Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Wilhelm Thielmann *. 
Am Totensonntag (283. Mobp. 1024) haben wir in Willings- 
»ausen (Krs. Siegenhain) unter großer Beteiligung von Känstlern, 
Freunden von nah und fern und Bewohnern von Willingshausen die 
terblichen Überreste eines als Künstler und Menschen verehrungs- 
pũürdigen Mannes, des Kunstmalers 
Profesjor Wilhelm Thielmann, der 
Erde übergeben, nachdem ihn am 
Buß- und Bettage (19. November) in 
Kassel, wo er bei Freunden zu Bejsuch 
weilte, ein Schlaganfall dahingerafft 
hatte. W. Thielmann wurde am 
10. März 18608 zu Herborn in bleinen 
Oerhältnissen geboren. Er besuchte 
die Kealschule, später die Präparande 
einer VDaterstadt und alsdann das 
Seminar zu Alsingen. Schon als 
ehnjähriger Knabe war er als 
Zeichner soweit fortgeschritten, daß 
er in rũhmenswerter Weise seine 
Mutter zeichnen bonnte. Seine künst⸗ 
lerische Begabung machte sich wäh⸗ 
rend der ganzen Schulzeit bemerbbar 
besonders in humoristischen Seich- 
nungen. Dann war er Lehrer in 
einem Orte bei Frankfurt a. M. 
Während diejser Seit besuchte er 
nebenbei die Frankfurter Kunst— 
gewerbeschule. Später bam er nach 
Kassel. wo er nach weiterem Besuch 
der Kunstgewerbeschule sein Seichen⸗ 
ehrerexamen ablegte. Nun wirhte 
er neun Jahre als Lehrer an der 
Kunstgewerbeschule in Kasjel. Mittler⸗ 
vpeile wurde ihm, der als freier 
Künstler leben wollte, die Schulstube 
zu eng. Ohne jemals eine Maler— 
abademie besucht oder dem Atelier 
eines bedeutenden Meisters angehört 
zu haben, leistete er zunächst als 
Graphiker ganz Hervorragendes. 
Wohl in allen Hessenstuben hängen 
Oervielfältigungen nach des Meisters 
herrlichen Seichnungen. Seine Ka⸗ 
hierungen und Strichätzungen (später 
entstanden) fanden weitgehende Be— 
achtung. Vor einigen Jahren erst 
wandte er sich der Farbe zu. um auch hier eine ganze Anzahl 
äußerst wertvoller EOl- und Aquarellbilder zu schaffen. Geschah 
dies anfangs gleichsam wegsuchend, so lagen doch in W. Th. soviel 
Qualitäten, daß er auch hier seinen Weg zu einsamer Höhe bald 
aus eigener Kraft fand. An allen Bildern W. Thielmanns rühmen 
vir das feine Abstimmen der Farben gegeneinander, das Nach— 
gehen bis ins bleinste und feinste, die Behandlung von Licht 
uind Luft, in die die Gegenstände in ganz vortrefflicher Weijse 
gestellt sind, den vorzüglichen Aufbau und die Komposition. Seien 
2s Seichnungen oder eigentliche Malereien, sie alle atmen Freude 
am Leben („Morgen gibt's Sonne!“ 
das war ein oft gehörter Aus— 
spruch Wilhelm Thielmanns) und 
tiefes Eindringen in den Gegenstand. 
Er war mit den Personen verwachsen, 
die er als Seichner oder Maler 
wiedergab, wie er auch als Mensch 
mit seinen Willingshäusern immer 
gern und freundlich verlehrte. W. Th. 
bannte die Schwälmer und hat sie 
jo dargestellt, wie sie sind, nichts hat 
er beschönigt und nichts ũbertrieben. 
Er war ein echter Heimatkäünstler, 
der diese Menschen nicht ihrer 
farbenreichen Tracht, sondern ihres 
ungeschminkten ganzen Wesens wegen 
als malerische Objebte bevorzugte. 
Einzelne jeiner vielen Bilder zu 
desprechen würde zu weit führen. 
Es mag nur noch hervorgehoben 
werden, daß W. Th. auch als Kari- 
laturenzʒeichner Bleibendes leistete. 
Daß ihm die Illustration besonders 
iag, ist bei seiner eigenartigen Be— 
gabung selbstredend. Er war als 
Illustrator für erstklassige Werke und 
Zeitschriften begehrt. Für uns hat 
er u. a. die Seichnungen zu Joh. 
H. Schwalms Erzählung „Swischen 
den Mühlsteinen des Lebens“ hervor⸗ 
gebracht. 
Zuletzt wohnte er, wohl an die 
30 Jahre, auch nach seiner Verhei⸗ 
eatung, ständig in Willingshausen, 
wo er ein Haus besitzt, das er erst 
bor einigen Tagen mit seiner teuren 
Gattin bezogen hatte. So lange das 
„Malerstübchen“ in der jetzt ein- 
gegangenen Haaseschen Wirftschaft 
bestand, war er dort wegen seines 
unversieglichen, sonnigen Humors 
(wie dereinst im „Wilden Wasser“ 
n Kassel) ein gerngesehener Gast, der neben Bantzer als 
länzender Dertreter der „Willingshäuser“ genannt zu werden 
erdient. Möge ihm die Willingshäuser Erde leicht sein. Nicht 
ainder als die hessijsche Heimatkunst hat die große deutsche Kunst 
nit dem unerwarteten Tod Meister Thielmanns einen herben 
Derlust erlitten. Schw. 
—4 
Aus alter Seit. 
So fejt wie Siegenhain! 
Von Heinrich Ruppel. 
zie Freiheit gab, ließ er ihn geloben, alle seine Geschütze auszu⸗ 
iefern und alle Festungen des Hessenlandes zu schleifen bis auf 
»ine. Und diese eine war Siegenhain. Der Bevollmächtigte des 
Zaisers, Graf Reinhard von Solms, rückte mit hundert Gehar— 
nijschten in Hessen ein, um die Werbe der Serstörung zu voll— 
»ringen. Er erschien — entgegen allen Abmachungen — auch 
»or Siegenhain und verlangte dessen Auslieferung. Doch Heinz 
»on Lüder, der wackere Kommandant,. wies ihn mit echtem 
Manneswort zurück: „Der freie Landgraf hat mir diese Festung 
ibergeben, und dem freien Landgrafen werde ich sie überant- 
porten.“ Frisch ließ er dazu die Geschütze spielen, daß den 
Zaiserlichen alle Lust verging. Den Kaiser wurmte dieser Trotz. 
Und der gefangene Landgraf mußte ihm versprechen, wenn er 
einer Fesseln ledig sei, seinen Getreuen in Ketten unterm 
Tor der Festung aufhängen zu lassen. Wort ist Wort, und 
venn man's auch erzwungen gibt. Heimgekehrt schlang Philipp 
einem treuen Heinz von Lüder eine schwere goldne Kette 
im die Brust, daran er ihn einen Augenblick unterm Festungstor 
mporziehen und wieder zur Erde nieder ließ. Diese Begebenheit 
at unser Mitarbeiter J. H. Schwalm in seiner dramatischen 
dichtung „Hessentreue“ verherrlicht. 
Wer Lennt nicht dieses stolze Wort der Hessentreuel Aber 
alles Große und KRũhmenswerte will ehrlich erworben sein. So 
hat auch die alte Hessenstadt an der Schwalm den KRujf der Festig- 
deit und Treue nicht ohne Kampf und Sieg erhalten. Sie wurde 
oft bestürmt, doch nie erobert, und sie bewährte ihren Trotz und 
hre Treue in mancher schweren Belagerung. Daher das stolze 
Wort: „So fest wie Siegenhain!“ 
Wir zeigen heute das Heinz von Lüder-Tor im Bild. Gerade 
an die Heldengestalt des Heinz von Lüder, der einem buchischen 
Heschlecht entstammte, knũpft sich zuerst der Ruf der Treue. Sein 
Herr, der Landgraf Philipp der Großmũtige, zog seines Glaubens 
wegen gegen seinen Kaijer, den Spanier Karl V., zu Felde. 
Aber der Schmalkaldische Krieg ging für den Landgrafen und 
einen Bundesgenossen verloren. Notgedrungen unterwarf sich 
Philipp dem gestrengen Kaiser. Der führte ihn gefangen fort. 
Zu Löwen und Mecheln in den Niederlanden ließ er ihn in 
langer Haft die Kühnheit büßen. Und eh' er dem Gefangenen
	        
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