zurück; er ist jetzt in Franken, größere Einkbäufe zu machen.
Doch will ich es ihm brieflich melden.“ Als ich Abschied
nahm, drückte sie mir kräftig die Hand: „Und nun noch
rins, Herr Lehrer. Mein Allter hat für sie einen Bam-
berger an der Hand, einen reichen, ungeschlachten Gesellen;
viel zu blotzig für meine Elisabeth.“
Kam aber kein Meister Wigand und ging die Woche
bor dem heiligen Weihnachtsfeste zu Ende. Dienstag war
es, den 24. Deʒember, am Heiligen Abend, da hatte ich
Geschäfte in Klein-Schmalkalden. War viel Schnee
gefallen die Tage vorher, die letzten Nächte aber hatte es
stark geduftet. Machte ich mich früh auf den Weg, um
baldigst wieder daheim zu sein. Fand ich auf dem Wege
bald einen Wandersgenossen. Das war mein Freund und
Hevattersmann, der ehrenfeste Herr Ferdinand Nickel,
Fuhrherr zu Brotterode. Der hatte sein Geschirr schon in
aller Früh nach Schmalkbalden geschickt und wollte es
drüben erwarten. Sollang saßen die Eisbristalle zu Büscheln
und Bändern vereint an den Rsten, und die niedrige
Dezembersonne glitzerte darin, als ob Millionen Diamanten
die Sweige bedeckten. Strich zuweilen ein Windzug von
unten her aus dem Trusentale und klapperte dann die
Aste aneinander, den Weg mit Eis bestreuend. „Das
gibt ein böses Wetter, Herr Gevatter, wollen uns eilen,
daß wir vor Nacht wieder in Brotterode sind.“ Ver—
wunderlich schien mir diese Kede, doch er deutete auf das
Gehege. Drüben stand es wie eine Wand, hellgrau, und
der blanke glatte Kand hob sich scharf vom blauen Himmel
ab. Da schritten wir beide schneller aus. Besuchte drüben
zuerst Heren Justus Hermann Kleinschmidt Ehrwürden, der
später Direktor zu Dach wurde, mußte dann hinüber auf
die gothaische Seite zu meinem Kollegen. Antersteht näm—
lich die Schule daselbst der Inspektur von Brotterode;
hatte dann noch dieses und jenes zu tun, sodaß es wohl
drei Ahr wurde, als ich im hessischen Gasthaus wieder mit
Herrn Ferdinand Nickel zusammentraf. War inzwischen
dessen Geschirr auch eingetroffen und die Pferde gefüttert.
Don allen Seiten wirbelte der Schnee nieder; bald blies
der Sturm aus dieser Ecke, bald aus jener, und waren
welche, die uns abrieten zu fahren. Aber jetzt war wohl
noch durch zu kommen, wer wußte aber, wie es morgen
war. Also spannte Hans Durus, der Knecht, die beiden
Braunen an. Waren aber starbe, schwere Lasttiere, also
daß man glauben mußte, mit ihnen bönne man jedes Fähr—
nis überwinden. Draußen packte uns der Sturm, und am
hohen Stieg mußte Mann und Pferd verschnaufen, denn
Schnee und Eis und Sturm schlugen uns ins Gosicht
dermaßen, daß wir uns umwenden mußten. Dann schützte
uns ein weniges der Gänsberg. „Jetzt gibt's gleich
Srotteröder Luft!“ meinte der Knecht Hans Durus. da
lag des Waldes Ende vor uns.
Wie mit tausend Nadeln fuhr es uns da ins Gosicht,
schlug uns auf die Lider, daß wir die Augen zumachten
und den Pferden den Weg ließen. Pustend und schnaubend
gingen diese vorwärts, die Köpfe gesenkt und den Bug
wuchtig ins Geschirr gedrückt. Die duftschweren Aste
ichlugen krachend nieder, und der Sturm heulte, daß beiner
den andern verstand. Da ein Ruck; fest saß der Schlitten.
Bis an den Bauch standen die Tiere in einer Schneewehe.
Da galt es, die Augen aufzumachen: nichts als Schnee
und bleigraue Dämmerung. Mußten da mit aller An—
strengung den Schlitten nachschieben, und dann wieder vor—
wärts. Ein seltsamer Ton ließ uns da zusammenfahren.
Horch einmal. das war Pferdegeschnauf. Arbeiteten uns
yom Schlitten herunter, rechts auf die Stelle zu. Da
vieder ein Wiehern, und vor uns sahen wire, halb im
schnee begraben, ein Pferd und dahinter eine unförmliche
Masse, schneevberweht. „Herr Gott, das ist ja Meister
VPigand's Bleß!“ rief Herr Ferdinand, „Hans Durus,
panne die Braunen aus und die Schaufeln her.“ Ar—
eiteten, daß uns der Schweiß herunterrann, dachten
uücht an Schnee und Sturm. Endlich hatten die Braunen
en Schlitten auf die Straße hinaufgezerrt, zitternd stand
der Bleß oben, am Schlitten hinten angebunden. Und
ann schälten wir sie heraus aus Schnee und Eis, die
Aleider waren fest zusammengefroren. „Hans Durus, die
fFlasche her,“ und träufelten ihnen einiges ein und von Seit
zu Seit wieder einige Tropfen. Und dabei gings vorwärts
hurch Sturm und Gebraus und spürten wir kbeine Kälte.
Dampfend, triefend standen die Gäule am Kirchberg, und
vir schleppten Meister Wigand und seine Elisabeth zu uns
»inein. Ehrwürden und seine Ehefrau bamen, Böses
ihnend, zu uns herübergestürzt. Herr Gevatter Nickel und
Ehrwürden allein verloren die RKuhe nicht. „Du, Mar—
jarethe, und Frau Anna Christine mit der Elisabeth in
»uer Tochterzimmer, mit Schnee abreiben und nachher mit
handtüchern! Ich sehe schon danach. And wir, Meister
Ferdinand, wollen Wigand vornehmen.“ „Sophie Elisa-
eth,“ rief Ehrwürden noch einmal, „ein ordentliches Warm-
hier.“ Da sprang meine Alteste in die Küche.
Johann Friedrich und ich blieben allein in der Wohn—
tube zurück. Sein Kopf lag auf den zusammengeschlagenen
Armen auf dem Tische, und zuweilen drang es wie Stöhnen
»der Schluchzen zu mir, ich wanderte rastlos auf und ab.
Türen gingen auf und zu, die Klingel des Pfarr—
auses hörte ich ein paar Mal schellen, und nach langer,
anger Seit huschte Ehrwürden durch die Stube: „Es geht
illes gut, alles gut,“ und hinaus war er wieder. Da hob
ich mein Johann Friedrich auf und reichte mir die Rechte
ind ich sahe, daß Tränen seine Wangen genetzt hatten, und
prach kein Wort. Und doch war es wie ein stilles
Helöbnis: „Herr Gott, wenn du mir diese erhältst, so will
ch sie behüten und beschirmen und sie auf Händen tragen
nein Leben lang.“ Ging auch gleich danach die Türe
iuf, und Elisabeth trat herein, angetan mit Sophie Elisa—
eths Kleidern; sie waren beide 1118 geboren. Sahe sich
Flijabeth um, und als sie Johann Friedrich erblickt, lag
ije schon an seiner Brust, die Arme fest um seinen Hals
erschränket. Und meine Anna Christine, die am Wasser
jeboren war, fing gleich wieder an zu schluchzen, und aus
Hesellschaft weinte Frau Margarethe auch mit. Selbigen
Augenblicks öffnete sich die Türe nach dem Ern, und
Meister Wigand stand auf der Schwelle, hinter ihm Ehr—
vürden Herr Balthasar Wiß und Herr Gevatter Nickel.
Dem hatten sie des Herren Pfarrers Kleider angetan,
vegen seiner Beleibtheit und meiner eigenen Magerbkeit.
Als der die Beiden so fest umschlungen sah, machte er
erst ein Gesicht, als hätte er einen zu großen Bissen
zjenommen und drückte, daß er ihn hinabbrächte. Ehr—
vürden aber schob ihn vorwärts in die Stube hinein. Und
var es, als ob mit dem geistlichen Kleide auch der Geist
hristlicher Liebe über ihn bäme. Ging mit ausgestreckter
hand auf mich zu und sagte: „Mein Lieber — —“ weiter
iber kam er nicht, denn da übermannte ihn doch die
Kührung, faßte mich um, und die Tränen stürzten ihm
erab. Allen wurden da die Augen feucht. Ehrwürden trat
jum Brautpaar, legte egnend die Hände auf ihre Scheitel:
Was der Herr so ichtbarlich zusammengefügt, soll der