Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

zurück; er ist jetzt in Franken, größere Einkbäufe zu machen. 
Doch will ich es ihm brieflich melden.“ Als ich Abschied 
nahm, drückte sie mir kräftig die Hand: „Und nun noch 
rins, Herr Lehrer. Mein Allter hat für sie einen Bam- 
berger an der Hand, einen reichen, ungeschlachten Gesellen; 
viel zu blotzig für meine Elisabeth.“ 
Kam aber kein Meister Wigand und ging die Woche 
bor dem heiligen Weihnachtsfeste zu Ende. Dienstag war 
es, den 24. Deʒember, am Heiligen Abend, da hatte ich 
Geschäfte in Klein-Schmalkalden. War viel Schnee 
gefallen die Tage vorher, die letzten Nächte aber hatte es 
stark geduftet. Machte ich mich früh auf den Weg, um 
baldigst wieder daheim zu sein. Fand ich auf dem Wege 
bald einen Wandersgenossen. Das war mein Freund und 
Hevattersmann, der ehrenfeste Herr Ferdinand Nickel, 
Fuhrherr zu Brotterode. Der hatte sein Geschirr schon in 
aller Früh nach Schmalkbalden geschickt und wollte es 
drüben erwarten. Sollang saßen die Eisbristalle zu Büscheln 
und Bändern vereint an den Rsten, und die niedrige 
Dezembersonne glitzerte darin, als ob Millionen Diamanten 
die Sweige bedeckten. Strich zuweilen ein Windzug von 
unten her aus dem Trusentale und klapperte dann die 
Aste aneinander, den Weg mit Eis bestreuend. „Das 
gibt ein böses Wetter, Herr Gevatter, wollen uns eilen, 
daß wir vor Nacht wieder in Brotterode sind.“ Ver— 
wunderlich schien mir diese Kede, doch er deutete auf das 
Gehege. Drüben stand es wie eine Wand, hellgrau, und 
der blanke glatte Kand hob sich scharf vom blauen Himmel 
ab. Da schritten wir beide schneller aus. Besuchte drüben 
zuerst Heren Justus Hermann Kleinschmidt Ehrwürden, der 
später Direktor zu Dach wurde, mußte dann hinüber auf 
die gothaische Seite zu meinem Kollegen. Antersteht näm— 
lich die Schule daselbst der Inspektur von Brotterode; 
hatte dann noch dieses und jenes zu tun, sodaß es wohl 
drei Ahr wurde, als ich im hessischen Gasthaus wieder mit 
Herrn Ferdinand Nickel zusammentraf. War inzwischen 
dessen Geschirr auch eingetroffen und die Pferde gefüttert. 
Don allen Seiten wirbelte der Schnee nieder; bald blies 
der Sturm aus dieser Ecke, bald aus jener, und waren 
welche, die uns abrieten zu fahren. Aber jetzt war wohl 
noch durch zu kommen, wer wußte aber, wie es morgen 
war. Also spannte Hans Durus, der Knecht, die beiden 
Braunen an. Waren aber starbe, schwere Lasttiere, also 
daß man glauben mußte, mit ihnen bönne man jedes Fähr— 
nis überwinden. Draußen packte uns der Sturm, und am 
hohen Stieg mußte Mann und Pferd verschnaufen, denn 
Schnee und Eis und Sturm schlugen uns ins Gosicht 
dermaßen, daß wir uns umwenden mußten. Dann schützte 
uns ein weniges der Gänsberg. „Jetzt gibt's gleich 
Srotteröder Luft!“ meinte der Knecht Hans Durus. da 
lag des Waldes Ende vor uns. 
Wie mit tausend Nadeln fuhr es uns da ins Gosicht, 
schlug uns auf die Lider, daß wir die Augen zumachten 
und den Pferden den Weg ließen. Pustend und schnaubend 
gingen diese vorwärts, die Köpfe gesenkt und den Bug 
wuchtig ins Geschirr gedrückt. Die duftschweren Aste 
ichlugen krachend nieder, und der Sturm heulte, daß beiner 
den andern verstand. Da ein Ruck; fest saß der Schlitten. 
Bis an den Bauch standen die Tiere in einer Schneewehe. 
Da galt es, die Augen aufzumachen: nichts als Schnee 
und bleigraue Dämmerung. Mußten da mit aller An— 
strengung den Schlitten nachschieben, und dann wieder vor— 
wärts. Ein seltsamer Ton ließ uns da zusammenfahren. 
Horch einmal. das war Pferdegeschnauf. Arbeiteten uns 
yom Schlitten herunter, rechts auf die Stelle zu. Da 
vieder ein Wiehern, und vor uns sahen wire, halb im 
schnee begraben, ein Pferd und dahinter eine unförmliche 
Masse, schneevberweht. „Herr Gott, das ist ja Meister 
VPigand's Bleß!“ rief Herr Ferdinand, „Hans Durus, 
panne die Braunen aus und die Schaufeln her.“ Ar— 
eiteten, daß uns der Schweiß herunterrann, dachten 
uücht an Schnee und Sturm. Endlich hatten die Braunen 
en Schlitten auf die Straße hinaufgezerrt, zitternd stand 
der Bleß oben, am Schlitten hinten angebunden. Und 
ann schälten wir sie heraus aus Schnee und Eis, die 
Aleider waren fest zusammengefroren. „Hans Durus, die 
fFlasche her,“ und träufelten ihnen einiges ein und von Seit 
zu Seit wieder einige Tropfen. Und dabei gings vorwärts 
hurch Sturm und Gebraus und spürten wir kbeine Kälte. 
Dampfend, triefend standen die Gäule am Kirchberg, und 
vir schleppten Meister Wigand und seine Elisabeth zu uns 
»inein. Ehrwürden und seine Ehefrau bamen, Böses 
ihnend, zu uns herübergestürzt. Herr Gevatter Nickel und 
Ehrwürden allein verloren die RKuhe nicht. „Du, Mar— 
jarethe, und Frau Anna Christine mit der Elisabeth in 
»uer Tochterzimmer, mit Schnee abreiben und nachher mit 
handtüchern! Ich sehe schon danach. And wir, Meister 
Ferdinand, wollen Wigand vornehmen.“ „Sophie Elisa- 
eth,“ rief Ehrwürden noch einmal, „ein ordentliches Warm- 
hier.“ Da sprang meine Alteste in die Küche. 
Johann Friedrich und ich blieben allein in der Wohn— 
tube zurück. Sein Kopf lag auf den zusammengeschlagenen 
Armen auf dem Tische, und zuweilen drang es wie Stöhnen 
»der Schluchzen zu mir, ich wanderte rastlos auf und ab. 
Türen gingen auf und zu, die Klingel des Pfarr— 
auses hörte ich ein paar Mal schellen, und nach langer, 
anger Seit huschte Ehrwürden durch die Stube: „Es geht 
illes gut, alles gut,“ und hinaus war er wieder. Da hob 
ich mein Johann Friedrich auf und reichte mir die Rechte 
ind ich sahe, daß Tränen seine Wangen genetzt hatten, und 
prach kein Wort. Und doch war es wie ein stilles 
Helöbnis: „Herr Gott, wenn du mir diese erhältst, so will 
ch sie behüten und beschirmen und sie auf Händen tragen 
nein Leben lang.“ Ging auch gleich danach die Türe 
iuf, und Elisabeth trat herein, angetan mit Sophie Elisa— 
eths Kleidern; sie waren beide 1118 geboren. Sahe sich 
Flijabeth um, und als sie Johann Friedrich erblickt, lag 
ije schon an seiner Brust, die Arme fest um seinen Hals 
erschränket. Und meine Anna Christine, die am Wasser 
jeboren war, fing gleich wieder an zu schluchzen, und aus 
Hesellschaft weinte Frau Margarethe auch mit. Selbigen 
Augenblicks öffnete sich die Türe nach dem Ern, und 
Meister Wigand stand auf der Schwelle, hinter ihm Ehr— 
vürden Herr Balthasar Wiß und Herr Gevatter Nickel. 
Dem hatten sie des Herren Pfarrers Kleider angetan, 
vegen seiner Beleibtheit und meiner eigenen Magerbkeit. 
Als der die Beiden so fest umschlungen sah, machte er 
erst ein Gesicht, als hätte er einen zu großen Bissen 
zjenommen und drückte, daß er ihn hinabbrächte. Ehr— 
vürden aber schob ihn vorwärts in die Stube hinein. Und 
var es, als ob mit dem geistlichen Kleide auch der Geist 
hristlicher Liebe über ihn bäme. Ging mit ausgestreckter 
hand auf mich zu und sagte: „Mein Lieber — —“ weiter 
iber kam er nicht, denn da übermannte ihn doch die 
Kührung, faßte mich um, und die Tränen stürzten ihm 
erab. Allen wurden da die Augen feucht. Ehrwürden trat 
jum Brautpaar, legte egnend die Hände auf ihre Scheitel: 
Was der Herr so ichtbarlich zusammengefügt, soll der
	        
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