Lenbe getrost Deine Schritte durch die Straßen der Stadt,
Du wirst nicht mehr erschrecken vor dem holperigen Steinpflaster,
das ist vor bald dreißig Jahren in neuzeitlicher Weise ersetzt
vorden. Und die romantischen Strohdächer? Fürchte beine
Feuersbrunst, die letzte Strohhaube ist auch um jene Seit abge—
sommen worden. Nicht am grünen Tisch sind die Namen der
Straßen bestimmt, sondern vom Volksmund gebildet worden. Wie
heimelig muß es sich doch wohnen in der dunklen Gasse und Kitter-
traße, wie jrei wird man atmen am Obermarbkt und auf der Burg!
Kurzweilig erscheint jeder Gang durch die Stadt, alle paar Schritfe
vpendet die Straße nach rechts oder linbs um, die Sehbraft des Auges
cheint zu erstarken, zumal, wenn böstliche Ausblicke belohnen.
Hier läßt eine Straßenlücke den Blick nach dem Turm der
Liebfrauenbirche offen, dort schließt ein malerisches altes Haus
am Eingang zur engen Gasse das Straßenbild. Steil blimmt
man den Kirchberg vom Untermarbt aus empor. An der Futter-
mauer der Pfarrkirche liest man: Anna Martha Casper Dietrichen
Witwe gibt zur Wiederherstellung der anno 1761 von den Franzosen
euinierten Treppen 500 Taler. 1166. Welcher Gemeinsinn einer Witwe!
Und dann betritt an einem klaren Tage den Umgang des wieder in
alter Schöne erstandenen Kirchturmes und laß den Blick hinunter auf
ie Stadt zu Deinen Füßen und in die Ferne zu den Bergen ringsum
schweifen! Für burze Minuten neigen sie die Häupter zueinander
und tauschen dann in langen Blicken Grüße und Gegengrüße.
VDor dem immer noch stattlichen. blosterartig angelegken Hospi-
talgebäude mit seinen langen Gängen und Sellen zu beiden
Seiten stehen wir am Sonntag Vormittag und lauschen dem
Orgelton und Gemeindegesang von zwei Kirchen zur Kechten und
zur Linken; ein frommer Schauer durchrieselt unsere Brust. Der
Blick von der Höhe des Haines herab ist reizvoll, zwar nicht mehr
o einfach natũrlich wie vordem, aber doch wohltuend belebt durch
hen Kranz neuer Villen, der sich hier aufgetan hat, und das bunte
Bild söhnt vollständig zwischen Gegenwarf und Vergangenheit aus.
Der Anblick von Mauerresten der Frankenburg entrückt uns
dem Jetzt, die landgräflichen Burgmannen verlassen in Eisenhelm
und Lederboller das Schloß, um den angemeldeten Landesherrn in
hie harrende Stadt zu geleiten. Noch waren ansehnliche Trümmer
yorhanden, bis der Oberst von Todenwarth vor einem und einem
hiertel Jahrhundert dem Burgplatz seine heutige ebene Gestalt
gab, und ihm dadurch vielleicht den Eindruck von der Hinfällig—
beit aller menschlichen Macht und Pracht nahm. Im Bismarck-
ahr 1805 setzte man in der Nähe des Todenwarth-Steines eine
Fiche aus dem Sachsenwald. Noch mehr solcher Bäume sollte
man pflanzen, zum Gedächtnis von Tagen der Feier, oder Menschen,
die sich Verdienste erwarben, zur Ehre.
Wie Bäume und Baumgruppen freistehenden Häusern Ge—
cchlossenheit geben, erkennt man wunderbar an dem alten Rüb—
am'schen Hause am Goßberg. Auch dorthin lenke einmal Deine
Schritte, und Du wirst dem recht geben, dem das Haus von
peitem gesehen wie ein verträumtes Schloß erscheint und den
Kindern gewiß den Märchenschlaf Dornröschens vorzaubert.
Welch prächtige Alleebäume sind die im Sommer so süßduftig
blühenden Einden „unter“ dem Goßberg, die nur noch vereinzelt
uftauchenden, zur Blũtezeit gleichsam von Weihnachtskerzen be—
etten Kastanien! Die Friedhöfe aber umhegten dichte Fichtenhecken,
ie dem Orte der Kuhe das Weihe- und Geheimnisvolle geben. Aus
Ueinen Sierbãumchen, einst auf ein Grab hier und da gepflanzt, ist ein
Hain von Sypressen. Trauerweiden und Hängeeschen erwachsen.
Nicht nur Talgrund und Hochfläche, sondern auch abschüssiges
Helände ist hier bebaut, wodurch ganz besonders Schönes geschaßssen
vorden ist. In den letzten Jahrzehnten wuchs ganz neu eine
frische Empfindung für Natur und Landschaft, und ringsum sind
allerliebste bunte Landhäuser zum schmückenden Kahmen der
Stadt geworden. Was für eine herrliche Aussicht ins Eddertal
nögen auch die Lühn dreinblickenden Häuser am Kegelberg ge—
vähren! Sie schauen hinüber zum Goßberg, der Hochwarte der
nächsten Umgebung, zu dem Berge, der mit nach Osten stolz
ufgereckter Gestalt wahrlich eine achtunggebietende Stellung ein—
zunehmen scheint.
Frankenberg ist eine echte Hessenstadt, erfüllt von neuzeitlichem
eben, das dem guten Alten aber so lange als möglich Kaum
henkt. Vor dem letzten Kriege erblangen die Weisen der
ztfadtkapelle fast alltäglich vom Turm der großen Kirche über die
eiedliche Stadt. Leider ist diese regelmäßige Ubung der Ungunst
er Derhältnisse zum Opfer gefallen; doch hat dankenswerter Weise
er bunstgeübte Kapellmeister Herguth freiwillig die Einrichtung von
Natzmusik an geeigneten Stellen der Stadt übernommen. Und noch
mmer zieht alljährlich am Freitag vor Pfingsten und am dritten
ingsttag die Franbenberger Schuljugend in militärischer Weise
ewaffnet „in den Mai“. Sieh nur, wie die Augen der Kleinen
länzen vor Freude, und wie sie der stolze Gedanke aufrichtet,
3 imposanten Sug selber aufgestellt, geleitet und befehligt zu
aben.
Noch ist dann ja Frühlingszeit, die Gärten prangen in ihrem
Blütenflor, die Bäume blitzen von zartem Junglaub, Drosselsang
ind Finkenschlag erfüllen das Gezweige. Allerlei buntes, wildes
ßerankb umzieht den Schloßberg, entzückende Stilleben bildend,
im Goßboerg läßt man dem wilden Gebüsch und Geblüm seinen
Natz, und man darf an Wildrose, Weißdorn und Brombeere seine
elle Freude haben bei jedem Schritt und Tritt. Und nun
xst bei der Vogelwelt gibt es fast beine Grenzen zwischen Stadt
ind Umgebung. Als Brutvogel hat hier W. Sunbkel den bleinen
rrchenfarbigen Wiesenpieper angetroffen. Braunkbehlige Wiesen-
hmätzer, Gold und Grauammern, Feldlerchen, Sumpfrohrsänger,
Zachstelzen, Baumpieper, Buchfinken, Stieglitze, Bluthänflinge,
raue Fliegenfänger und Dohlen beleben die Gegend und erhöhen
en Keiz des bunten Bildes.
Und auch in den Sommerkagen ist es schön in der bunten
ztadt an der Edder. In aller Frühe khnarren die Wagen aus
llen Toren, hinaus in den taufrischen Morgen, auf die Acker,
Viesen und Weiden. ÜUberall sind Blumen, blühende Abhänge,
achende Felder, nahe der duftende Wald. Ein schwellendes
Noospolster bildet seinen Untergrund, in buntem Wechsel unter—
rochen von ũppig wuchernden Farnen, Heidelbeergesträuch und
RAlzen. Auf anderen Gängen gewahrst Du munter rauschende
lare Bäche, lustig durch von Blumen übersäte Wiesengründe
lãtschernd. Erfrijchender Hauch entströmt den nahen Waldungen
ind dämpft angenehm die sommerliche Hitze. Keine Luft, reich
in Ozon, das ist es, was schon manchem Großstädter hier die
ingegriffene Gesundheit wieder verliehen haft und ihn mit
dankbarbeit an die an Naturschönheiten so reichen Spazierwege
enben läßt.
Die Landschaft um Franlbenberg trägt, was namentlich im
derbst deutlicher zu Tage tritt, einen Mittelcharabter, da ihre
Zerge von mäßiger Höhe und auch ihre Formen gemildert sind
ind das Anmutig-Freundliche überwiegt. Einen Sug ins Groß—
rtige bringen die Berge, Wälder, Höhen, Klippen und Talgründe
es Heinagebirges. Immer wieder aber ist die bunte Edderstadt der
Nittelpunkt, der von Nah und Fern anzieht, der markante Hinter—
rund, der das Auge mächtig zu sich hinaufzieht, und immer das
ẽddertal der liebliche Vordergrund. Den schönsten BSlick hat man
om gegenüberliegenden Goßberg aus, der seit einer Keihe von
Jahren an seinem Fuße mit Villen und Gärten besetzt ist und bald
in anmutiges neues Viertel von Franbenberg bilden wird.
Sobald Frau Holle ihr weißes Gewand über die Berge aus—
reitet und Schönheit um Schönheit in Feld und Wald hervor—
aubert, dann vermag manchen nichts mehr in den heimischen
Nauern festzuhalten. Da werden Musbeln und Sehnen im Freien
estählt, die Wangen gerötet und Kräfte zu freudigem Schaffen
ejammelt. Immer größer wird die Sahl derer, die den Winter—
port und die Wintergenüsse in den Bergen bennen lernen wollen,
ind dazu finden sie bei Frankenberg sehr geeignetes Gelände.
Auf Schneeschuhen über die glitzernden Gefilde dahinzugleiten,
jt ein großes Vergnügen. Rodelbahnen und Eisflächen Lönnen
eicht hergerichtet werden. Bei der überaus wohltuenden Ausũbung
des Wintersports lauscht die Seele fragend in die Tiefen der
autlojen Wälder, Ferne auf Ferne öffnet sich, und auf der Totenhöhe
jeift der Wind die letzten Töne der ewig gleichen Naturmelodie.
VDom Pulsschlag der Heimat.
Schnurrpfeifereien.
Wo wohnt dann onsem Jerrjehenner sin Padde?
Swischen schönen Bergen, umfriedigt von Buchen- und Tannen-
vãldern, liegt das Dörfchen R. an der Esse, einem Nebenflũßchen
der Pfieffe, die sich unterhalb Malsfeld mit der Fulda vereinigt.
In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts lebten in
K. zwei Brüder und eine Schwester namens Niemeyer. Doer
iltere Bruder hieß Hans und hatte so'n Kiewewaerkchen von
ehn Acker. Sin Bruder war der Jerrjehenner, der hatte etwas
nehr unter den Füßen. Die Schwester hieß Gädderlis (Gertrud
klijabeth). Sie war ledig geblieben — warum, das weoeiß ich net;
enn ich war damals erst neun Jahre alt und hatte noch beinen
dinn für derlei Frejegeschichten (Heiratsgeschichten). Die ledige
ßSädderlis lebte bei ihrem Bruder Jerrjehenner.
Nun hatte der Jerrjehenner sem Bruder Hans 'n Jonge vär