Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

er wieder die Spubgestalten, allerlei Getier schien auf ihn 
loszustürmen, die ganze Hölle ihre Wut an ihm auszulassen. 
„Hu, hul“ schrie's in den Lüften, „wau, wau, waul!“ im 
Walde. Hier pfiffen Tausende von Mäusen, dort sah er 
ebelhafte, langgeschwänzte Katten ihren grausigen Keigen um 
ihn tanzen, und dazwischen ertönte wieder das schauerliche 
Verloren! Verloren! Verloren — — —I* 
Da sprang der von den Spubgestalten seiner Einbildung 
perfolgte in der Not des Deliriums auf und stürmte wie 
rasend vorwärts. 
Dort blinkte der Fluß, die Schwalm, im rötlichen Scheine 
des heraufziehenden Tages und schien ihn zu locken mit 
unwiderstehlicher Gewalt, und kaum berührte ihn die bühlende 
Flut, so verschwanden die Spubgestalten. 
Nun war's aus mit ihm, das Wasser hatte die Schwanen- 
arme um seinen Nacken geschlungen. Da, auf einmal trat 
klar und deutlich die Gestalt jeines Weibes vor sein geistiges Auge. 
Hu, wie er sie haßtel Blitzartig durchfuhr ihn der Gedanke, 
daß er sie durch seine Tat befreie. „Gott v...m...l noch 
einmal“ knirschte er den gotteslästerlichen Fluch, „sie heiratet 
diesen verfl ....I“ 
Er machte brampfhafte Anstrengungen, sich der nassen 
Gewalt zu entwinden. 
Dergeblich ... 
Kuhig glitt die Schwalm dahin, leisje, leise murmelte sie 
ihr Lied, eine Klage über Menschensünde und Menschen- 
jammer, tief neigten sich die Weiden, und die Tautropfen 
fielen sanft hinab wie Tränen ins nasse Grab eines 
ODerlorenen ...... 
16. 
Heute war der Berghöfer begraben worden. Wan hatte 
ihn nach einigen Tagen aufgefunden, und da angenommen 
wurde, daß er verunglückt jei, begegnete der „traurige Fall“ 
allgemeiner Teilnahme. Nach nah und fern eilten die Leichen- 
bitter, die VBerwandten und Freunde zum Begräbnis einzuladen. 
Oer Pfarrer hielt eine rührende Kede, die Schulkinder 
sangen. Ja, der Berghöfer wurde mit allen Ehren seines 
Standes bestattet.... 
Wieder waren vier Wochen verflossen, die Schuldner 
meldeten sich, und die Verwandten, die gehofft hatten, einen 
fetken Bissen zu erhalten, da ihr Vetter Willem ohne Erben 
gestorben und seine Frau nicht erbberechtigt war, machten 
immer längere Gesichter. 
Els allein blieb in diesem Trubel ruhig, sei es, daß ihr 
Herz durch das viele Elend, das es im Laufe der Seit hatte 
durchkämpfen müssen, abgehärtet war, oder sei es, daß sie 
überhaupt nicht wünschte, von dem Vermögen ihres verstorbenen 
Mannes auch nur einen Heller zu bebommen. Sie ging 
still ihees Weges und tat bis zum letzten Augenblick ihre Pflicht. 
Termin auf Termin wurde abgehalten, bis auch nicht 
ein Stein bei dem andern blieb. 
Nun sollte noch das furchtbarste für Els kommen. Ein 
superkluger Verwandter des Berghöfers hatte herausgefunden, 
daß dieser die dreitausend Taler, welche der alte Wurzelbast 
empfangen, seinem Schwiegervater geliehen, dazu auch noch 
achthundert Taler für andere Schulden für ihn bezahlt habe. 
Darauf fußten die Erben und verlangten diese Posten zurück. 
Noch einmal lebte in der Waldmühle das alte Prozeß- 
elend mit all seiner Unruhe und seinen Kämpfen auf, aber 
es war diesmal noch schwerer zu tragen als früher. Die 
Müllersleute waren älter geworden. 
Els preßte es fast das Herz ab. Sollte ihr ganzer 
Jammer umsonst gewesen sein! Sollte sie ihr ganzes Lebens- 
glück umsonst geopfert haben! Konnte das der liebe Gott 
virblich zulassen? Galten vor ihm alle ihre Tränen, die sie 
geweint hatte, nichts, gar nichts ? .... 
Sie hielt die Vorladung in ihrer Hand: „Auf den 
5. Obtober Termin in der Sache von Wilhelm Berghofs 
Erben gegen Klaus Heinrich Waldmüller.“ And es lag in 
hrer Gewalt, den Prozeß, soweit er die dreitausend Taler 
inging, zugunsten ihrer Eltern zu entscheiden, wenn sie, so 
alte der erfahrene Anwalt erblärt, den Kichtern die Ver— 
ältnijse wahrheitsgetreu schildere, unter denen ihr verstorbener 
Mann dazu gekommen jsei, für ihren Vater die Sahlung des 
Seldes zu leisten. 
Lieber Gott, sie sollte blutfremde Menschen einen Blick 
n ihr Inneres tun lassen, den Richtern und Geschworenen 
jegenüber entblößt dastehen! Mußte nicht dennoch der 
ichthundert Taler wegen Haus und Hof veräußert werden? 
Sie Lämpfte einen heißen, ehrlichen Kampf mit sich selbst. 
Fin Menschenherz, in dem dieses Kingen tobt, gleicht der 
eblagenswerten Feldmark, über die der Donner der Feld- 
chlacht dahinbraust. Blaß und abgehärmt schlich sie in der 
Mühle herum, denn den Berghof haͤtte sie längst verlassen. 
Aber schließlich nahm sie sich vor, ihrem Anwalte zu 
olgen. „And sollte es nichts nützen,“ gestand sie sich, „so 
vill ich es als eine Sühne für den Frevel an meinem eigenen 
herzen betrachten, für die Sünde, daß ich mich ohne Lieb 
im jchnöden Mammon verbaufen bonnte.“ 
Mit dieser festen Vornahme stand Els vor Gericht. 
Es bedurfte nur eines freundlichen Wortes seitens des 
Ddorsitzenden, und sie begann: „Ich verlebt meine Jugend 
n unserer Mühl, und ich hing an dem Plätzchen mit meinem 
janzen Herzen. — — 
Da kbam eines Tages ein Mensch in die Mühl und 
ehauptete, sie gehör eigentlich ihm. Jahrelang wurd ein 
Rozeß um sie geführt. 
Endlich entschied das Gericht, mein Dater sollt dem 
fremden dreitausend Taler Abstand bezahlen. Das hieß mit 
inderen Worten, meine Eltern sollten von Haus und Hof 
erteieben werden. Ich bonnt sie retten. Da war der Berg- 
ofbauer, der begehrt mich zur Frau und wollt dagegen 
ie Schulden meiner Eltern bezahlen. 
Zwar — — ich — liebt ihn nicht und wär lieber 
jestorben, hätt mein Herzblut die Eltern zu retten vermocht, 
iber — — hier galt nur ein Preis, ich selbst. Ich — zahlt 
hn, und der Berghofbauer rettete die Eltern. Summe 
jegen Summe.“ 
So erzählte Els schlicht und einfach den Hergang. 
Der Spruch des Gerichts lautete, daß Klaus Heinrich 
Valdmüller nicht schuldig sei, jene dreitausend Taler zu 
eʒahlen. Dagegen werde ihm aufgetragen, die achthundert 
Taler, die ihm sein verstorbener Schwiegersohn nach und nach 
geborgt hatte, alsbald zu entrichten. 
Die Waldmühle mußte deshalb zum Verbkauf gestellt 
perden. 
17. 
Der Tag war gekommen, an dem die Waldmühle versteigert 
oerden sollte. Dichtgedrängt saßen die Käufer und Neugierigen 
n der geräumigen Wohnstube und lauschten den Angeboten. 
Zesonders heiß wogte der Kampf zwischen dem alten Wausche 
ind Wurzelbast. Endlich aber schien Bast Sieger zu bleiben, 
enn sein Gegner bot nur noch zögernd immer um einen 
inzelnen Taler höher. 
Da wurde die Aufmerksambeit der Dersammlung auf 
inen jungen Mann gelenbt, der schon eine geraume Weile 
»em Tun der beiden Hauptbieter zugehört hatte, ohne ein 
Vort zu sagen. Schluß folgt.)
	        
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