Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Kindern, die Groschen aus der Tasche gelockt werden, und der 
teine andere Bestimmung hat, als am nächsten Tage zerbrochen 
oder verbogen in den Mällkbasten zu wandern. 
Unangenehm empfand ich auch die zahlreichen Buden mit 
Aluminiumgeschirr. Wenn es auch nicht verkauft, sondern ver— 
lost wurde, jo fragt man sich doch, was diese aufdringlichen An— 
häufungen von blanken Küchengeräten mit unserem Feste zu tun 
hätten. Sie störten zweifellos durch ihre an Messe und Jahr— 
markt erinnernde Aufmachung das Bild. Und wenn das Glücks— 
piel nicht fehlen soll, so sinde ich die frühere Einrichtung, 
Dfefferkuchen und dergl. auszuspielen, anheimelnder. 
Auch die Frage der Verkbaufsstande ist von der Jugendbewegung 
in gedeihlichen Sinne aufgegriffen worden. Wäre nicht bei einem 
Dolksfeste die beste Gelegenheit, den Leuten statt minderwertigen 
Schundes etwas Gutes anzubieten und so auf ihren Geschmack 
sördernd einzuwirken? Dies ist schon durch Verbauf von guter, 
billiger Literatur und von allerlen Kleinkunst und Kunsthandwerb 
mit bestem Erfolg unternommen worden und jsollte weiter ausgebaut 
werden, sodaß auf jedem Volksfest etwas Derartiges vorhanden 
wäre. — 
Die übrigen Schaustellungen stören das Fest wenig oder nicht. 
Es ist eines jeden eigene Sache, ob er sie bejuchen will oder nicht, 
uind was er dabei davonträgt. Nur offensichtlich auf Lüsternheit 
pekulierende Vorjũhrungen sollten von Volksfesten ferngehalten 
werden. 
Nun aber bommen wir noch zu einem Kreuz unjserer Volbs- 
feste: Das sind die Schaukbeln, Karussells und verwandten Be— 
justigungen. Kein Mensch wird an sich etwas dagegen haben. 
Kräftige Bewegung — (sie bönnte freilich auch im Wettspiel und 
Keigen geübt werden) — macht eben Vergnügen, und wie früher 
nancher sich auf einem hölzernen Rosse stolz in jelten erlebtem 
hochgefühle vorkam, so reizt heute das im Kreise herumrasende 
Auto oder der Fliegersitßz. Was aber diese Dinge so schauderhaft 
nacht, das ist die damit, wie es scheint, untrennbar verbundene 
Drehorgel — nein, Musik darf man das nicht nennen: das 
Drehorgelgeheul! Seitdem diese wunderbaren Erfindungen gar 
ioch elektrijch betrieben werden und sich einer Mark und Bein 
durchdri igenden Tonstärke erfreuen, sind sie zu wahren Land- und 
Festplagen geworden. Auf unserem Erntefest insbejondere drängten 
sie sich so vorlaut hervor, daß oft die Tanzmusik ũbertönt wurde, 
penn es auch nicht so schlimm wie vor drei Jahren war, wo durch 
eine unmittelbar am Tanzplatz aufgestellte Luftschaukel die Musik 
iberhaupt nicht mehr zu Worte bam. 
Kärzlich fand in Heiligenstadt ein großes Eichsfelder Heimat- 
est statt. Ich las, daß dabei der ganze Troß der erwähnten 
Dolbsbelustigungen vom Festplatze verbannt war, und das ist gewiß 
das Erstrebenswerteste. Wollte man aber entgegenkommender 
zegen die Schausteller sein, jo wäre doch zu fragen, warum drei 
neben einander stehende Karussells denn durchaus drei Orgeln zu 
gleicher Seit in Betrieb haben müssen? Eineé allein für alle drei 
äte es doch auch, bein Mensch wũrde sich deswegen beschweren, 
uind Kraft bönnte auch noch gespart werden. Im Falle des 
Allendorfer Erntefestes fragte es sich sogar, ob nicht dieser 
janze Schaustellungsbetrieb auf den unfern gelegenen Alleerasen 
erwiesen werden bönnte, eine Maßnahme, die den eigentlichen 
Festplaßß entlasten und jseiner eigentlichen Bestimmung als 
Freiluft ⸗Tanzplatz zurückgeben und für die Schausteller gewiß 
zeine Einbuße bedeuten würde. Nur das Althergebrachte müßte 
zier wieder einmal aus seiner Trägheit aufgerüttelt und durch— 
»rochen werden. Wenn schon das für jedes Ohr, das hören bann, 
unerträgliche Durcheinander der Musikmaschinen nicht zu vermeiden 
ein soll, jo wäre seine Abtrennung von der Tanzmusik doch ein 
gewaltiger Fortschritt zur volllommeneren Gestaltung des Festes. 
Schließlich wãre noch zu erwägen, ob nicht auch in der Aus— 
vahl der Schaustellungen und Belustigungen ein Fortschritt zur 
ilten, guten ÄÜberlieferung und zu echt volkstümlichen Darbietungen 
erzielt werden bönnte. Insonderheit sollte den Kindern niemals 
das altbeliebte Kasperletheater fehlen, das ja verschiedentlich eine 
Auferstehung gefeiert hat. Abwendung von der bloß technischen 
Dervolllommnung und Räͤcklbehr zum Schlichten, Bodenständigen 
und Heimatgemäßen heißt hier die Parole. — 
Ein Punbt wäre schließlich noch zu erwähnen: Die Krone des echten 
OHolksfestes ist der Tanz im Freien, womöglich unter alten Bäumen. 
In Allendorf sind wir so glücklich daran, diese Bedingung aufs 
Oollkommenste erfüllt zu sehen. Die wackere bäuerliche Musik- 
lapelle aus dem benachbarten Orferode läßt es nicht an sich fehlen, 
und am Häuschen steht die Tanzfolge angeschlagen, die nur alte, 
bekannte Rundtänze aufweist. Aber welche Anarchie ist heut— 
zutage im Tanzwesen ausgebrochen? Man traut ja seinen Augen 
nicht, wenn man sieht, was aus den alten Rundtänzen unter dem 
Einfluß der aus dem Ausland eingeschmuggelten Seuche der 
Nigger- und ähnlicher Tänze gemacht wird. Man woiß nicht, ob 
nan mehr lachen oder schelten soll im Anblick dieses wüsten 
durcheinander von Paaren, die, meistens mehr schlecht als recht, 
ie seltjamsten Verrenkungen produzieren. Jeder macht etwas 
inderes als der andere, und da dielen das musibalische und rhyth⸗ 
nische Empfinden ziemlich stark abgeht, so sieht man oft nicht ein- 
nal eine Bewegung, die sich dem Tabte anpaßt, sondern nur 
»olllommenste Unordnung und Disharmonie. Und das Schlimmste 
jt, daß unser Jungvolk schon selbst nicht mehr merbt, wie lächerliche 
figur es mit diesem Schreiten, Wankben, Kleben, Schieben, Fallen 
nacht! Die unfreiwilligen Serrbilder, die sich so ergeben, bönnten 
inen vor Lachen erstichken lassen, wenn man sich nicht wieder 
ber diese Verderbnis des Begriffes „Tanz“ ärgern müßte. Wie 
eltene Lichtpunkte in dem Hexenbessel erscheinen einem einzelne 
)aare, die den Walzer, Kheinländer u. s. w. auf alte, echte Art 
anzen und damit wenigstens überhaupt Tanzende darstellen. Und 
och drastischer wird der Gegensatz, wenn zum Triolett, dem alten, 
hlichten und lustigen Allendorfer Tanze, aufgespielt wird. Hier ist 
reie, fröhliche Bewegung, und man sagt sich, wie dieselben 
Nenschen, die hier mitspemgen, sich gleich darauf wieder der Un— 
atur der modernen Untänze ergeben bönnen. O heiliger Stumpf- 
inn der Mode, welche allgewaltige Macht bist du dochl Aber es 
obird Seit, daß hier eingegriffen und eine Keabtion durchgeführt 
»ird! Es ist nicht zu verlangen, daß sich die Allgemeinheit zu 
Zeigentänzen im Sinne der Jugendbewegung bekbehren soll; der 
Zundtanz wird für sie immer das Gegebene sein. Aber das ist zu 
erlangen, daß die Kultur des Rundtanzes wieder in alter Rein— 
eit aufgegriffen und gepflegt wird. Besteht das Verlangen nach 
twas Neuem, was bein Vernünftiger tadeln wird, so kbönnen genug 
erlieferungen aufgenommen und weiterentwickelt werden, die 
ius unserem eigenen Besitze stammen, ohne daß wir nötig haben, 
die amerikanischen Affen- und Apachentänze nachzuahmen. — 
Alle Bestrebungen aber zur Hebung unserer Volksfest-Kultur 
verden solange unnütz und vergeblich sein, bis wir wieder 
ewiesen haben, daß wir ũberhaupt noch ein Volk sind, d. h. eine 
zemeinschaft, die über allem Besonderen sich in gewissen großen 
ßedanben einmũtig findet. Denn wenn wir diese Gemeinschaft 
cht wieder erreichen bLönnen, so werden auch unsere Volksfeste 
inzulänglich bleiben und, statt sich zu größerer Vollbommenheit zu 
nfwickeln, in lauter Verkommenheit hinabsinken. Wer daher An— 
toß daran nehmen sollte, daß wir in diesen Tagen von Volksfesten 
eden, den wollen wir nicht im Unklaren darüber lassen, daß uns 
ie Volbswerdung in harter Arbeit und in ehrlichem Ringen aller- 
ings an erster Stelle steht. daß wir aber hoffen, sie in die Wirk- 
ichkeit treten zu sehen. Dann erst wird die rechte Gelegenheit 
ein, Volksfeste zu feiern, und dann werden sie immer mehr ge— 
eiert werden, wie sie gefeiert werden sollten: In Eintracht, mit 
Keinheit und Sittlichkeit, zur Erholung und Freude! 
— * 
Heimatlied. 
(Weise: Ich geh durch einen grasgrünen Wald.) 
Dem Knüll-Gebirꝗasverein zugeeignet. 
H Heimat zwischen Fulda und Schwalm, 
Du heerliches Fleckchen Erde! 
Da rauscht noch im Wind der Wald seinen Pfalm. 
Bunt blũh'n die Triften, es reift der Halm, 
Da ipricht noch der Herraott sein Werde. 
Ihr Heimatberge, wie ragt ihr kühn 
Hinauf in des Himmels Bläue! 
Fin Mantel umwoallt euch licht und grün. 
Ich weiß, in euren Tiefen glũh'n 
Noch Schätze der Hessentreue. 
Ihr Heimattäler, euch gilt mein Preis! 
Pie seid ihr von Bächen durchronnen. 
Da waltet der Friede, da schaltet der Fleiß, 
Da lauschen die Kinder noch scheu und leis 
Dem raunenden Märchenbronnen. 
O Heimat zwischen Fulda und Schwalm, 
Dich will ich wandernd erringen. 
Denn Berg und Tal mit Baum und Halm 
Sind helle Stimmen im frohen Pjalm. 
Dir, Heimat. soll er erblingen! 
2 
Nachdruck nur nach Abereinbunft mit dem Herausgeber gestattet. 
derausgeber: Konrad Bornecker. Druck und Verlag: MA. Bernecker in Melsungen.
	        
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