der Strickstock,
ind beide Gegenstände mußten nach allem Brauch durch emen
æZuß eingelost werden. Das ging dann nicht ohne Gebreisch und
Helächter ab, und das Heimgebrachtwerden am Abend war wohl
nicht das geringste Vergnügen, welches solch eine echte Spinnstube
»on ehemals mit sich brachte.
Aber mit der alten Teacht ist deralte Brauch verschwunden.
Die Spinnräder schlafen den Dornröschenschlaf in Bodenkammern,
»hne daß ein landesberrliches Gebot wie im Märchen die Ver—
»rennung der Spindeln angeordnet hätte. Aus diesem tiefen
Märchenschlaf wird wohl auch niemand wieder die poetischen
S5pinnstuben mit ihrem Rädersurren zu neuem Leben zu erwecken
zermögen.
Vom Büuchertische der Heimat.
HesjjenMassjauische Bücherei für Schule und Haus. Heraus—
gegeben von Otto Stäckrath. Heft 126. Heimatschollen-VOer⸗
lag A. Bernecker, Melsungen. Preis des einzelnen Heftes
0.50 Marb.
Der als Dichter bereits über die Grenzen seiner nassauischen
Heimat hinaus bebannt gewordene Otto Stückrath bommt hier
mit einem Anternehmen an die GElffentlichkeit, das wiederum
weiteste Beachtung verdient. Es handelt sich um nicht mehr und
nicht weniger als um den Versuch, dem geistigen Erlebnis der
Heimat auch auf dem Felde der Jugenderziehung und Jugend-⸗
bildung Raum zu schaffen. Insbesondere hat ja der Schulunter⸗
richt Jahrzehnte lang ein tieferes Eingehen auf Wesen und Wirken
der Heimat peinlich vermissen lassen, weder der geschichtliche, noch
der erdbundliche Unterricht haben hier die ihnen zunächst liegenden
Aufgaben erfüllt, vom Anterricht im Deutschen, in Sprache und
Dichtung. ganz zu schweigen. Erst neuerdings zeigt sich das
Bestreben, auch hier mit Keformen vorzugehen, und da kbann es
nur als abtuell und sehr verdienstlich erscheinen. wenn jemand. der
nicht nur Schriftsteller, jondern auch Jugenderzieher von Beruf
jjt, sich daran macht, heimatliche Leblüre für Schule und Haus
ujammenzustellen.
Die Hessen-Nassauische Bücherei hat nun tatsächlich Anspruch
arauf, in jeder Boziehung als mustergültig angesehen zu werden.
Um mit dem Rußerlichen zu beginnen: sie ist handlich, im Format
en praktijchen Eefordernijsen angepaßt, startb bartoniert, um auch
etliche Strapazen auszuhalten, und sehr deutlich auf gutes Popier
jedruckt. Sahlreiche Bildbeigaben, größtenteils von zeitgenössichen
Künstlern, regen zur Lebtüre an, und was diese selbst betrifft, so
imfoßt sie sowohl das geschichtliche, wie auch das volks- und
andeskundliche, das mundartliche, schöngeistige, naturwissenschaft-
iche und technische Gebiet, mithin alles. was Heimat heißt.
Im ersten Heft, „Jammer und bein Ende“, erzählt der Pfarrer
Nebanus, der im 17. Jahrhundert in Miehlen amtierte, von den
zuständen des Dreißigsährigen Krieges; die dem noch erhaltenen
Tagebuch entnommenen Schilderungen sind so anschaulich, daß sie
ils eine willkommene Ergänzung des Geschichtsunterrichts gelten