Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Kirche, wo auch zehn meiner Kinder und mein vielgetreues 
erstes Eheweib Magdalene Margarethe geb. Kühnin des 
Wiedersehens mit mir harren. Gott gebe uns Allen dereinst 
eine fröhliche Auferstehung. 
Herr Gott, Du bist meine Suflucht für und für. Du 
warst mir Stecken und Stab in den Leiden und Fährnissen 
meiner irdischen Wanderung. Wie du es aber oft so augen- 
fällig zum Guten gewendet, das will ich heute und in 
späteren müßigen Stunden als ein Beijpiel erzählen, meinen 
Kindern und Kindeskindern zum teuren Vermächtnis, allen 
aber, die es lesen und davon hören, zum lebendigen Beweise, 
daß Gottes ewige VDaterliebe über jedem seiner Kinder 
waltet und wachet. 
Das war anno 1738. 
Mein ältester Sohn Johann Friedrich war dazumalen 
seit z3zwei Jahren vom Eyzeo in Schmalbalden in das 
elterliche Haus zurückgebehret. Derselbe hatte aber in der 
Stadt gewohnet und war in Sucht und Pflege gewesen bei 
Wohlehrwürden Herrn Archidiakonus Johann Valentin 
Merkel. Dieser war 1723 von der Gemeinde dorthin 
berufen als Diakon der Lutherischen. Als nun anno 1730 
am 1. Februarius M. Balthasar Neunes, der bisherige 
Oberpfarrer und Inspebtor, mit dem Tode abgegangen war, 
da wurde Herr Johann Mvenarius, der solang zu Steinbach- 
Hallenberg das Predigeramt versehen hatte, Oberpfarrer zu 
Schmalkalden. Darum entstand viel Tumult und Lärmen. 
Denn die mehrsten hatten Herrn Johann Valentin Merbel 
unterstützt und waren alle des Glaubens gewesen, daß 
jelbiger Balthasar Neunes nachfolgen würde. Wandten sich 
dieserhalb mit Suppliken an unsern allergnädigsten Landes— 
herrn, Herrn Friedrich J. Landgrafen zu Hessen und König 
in Schweden. And verfügte Kgl. Wajestät, daß Herr 
Avpenarius Ehrw. das Oberpfarramt behalten sollte, dahin— 
gegen wurde Ehrw. Herr. Johann VDalentin Merbel zum 
lutherischen Inspektor eingesetzt. Hat aber eine solche Teilung 
nichts Gutes geschafft und langwierigen, noch nicht beendeten 
Zwist hervorgerufen, und wird es wohl zu beinem guten 
Ende führen, ehe daß nicht wieder beide benannte geistliche 
Amter werden in einer Hand vereint sein. 
War aber dazumalen Anfang der dreißiger Jahre in 
dem Merbkelschen Hause viel Umtrieb und Derbehr durch 
Freunde und Bebannte. Kamen die Genossen vom Lyzeo 
und der Aniversität zu dem jungen Eheherrn, seine viel— 
liebe Ehefrau aber, Kegina Elisabeth geb. Pfannstiehl, wurde 
viel aufgesucht von ihren Gespielinnen. Das waren für— 
nehmlich die Tochter Wohlehrwürdens des Oberpfarrers 
Joh. Sebast. Wigand und die ehrbare Jungfrau Margarethe, 
des lutherischen Predigers Ehrwürden Herrn Christoph 
Ludwig Linde älteste Tochter. Und da war viel Kurzweil 
und Necbherei, alles aber in sittsamer Fröhlichkeit. 
Sog auch manch ein Mal die junge Welt und die 
Schüler, so in dem Hause waren, zu Wohlehrwürden Herrn 
Wigand. Saß dann mein alter Berater glücklich lächelnd 
in dem Lehnstuhl — denn der Schlag hatte ihn vor Jahren 
auf der Kanzel getroffen und mußte er sich beim Gehen 
der Krücke bedienen —, neckte sich mit allen herum, gab 
ihnen Rätselfragen oder machte ihnen artige Verse — denn 
er war der Hymnopoetik Meister. 
Führten oft die Töchter Wohlehrwürdens Herrn Wigands 
oder auch Jungfrau Margarethe Linde eine junge Verwandte 
mit sich, das war Elisabeth, des Meßgermeisters Wigand 
einzige Tochter. Das war ein Bruder von Wohlehrwürden 
und war dieser des Kindes Taufzeuge gewesen. Die 
Elijabeth war aber damals eben erst bonfirmieret und war 
ꝛin herziges Mägdlein, sinnig und voll bluger Anschläge. 
Am liebsten forschte sie nach der Geschichte des Landes 
und der Welt und nach fremden Ländern und Meeren, und 
var ihr da bein willigerer Lehrer als mein Johann Friedrich. 
Fanden sich wohl schon damals ihre Herzen zusammen. 
Keiner von allen ahnte aber, daß die Liebe als zartes 
Alänzlein in ihren Seelen aufgegangen war, und auch 
hren eigenen leiblichen und geistigen Augen war es noch 
ein Geheimnis. 
Im Jahre 11317 nun, wie ich aus meiner Familienbibel 
ꝛrsehe, und nicht, wie ich oben gemeldet habe, anno 11788, 
iehe, meine Augen werden schwach und mein Gedächtnis 
äßt nach, hat unser Ehrwürden Herr Adam Balthasar Wiß 
die ehrbare Jungfrau Margarethe Linde als vielliebes und 
getreues Ehegemahl heimgeführt. Waren aber mit zur 
Hochzeit geladen die Elisabeth Wigand und mein Johann 
friedrich. Am Jabobustage — es war dieses ein Donnerstag 
— strömte alles Volk in die Kirche, um die Kirmespredigt 
zu hören. Da wurde ein außerordentlicher Gesang von dem 
Kirchenchor ausgeführt, den begleitete die hiesige Kapelle, 
ind wurden dabei zum ersten Male die neuen Kirchen— 
»aukben gerührt und war Feierlicheres hier noch nicht gehört 
vorden. Es predigte aber Ehrwürden über den Text 
Kömer Capt. 9 O. 15 u. 16: „Welchen ich gnädig bin. 
en bin ich gnädig; und welches ich mich erbarme, deß 
erbarme ich mich. So liegt es nun nicht an Jemandes 
Vollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.“ 
And erflehte Gottes Gnade und Erbarmen herab auf 
die Arbeit der Menschen, auf daß die Felder, so da in 
»ollem Korn ständen, auch reiche Ernte brächten ihren 
Sestellern, und daß der Herr gnädig auf uns herabschauen 
nöge und uns fernhalten Krankheit und Krieg, Hungersnot 
und Teuerung. 
Als ich, nachdem die Kirche sich entleeret, die Türe 
chloß, siehe, da hielt ein schmucker Wagen vor dem Pfarr- 
»ause und erkbannte ich an dem großen Braunen mit weißer 
Stienblesse gleich, daß selbiges Geschirr dem Meister Wigand 
ius Stadt Schmalbkalden gehören müsse. 
Daheim erzählte mir mein Eheweib Anna Kathrine, 
daß mit selbem die Jungfeau Elisabeth eingetroffen sei und 
volle dieselbe bis nächsten Montag als Kirmesgästin im 
Dfarrhause auf Besuch verweilen. War aber Jabobi 87 
»in Tag wie heute, lichter Sonnenschein und blauer Himmel, 
ein Blatt regte sich — nur jeweilen strich ein leichter 
Windhauch über die Felder. Da senbte sich und hob sich 
viederum langsam das Getreide, daß es aussah wie eine 
»reite, ruhige Meereswoge. War aber auch bein Unwetter 
zu befürchten. Mochte drum beiner in der dumpfen Stube 
itzen bleiben und stiegen wir alle in die Felder hinauf. 
diel junges Dolk war aber schon auf den Inselberg gewallt, 
vparen auch Musici hinaufgegangen und war zu erwarten, 
aß dann droben noch ein fröhlicher Tanz bevorstand. 
Auf der Pjingstwiese unter den ersten Bäumen des 
Valdes trafen wir unser Ehrwürden mitsamt seines Ehe— 
zjespons und der Jungfrau Elijabeth, und obgleich es nicht 
nein Dorsatz gewesen war, auf den Berg zu steigen, war 
ins bald zugeredet, mitzutun. Ließ es sich doch so gemächlich 
vandern im Schatten des Waldes und herrschte eine so 
uftige Kühle ringsum her, daß selbst steiler Anstieg keinem 
eschwerlich fiel. Forschete nur, je zuweilen stille stehend 
ind sich mit dem Schweißtuche die Stirn abwischend, Ehr— 
vürden unsern Johann Friedrich aus, wie weit er mit seinem 
Studio vorgeschritten wäre, gab ihm manches Harte zu raten 
uuf, ließ sich mancherlei von der Universität berichten und
	        
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