12.
„Das versteh ich nicht,“ murmelte der alte Waldmüller
drei Tage darauf, indem er, einen Brief in der Hand haltend,
aus seiner Mühle eilfertig die Treppe heraufgelaufen bam,
„da schreibt mir dieser Winkeladvokat Maus, ich wäre meiner
Verpflichtung gegen seinen Auftraggeber, meinen Herrn Bruder,
insofern nicht nachgekommen, als ich nicht die schuldigen 3000
Taler entrichtet hätte. Kannst du das begreifen? Hat nicht
Willem jelbst das Geld hingetragen?“
„Ja, Els hat's gesagt,“ pflichtete ihm die Waldmüllerin bei.
„Das verstehe, wer kann. Ich will mich doch gleich mal
da drüben auf dem Berghof erbundigen.“
Er zog seine Kappe auf und ging, wie er war, dem Dorfe zu.
Seit er seine Tochter dem Berghofbauer gegeben, hatte
er beine frohe Stunde mehr gehabt. Ebenso erging es seiner
Frau. Wenn Els hin und wieder die Waldmühle besuchte,
wurde sie wie ein Engel aufgenommen. Dater und Mutter
saßen dann rechts und links neben ihr und bewachten jede
ihrer Bewegungen. Wohl tausendmal fragten sie, wie es ihr
ginge. „Gut, gut,“ das blieb stets ihre einsilbige Antwort.
Daß es nicht so war, wußten die Eltern sehr wohl.
„O Gott, o Gott,“ seufzte der Alte inn Gehen, „wären
wir doch lieber gestorben — das arme Kind! — MAuch von
Paul in Amerika habe ich nichts wieder gehört.“
Auf dem Berghofe herrschte seit zwei Tagen dieselbe
SBeblemmung. Els hatte morgens gegen 2 Ahr nach jenem
Abend, den der Berghöfer bei dem alten Bast zugebracht,
nachdem sie, erschreckt durch wirre Träume, aufgewacht war,
mit Bestürzung wahrgenommen, daß ihres Mannes Bett noch
unberührt dastand. Aufspringen und sich ankleiden fiel in
eins zujammen. Sie lockte ihren getreuen Spitz und ging
aus, um den Berghöfer zu suchen. Wenn sie auch nicht Liebe
zu diesem Schritt antrieb, so doch das Gefühl der Pflicht.
Da — nahe am Hofe lag ihr Mann bewußtlos am Boden
Wie ihn fortschaffen? Sollte sie den Knechten rufen? Nein,
wer sich die Raje abschneidet, verschändet sichs Gesicht! Es
war — ihr Mannl der betrunken da am Boden lag. Sie
rüttelte und schüttelte ihn heftig, aber nur einige unverständ-
liche Laute gaben davon Seugnis, daß noch Leben in ihm weilt.
Els überkam ein heftiger Sorn. Sie warf einen wilden
Slick zum Himmel: „O Gott, o Gott!“ War's nicht genug
damit, daß sie an der Seite des ungeliebten Mannes aus-
harren mußte. Sie hatte wenigstens immer noch den Treost
gehabt, daß ihr Mann ihrer Achtung wert sei, und nun —
ein Säufer.
Sie faßte den Bauern vom Rücken aus unter die Arme
und stellte ihn, alle Kräfte zujammennehmend, auf die Beine.
Das half. Er machte bnickelnde Gehversuche, und sie brachte
ihn mit Mühe und Not ins Bett. — —
Nun saß er hinter dem Tische — er war gegen Mittag
aufgestanden — und stierte dumm vor sich hin. Er besann
sich offenbar, was gestern abend geschehen sein könnte, und
fand doch nichts. Don einem gewissen Seitpunbte an war
sein Gedächtnis vollständig außer Tätigkeit getreten. Er
wußte nur, daß er dem Wurzelbast hatte 3000 Taler bringen
wollen. Er sprang plötzlich auf, lief in die Kammer und
faßte nach seiner Brieftasche. O weh! Er schlug sich vor
die Stien, kalter Schweiß trat ihm aus allen Poren. Er
schüttete sämtliche Papiere aus der Brieftasche auf den Fuß-
boden. Das Geld war fort und beine Quittung aufzufinden
Wieder strengte er seinen Kopf gewaltig an — vergeblich
Nun lief er wie von bösen Geistern verfolgt zu dem
alten Wurzelbast hin. Ohne Gruß rief er ihn an: „Was
ind das für Sachen, habt mir ja gestern beine Quittung
gegeben!“
Der Alte blickte ihn wie ohne Verständnis an und fragte
nnatürlich gelassen: „Wie meinst du das, Willem Serghof?
Vas schwatzt du von Quittung? Eine Quittung erhält man
och erst, mein ich, wenn man bezahlt hat, und du hast zwar
orgestern davon gesprochen, daß du zu dem Swecke mir den
Sesuch machtest, aber — es ist auch hierbei geblieben. Nimm's
ucht übel, du warst ein wenig angeheitert.“
„Verfluchter Kerl, verfluchter Spitzbub,“ brauste der Berg-
»ofbauer auf, „mein Geld ist fort, sogar das aus meinem
Heldbeutel. Hab ich's nicht hier hingelegt?“ Exr erblaßte.
Wurzelbast kat, als habe er das Geschimpf überhört und
rwiderte achselzuckend: „Du hast recht, aber, ich muß lachen,
zu hast's hernach wieder eingesteckt, du warst eben total
etrunken. Siehst du, hier liegen noch die Fetzen von einer
Quittung, die ich zerriß, als du plötzlich erblärtest: „Alter
5pitzbub, ich kLomme übermorgen wieder, habt einen guten
Tropfen.“ Der Alte ahmte hierbei dem Berghöfer nach, wie
»r im Trunke gesprochen hatte, und lachte aus vollem Halse.
Willem Berghöfer hörte den Alten noch gellend lachen,
ils er schon eine ganze Strecke von seinem Häuschen entfernt
mit schwerem Herzen dahinschlich.
Nuͤn ging er wieder, von schwarzen Gedanben bedrückt,
in seiner Stube auf und ab. Was machen? Swar, er hatte
roch genug Geld auf Sinsen, aber 3000 Taler sind für
inen Bauersmann beine Kleinigkeit. Sum tausendsten Male
uchte ihn dabei auch die Erwägung heim, daß er doch mit
einer Heirat, besonders auch in Beziehung auf Geld und
Hut, einen recht dummen Streich geliefert habe.
Draußen schlug der Hund an, und als der Berghöfer
urchs Fenster sah, erblickte er seinen Schwiegervater. „Das
uuch noch,“ knirschte er. „Der bommt ganz sicher, um nach
der Quittung zu forschen. Nun heißt's, sich nichts merben
assen. — — Hol der Teufel den ganzen Bettel, wenn er
richt mal dazu ausreicht, ein Weib, dem man noch obendrein
ingetraut und gut ist, zu gewinnen. Mag's denn sein! mit
neinem Werk soll sich niemand dick kun. dafür werd ich
chon sorgen.“ — —
„G'n Tag, Willem,“ sagte in diesem Augenblicke der alte
Valdmüller. Er hatte sich unterwegs wieder ein wenig
jefaßt. Als er aber das Gesicht seines Schwiegersohnes
ah, dieses selbstbewußt aussehen sollende Armesündergesicht
nit den abweisend zusammengebniffenen Augenbrauen, da
rfaßte ihn der alte Kummer von neuem. Es kbam nur
tockend von seinen Lippen, mehr durch Seichen als durch
Vorte: „Na, 's Geld bezahlt?“
Der Alte schwieg, und das ärgerte den Berghofbauern
nehr als heftige Worte. So haͤtte es ihm seine Frau heute
norgen auch schon gemacht. Aberall dasselbe vorwurfsvolle
Schweigen. Es wurde ihm dadurch nicht die erwünschte
Helegenheit geboten, seine innere Wut auszutoben. Aber
varte nur, Packvolk, das soll dir nicht gelingen!
„Das ist Euch wohl nicht recht!“ sagte er unvermittelt,
ndem er sich seinem Schwiegervater voll zuwandte.
Es war ein heftiger Ton, den er da anschlug, der Alte
ah erschrocken auf und stotterte verlegen: „Es ist mir freilich
ücht recht, dieses Briefes wegen,“ damit zeigte er ihm das
Schreiben von Maus. „Mber es hat ja auch noch Seit.“
„Laßt mir das Geschmier vom Hals,“ wetterte nun der
Serghöfer, ich wollte, der T. ...l holt die ganze Geschicht!“
Der Waldmüller sah ihn entsetzt an.
„Ich bin ein rechter Esel gewesen. ein rechter Esel, ver—
teht Ihr?“