Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

12. 
„Das versteh ich nicht,“ murmelte der alte Waldmüller 
drei Tage darauf, indem er, einen Brief in der Hand haltend, 
aus seiner Mühle eilfertig die Treppe heraufgelaufen bam, 
„da schreibt mir dieser Winkeladvokat Maus, ich wäre meiner 
Verpflichtung gegen seinen Auftraggeber, meinen Herrn Bruder, 
insofern nicht nachgekommen, als ich nicht die schuldigen 3000 
Taler entrichtet hätte. Kannst du das begreifen? Hat nicht 
Willem jelbst das Geld hingetragen?“ 
„Ja, Els hat's gesagt,“ pflichtete ihm die Waldmüllerin bei. 
„Das verstehe, wer kann. Ich will mich doch gleich mal 
da drüben auf dem Berghof erbundigen.“ 
Er zog seine Kappe auf und ging, wie er war, dem Dorfe zu. 
Seit er seine Tochter dem Berghofbauer gegeben, hatte 
er beine frohe Stunde mehr gehabt. Ebenso erging es seiner 
Frau. Wenn Els hin und wieder die Waldmühle besuchte, 
wurde sie wie ein Engel aufgenommen. Dater und Mutter 
saßen dann rechts und links neben ihr und bewachten jede 
ihrer Bewegungen. Wohl tausendmal fragten sie, wie es ihr 
ginge. „Gut, gut,“ das blieb stets ihre einsilbige Antwort. 
Daß es nicht so war, wußten die Eltern sehr wohl. 
„O Gott, o Gott,“ seufzte der Alte inn Gehen, „wären 
wir doch lieber gestorben — das arme Kind! — MAuch von 
Paul in Amerika habe ich nichts wieder gehört.“ 
Auf dem Berghofe herrschte seit zwei Tagen dieselbe 
SBeblemmung. Els hatte morgens gegen 2 Ahr nach jenem 
Abend, den der Berghöfer bei dem alten Bast zugebracht, 
nachdem sie, erschreckt durch wirre Träume, aufgewacht war, 
mit Bestürzung wahrgenommen, daß ihres Mannes Bett noch 
unberührt dastand. Aufspringen und sich ankleiden fiel in 
eins zujammen. Sie lockte ihren getreuen Spitz und ging 
aus, um den Berghöfer zu suchen. Wenn sie auch nicht Liebe 
zu diesem Schritt antrieb, so doch das Gefühl der Pflicht. 
Da — nahe am Hofe lag ihr Mann bewußtlos am Boden 
Wie ihn fortschaffen? Sollte sie den Knechten rufen? Nein, 
wer sich die Raje abschneidet, verschändet sichs Gesicht! Es 
war — ihr Mannl der betrunken da am Boden lag. Sie 
rüttelte und schüttelte ihn heftig, aber nur einige unverständ- 
liche Laute gaben davon Seugnis, daß noch Leben in ihm weilt. 
Els überkam ein heftiger Sorn. Sie warf einen wilden 
Slick zum Himmel: „O Gott, o Gott!“ War's nicht genug 
damit, daß sie an der Seite des ungeliebten Mannes aus- 
harren mußte. Sie hatte wenigstens immer noch den Treost 
gehabt, daß ihr Mann ihrer Achtung wert sei, und nun — 
ein Säufer. 
Sie faßte den Bauern vom Rücken aus unter die Arme 
und stellte ihn, alle Kräfte zujammennehmend, auf die Beine. 
Das half. Er machte bnickelnde Gehversuche, und sie brachte 
ihn mit Mühe und Not ins Bett. — — 
Nun saß er hinter dem Tische — er war gegen Mittag 
aufgestanden — und stierte dumm vor sich hin. Er besann 
sich offenbar, was gestern abend geschehen sein könnte, und 
fand doch nichts. Don einem gewissen Seitpunbte an war 
sein Gedächtnis vollständig außer Tätigkeit getreten. Er 
wußte nur, daß er dem Wurzelbast hatte 3000 Taler bringen 
wollen. Er sprang plötzlich auf, lief in die Kammer und 
faßte nach seiner Brieftasche. O weh! Er schlug sich vor 
die Stien, kalter Schweiß trat ihm aus allen Poren. Er 
schüttete sämtliche Papiere aus der Brieftasche auf den Fuß- 
boden. Das Geld war fort und beine Quittung aufzufinden 
Wieder strengte er seinen Kopf gewaltig an — vergeblich 
Nun lief er wie von bösen Geistern verfolgt zu dem 
alten Wurzelbast hin. Ohne Gruß rief er ihn an: „Was 
ind das für Sachen, habt mir ja gestern beine Quittung 
gegeben!“ 
Der Alte blickte ihn wie ohne Verständnis an und fragte 
nnatürlich gelassen: „Wie meinst du das, Willem Serghof? 
Vas schwatzt du von Quittung? Eine Quittung erhält man 
och erst, mein ich, wenn man bezahlt hat, und du hast zwar 
orgestern davon gesprochen, daß du zu dem Swecke mir den 
Sesuch machtest, aber — es ist auch hierbei geblieben. Nimm's 
ucht übel, du warst ein wenig angeheitert.“ 
„Verfluchter Kerl, verfluchter Spitzbub,“ brauste der Berg- 
»ofbauer auf, „mein Geld ist fort, sogar das aus meinem 
Heldbeutel. Hab ich's nicht hier hingelegt?“ Exr erblaßte. 
Wurzelbast kat, als habe er das Geschimpf überhört und 
rwiderte achselzuckend: „Du hast recht, aber, ich muß lachen, 
zu hast's hernach wieder eingesteckt, du warst eben total 
etrunken. Siehst du, hier liegen noch die Fetzen von einer 
Quittung, die ich zerriß, als du plötzlich erblärtest: „Alter 
5pitzbub, ich kLomme übermorgen wieder, habt einen guten 
Tropfen.“ Der Alte ahmte hierbei dem Berghöfer nach, wie 
»r im Trunke gesprochen hatte, und lachte aus vollem Halse. 
Willem Berghöfer hörte den Alten noch gellend lachen, 
ils er schon eine ganze Strecke von seinem Häuschen entfernt 
mit schwerem Herzen dahinschlich. 
Nuͤn ging er wieder, von schwarzen Gedanben bedrückt, 
in seiner Stube auf und ab. Was machen? Swar, er hatte 
roch genug Geld auf Sinsen, aber 3000 Taler sind für 
inen Bauersmann beine Kleinigkeit. Sum tausendsten Male 
uchte ihn dabei auch die Erwägung heim, daß er doch mit 
einer Heirat, besonders auch in Beziehung auf Geld und 
Hut, einen recht dummen Streich geliefert habe. 
Draußen schlug der Hund an, und als der Berghöfer 
urchs Fenster sah, erblickte er seinen Schwiegervater. „Das 
uuch noch,“ knirschte er. „Der bommt ganz sicher, um nach 
der Quittung zu forschen. Nun heißt's, sich nichts merben 
assen. — — Hol der Teufel den ganzen Bettel, wenn er 
richt mal dazu ausreicht, ein Weib, dem man noch obendrein 
ingetraut und gut ist, zu gewinnen. Mag's denn sein! mit 
neinem Werk soll sich niemand dick kun. dafür werd ich 
chon sorgen.“ — — 
„G'n Tag, Willem,“ sagte in diesem Augenblicke der alte 
Valdmüller. Er hatte sich unterwegs wieder ein wenig 
jefaßt. Als er aber das Gesicht seines Schwiegersohnes 
ah, dieses selbstbewußt aussehen sollende Armesündergesicht 
nit den abweisend zusammengebniffenen Augenbrauen, da 
rfaßte ihn der alte Kummer von neuem. Es kbam nur 
tockend von seinen Lippen, mehr durch Seichen als durch 
Vorte: „Na, 's Geld bezahlt?“ 
Der Alte schwieg, und das ärgerte den Berghofbauern 
nehr als heftige Worte. So haͤtte es ihm seine Frau heute 
norgen auch schon gemacht. Aberall dasselbe vorwurfsvolle 
Schweigen. Es wurde ihm dadurch nicht die erwünschte 
Helegenheit geboten, seine innere Wut auszutoben. Aber 
varte nur, Packvolk, das soll dir nicht gelingen! 
„Das ist Euch wohl nicht recht!“ sagte er unvermittelt, 
ndem er sich seinem Schwiegervater voll zuwandte. 
Es war ein heftiger Ton, den er da anschlug, der Alte 
ah erschrocken auf und stotterte verlegen: „Es ist mir freilich 
ücht recht, dieses Briefes wegen,“ damit zeigte er ihm das 
Schreiben von Maus. „Mber es hat ja auch noch Seit.“ 
„Laßt mir das Geschmier vom Hals,“ wetterte nun der 
Serghöfer, ich wollte, der T. ...l holt die ganze Geschicht!“ 
Der Waldmüller sah ihn entsetzt an. 
„Ich bin ein rechter Esel gewesen. ein rechter Esel, ver— 
teht Ihr?“
	        
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