Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Anstrengung geschafft werden, um wenigstens noch einen Teil 
der Ernte vor dem Regen zu bergen. Els selbst eilte ins 
Feld und arbeitete, was sie konnte. Aber noch schneller 
arbeiteten ihre Gedanken. Hinter dem letzten Wagen kehrte 
sie heim, da, als sie an dem Häuschen Kenners vorbeiging, 
da drangen jene Töne aus ihm hervor, die sie wachend und 
träumend verfolgten. Hans Kenner war zurückgebehrt. 
DAuf der Treppe aber stand der Berghöfer, grinste sie 
höhnisch an und sagte: „Hörst du? — da drüben, dein alter 
Schatz spielt den Hochzeitsmarsch. Was gibst du, wenn ich 
dich ihm ablaß — —“ 
Sie antwortete ihm nicht. Was sollte sie auch sagen? 
Er war ja betrunben! In ihrer Kammer kniete sie nieder 
und betete um Stärbe und um Hilfe gegen ihr eigenes Herz, 
indes ihr Mann mit dem Fuß gegen die Kammerkür trat 
und ihr allerlei Schimpfnamen zurief. 
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„G'n Tag, Hans.“ 
„Großen Danb, Els. Wie geht's?“ 
Hans Kenner und Els begrüßten sich in dieser Weise 
und näherten sich dann der Hecke, die sich zwischen ihrem 
Grund und Boden hinzog. And weil sich in der Hecke eine 
Lücke befand, standen sie sich bald ganz nahe Auge in Auge 
gegenüber. Ihre Herzen waren sehr beblommen, als ob sie 
auf verbotenem Wege wandelten, und das war doch nicht 
der Fall; sie begrüßten sich wie alte Bebannte, die sich eine 
Zeitlang nicht gesehen haben. 
Aus den Worten der Els klang müde Trauer hervor. 
Hans machte einen schwerfälligen Versuch, seine Frage in 
scherzhaftem Ton zu stellen. 
„Wie mier's geht? Gut, sagt man für gewöhnlich so oben- 
hin, auch ich — spreche darum so. Doch wo hast du die 
drei letzten Jahre zugebracht?“ Verhaltenes Wehe zuckte 
um ihre Lippen, als sie das sagte, und ihre Frage wollte 
nur das Gespräch auf ein anderes Gebiet spielen. 
Hans merbte diese Absicht und erzählte von seinen Irr— 
jahrten, wie er lange habe suchen müssen, bis er sein Brot 
gefunden. „Ja, es ist nicht so leicht, wie man's denbkt, sich 
da draußen durchzusetzen und durchs Leben zu schlagen.“ 
Den Seufzer, der Els bei diesen Worten von den Lippen 
schwebte, beachtete er scheinbar nicht, obwohl er ihm gleich 
einem schweren Stein aufs Herz fiel. 
„Ich bin sogar einige Seit als „Speckmusikant“ herum- 
gezogen, wie man hierzulande die wandernden Musikbanten 
nennt, weil sie manchmal ein Stückchen Speck statt Geld für 
ihren Ohrenschmaus empfangen. Das hat so ein Jahr 
gedauert — — Doch wollen wir uns nicht dort auf die 
Banb setzen? — So, nun erzählt und hört sich's besser — 
da kamen wir eines Tages in eine mittelgroße Stadt, wo 
wir unsere Musik zum Besten gaben. Hier hörte ein Musib- 
kenner, wie ich auf meiner Geige eine Solopartie vortrug. 
Als ich weitergehen wollte, blopfte er mir leicht auf die 
Schulter und sagte: „Ich bin der Professor Weber und 
wohne Luisenstraße 883. Kommen Sie gegen Abend einmal 
zu mir. Geige nicht vergessen!“ 
Ich stellte mich pünbtlich ein — doch was horchst du?“ 
„Es schien mir so, als ob ich Schritte hörte!“ 
„Du wirst dich wohl getäuscht haben, wer wollte uns 
am hellen Tag belauschen.“ 
„Du hast recht, erzähle weiter,“ sagte Els. Sie schwieg 
von ihrer Angst vor Lauschern, obwohl sie einen Menschen 
kannte, der sehr wohl zu diesem Stücklein fähig sein konnte, 
ihr Mann. Mber der saß ja im Wirtshaus und kam. das 
vußte sie leider zu genau, nur um Mitternacht sinnlos 
detrunkben wieder. 
And doch haͤtte sie sich diesmal verrechnet. Der, den sie 
im Wirtshause wähnte, stand beine drei Schritte weit hinter 
hr. So lange Hans Kenner zu Hause weilte, bewachte er 
eine Frau mit Argusaugen. Jetzt, endlich ertappte er sie: 
duh, wie ihm die Augen funkelten. „Dieses Mensch!“ 
chnaubte er, und knirschte mit den Sähnen. Aber er verhielt 
ich still — er horchte. 
Hans fuhr fort: „Beim Professor Weber wurde ich in 
in großes Simmer geführt. Der Herr befand sich nicht allein 
ort, sondern es saßen noch drei oder vier Gäste da im 
Musibsaal. Herr Weber half mir über die erste Verlegenheit 
inweg und nötigte mich dann freundlich, einiges auf der 
Heige vorzutragen. Ich spielte dann auch, so gut ich vermochte. 
Es hereschte ernste Stille während meines Spiels, weder Lob 
roch Tadel wurde laut. Nach dem Spiele trat Professor 
Weber zu mir — auch die übrigen Herren waren aufgestanden — 
ankte mir und fragte, ob ich Anterricht bei ihm nehmen wolle. 
Ich wollte nicht und dachte mir, wer weiß, was solche 
Stunden kosten. Der Professor merbte mir meine Verlegenheit 
in, er mochte sich auch wohl denben, woher sie bam, denn 
nein abgeschossener Kock verriet ihm ja genug. 
Er sagte väterlich: „Es wird mir ein DVergnügen sein, Sie 
imsonst zu fördern, und diese Herren hier sind bereit, Ihnen 
n jeder Weise unter die Arme zu greifen. Aberlegen Sie 
ich meinen Vorschlag und nehmen Sie ihn an.“ 
Jetzt verließ mich der Bann, der auf mir gelastet hatte, 
ind ich rief mehr als ich sprach: „Meine Herren, ich brauche 
ücht erst zu überlegen, ich bin ja von Herzen gern bereit, 
Mhren Vorschlag anzunehmen, verfügen Sie nur über mich. 
Aber ich weiß nicht, wie ich Ihre Wohltat vergelten soll. 
denn ich bin arm.“ 
Da trat einer der Herren zu mir und bemerkte: „Daß 
Sie uns das ehrlich sagen, gibt uns schon die Gewähr, daß 
vir es mit —“ Hans stockte ein wenig, und Els hob den 
uedergeschlagenen Blick zu ihm empor — „mit einem ehren⸗ 
verten Menschen zu tun haben. Sagen Sie mir, wieviel 
jebrauchen Sie vor der Hand?“ Meine Augen wanderten 
»on einem zum andern, und da ich nur freundliche Gesichter 
ah, so faßte ich mir ein Herz und forderte fünfzig Taler. Ich 
volle sie zurückzahlen, sobald ich's vermöge. 
Der freundliche Herr meinte lächelnd: „Hier sind zweihundert. 
aleiden Sie sich anständig, nehmen Sie sich eine Wohnung, 
ind dann bommen Sie und holen Sie mehr.“ 
Els hatte wiederum verstohlen ihren Blick über Hans 
ingehen lassen und entdeckte, daß er sehr gut gebleidet war. 
Ja, er trug sogar einen böstlichen King, mit einem glitzernden 
Ztein wie ein Tautropfen im Morgensonnenstrahl. In ihrem 
Inneern flüsterte eine Stimme: „Don wem mag dieser 
errliche King sein? Vielleicht gar — von — — —“ Aber 
— — sie konnte es Hans nicht verübeln, wenn er — — 
ind doch, es tat ihr sehr wehe. Es war ihr bis jetzt ein 
Trost gewesen, an ihn als an einen Menschen zu denben, 
der in Liebe an ihr hing, der nimmer von ihr lassen werde, 
vie sie, ehrlich eingestanden, ihm im tiefsten, verborgensten 
herzensgrunde dieselbe Els geblieben war wie dereinst in 
lũcklicheren Tagen. 
Auch Hans blickte Els in demselben Augenblicke an, 
ind als ob er ihre Gedanben erriet, errötete er. Auch er 
dachte an glücklichere Seiten, aber mit festem Mute unter- 
drückte er diese Gefühle. 
„Nun besuchte ich Professor Weber täglich, um Anterricht 
im Geigenspiel zu nehmen.“ fuhr er forf. .Auch die anderen
	        
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