die sich in rasender Fahrt Halsdorf nähert. Im Dorfe Halsdorf
führte damals noch keine Brücke über die Wohra, die in einer
Furt überschritten werden mußte. Angesichts des vom Regen hoch
angeschwollenen Baches scheuen die Pferde, werfen die Kutsche in
X Wohra— und Riemenschneider ertrinkt in den Fluten, ehe Hilfe
naht. So die Sage. Im Lrassen Gegensaße zur Sage berichtet
die Wirbklichkeit folgendes über Kiemenschneiders Tod. Der Aus-
zug aus dem Totenbuche, Band IIl, der reformierten Kirchen
gemeinde zu Rauschenberg lautet wörtlich: Am 2ten August 1770
wurde begraben Herr Johann Riemenschneider, hochfürstlicher
Amtsschultheiß und Renftmeister allhier, starb janft und Seelig
den 831. Juli des Morgens 8 Uhr, alt 52 Jahre, J Monate,
3 Wochen, J Tage. M.
Schnurrpfeiferecien.
Schusterjungen.
Früũher hatten die Schusterjungen eine ganz andere Bedeutung
als heute. Wie die neue Seit so vieles andere hinwegfegte, so
hat sie auch unter den Schusterjungen aufgeräumt. Wer kbonnte
wohl schöner pfeifen als ein Schusterjunge auf der Straßel Oh,
im Geiste seh ich sie noch heute durch die Straßen laufen: ein
altes Höschen an, mit besonders bunten Flicken besetzt, Lätschen
an den Füßen, aus alten Schuhen hergestellt, die einfach oben
abgeschnitten waren, meist ohne Strümpfe, nur ein Hemdchen an,
sellen eine Weste, und dann eine blaue Schũrze vor, deren Bänder
sich auf dem Rücken breuzten. So waren die Schusterjungen
uniformiert. Damals gingen die Männer noch in Schafftstiefeln,
und die Jungen trugen mit Stolz ihre Stulpenstiefel. So war
denn so 'n armer Schusterjunge bepackt mit Schaft- und Stulpen⸗
stiefeln, die, an den Strippen zusammengebunden, ihm von den
Schultern hingen, um zu den Kunden gebracht zu werden. Und
wenn dann die Jungen unterwegs waren, so pfiffen sie, als ob alle
Kanarienvögel der Welt ein Extrabonzert geben wollten, und
waren stets lustig und guter Dinge, obwohl ihr Lebenslauf nicht
immer nach Wunsch verlief. Der Spannriemen spielte im Leben
der Schusterjungen eine große Rolle. Und war der Meister einmal
ein guter Kerl, so war er doch verheiratet, und dann war meistens
seine Frau so etwas wie aus der siebenten Bitte.
So wohnte auch in der obersten Gasse ein biederer Schuh⸗
machermeister, ein guter Kerl. Groß war sein Geschäft nicht;
mit Hilfe eines Lehrlings schlug er sich schlecht und recht durch.
Groß waren auch die Einnahmen nicht, und da hieß es sparen,
wo nur gespart werden bonnte. Und aufs Sparen, ja aufs Sparen
perstand sich die Frau Meisterin ganz besonders. Der Lehrling
den unser Meister gerade hatte, war so'n richtiger Schusterjunge.,
wie er im Buche stand. Er wurde von der Meisterin verböstigt,
wie das derzeit ũblich war. Eines Morgens bringt nun die Frau
Meisterin das Frühstüũck in die Schusterstube und stellt es dem
Lehrjungen hin. Der guckt so auffallend nach dem irdenen Teller⸗
chen, macht den Hals lang, zieht den Kopf wieder ein und frũh—
stückt nicht. Jeßt guckt der Meister hin. Er sieht das Tellerchen
Auf der H
Ehrungen hessischer Künstler.
Anlãßlich des zehnjährigen Todestages von Karl Engelhard,
der u. a. die Stadt Spangenberg in seinem Schauspiel „Cuno und
Else* verherelicht hat, legte die dortige Turnerjugendgruppe an
sjeinem Grabe einen Kranz nieder mit der Inschrift: „Ihrem
unvergeßlichen Karl Engelhard“. — Des 683. Geburtstags von
Wilhelm Speck wurde in Cassjel durch einen im Kunsthaus
Messing veranstalteten, von Dr. H. Schleichert mit einer Vorlejung
des „Joggeli“ bestritkenen Vortragsabend würdig gedacht. —
Der, Georg Büchner⸗Preis“ des Hessijchen Staates, der alljährlich
am Verfassungstag vergeben wird, wurde Alfred Bock ver—
liehen, dessen neuer Roman „Das fünfte Element“ an dieser
Stelle unlängst besprochen worden ist.
Adolf Mũller, Cassel, der „Eichendorff der Malerei“, ist am
2. August 60 Jahre alt geworden. Einer alteingesessjenen Casseler
Familie entstammend, besuchte er nach Absolvierung des Gymnasiums
die Casseler Kunstabademie, wo er Atelierschüũler von Prof. Louis
Kolitz war, und die Düsseldorfer Kunstakademie. An die Lehr—
jahre schlossen sich Wanderjahre in Italien, Spanien, Franbreich
und England. Die kLäünstlerische Eigenart Mäüllers zeigt sich in
den friedvollen Stimmungen, die aus seinen Gemälden sprechen.
Stimmungen, die vielfach von einer starben, herzhaften Liebe zur
hejsischen Heimat getragen und geprägt sind. Bilder von ihm hängen
u. a. in der Nationalgalerie zu Berlin und im Wilhelmshöher Schloß
ind als Frũhstũck einen halben Apfel darauf. Gutmütig, wie er
st, steht er auf, nimmt das Tellerchen und geht in die Küche zu
einer Ehehälfte und spricht: „Awer here moh: 'n halwer Appel
um Frühstück äß doch 'n bißchen wenig.“ — „Näh“, gabed die
Ahle, „'n halber Appel, das schicket vor so 'n Jungen“. Der
Meister aber läßt sich nicht abschrecken und verhandelt mit ihr,
daß ein halber Apfel doch ein bißchen wenig sei. Schließlich reißt
der Frau Meisterin die Geduld, sie legt die andere Hälfte des
Apfels noch hinzu und sagt: „Na. meinetwegen. Platzt der Hund,
dann platzte!“
Ein andermal bringt die Meisterin zum Frühstück ein Stück
rockenes Brot. Als sie weggegangen ist, spricht der Junge zum
Meister: „Meister, Meister, ich ben blind!“ — „Na“, spricht der
Meister, „mach nit jo albernen Kroml Was hoste dann?“ — „O
nä, Meister“, spricht der Junge, „Sä bennen mä's glauben: ich
zann net mehr sehn!“ — „Sol“ spricht der Meister, „was siehste
dann nit?“ „Ach, Meister“, sagt der Junge, „ich seh de Bodder
nit uffem Brode“. — „Aha“, denkt der Meister, „darauf will der
5chelm hinaus“, und sieht erst jetzt, daß seine Frau dem Jungen
rockenes Brot hingestellt hat. Gutmũtig, wie er nun einmal ist,
limmt er das Brot und geht in die Küche zu seiner Frau. Nach
angen VDerhandlungen erblärt sich seine bessere Hälfte bereit, dem
zungen Butter aufs Brot zu geben. Mit innerer Freude nimmt
x das Butterbrot, geht in die Schusterstube und stellt es dem
Jungen auf jeinen Platz, gespannt, was der Bengel nun angeben
vied. Und eichtig, Laum sißt der Meister auf seinem Schemel, so
euft auch schon der Junge: „Meister, Meister, ich Lann widder
ehn!“ — „Sol“ spricht der Meister freundlich, „was siehste denn
eht?“ — „Ach, Meister,“ ruft der Junge, „jetßt seh ich das Brot
dorch de Bodder“ C. D.
Seijensieders Stündlein.
Die Seifensieder! Ach ja, die Seifensiederl Wo gibt es heute
noch einen richtigen Seifensieder? Die Seifensiederei ist auch eines
er vielen Handwerbe, die durch die Großbetriebe untergegangen
ind. Früher hatte man in Cassel noch mehrere, richtig handwerbs⸗
näßig betriebene Seifensiedereien. Und wie das so geht: dem
inen Handwerb wird dieser Spott angehängt, dem andern jener.
WMie es nun kbam, weiß ich nicht; ich weiß nur, daß von den Seifen-
iedern immer die Rede ging: „Sä honn zwei Magen, aber bein
herzel“ War da auch in der Mittelgasse so ein biederer Seifen-
ieder von der Art, die zwei Magen und Lein Herze hat. Nun lag
am Sterben. Ach, und im Leben hatte es ihm immer so gut
jejchmeckt. Frässen kunnt hä, frässen vor zwei. Und nun mußte
x sterben. Traurig und weinend standen Frau und Kinder um sein
Zett, auf den Augenblick wartend, da die hartgesottene Seele
ich freimachen würde vom Leben. Da, er winkte! Tiefe Stille
m Simmer. Alle traten weinend ans Bett in der Erwartung,
aß der Dater Abschied nehmen wolle. Wie sie alle so dastanden,
vpinbte er noch einmal und jagte: „Kenner, daß well ech och sahn,
ißt nurd immer hibsch langsaml! Dä glaubt nit, was dä bie och
ricken Kunnt.“ Sprach's und verschied. C. D.
—
eimatwarte.
Die Jahresversammlung des Hessischen Geschichtsvereins
and bei gũnstigem Wetter und unter zahlreicher Beteiligung von
jah und fern am 9. und 10. August in der alten Bergstadt
s5pangenberg statt. Dem Begrũüßungsabend am Sonnabend folgte
n der Frũhe des Sonntags eine Besichtigung der Stadt, worauf
m Schloßhof die eigentliche (90.) Mitgliederversammlung begann.
In dieser legte der langjährige, nunmehr 80jährige Vorsißende
veneral Dr. h. c. Eisentraut seines Alters wegen sein Amt
neder, worauf ihm der neugewählte Vorsitzende Bibliothekdirebtor
I)r. Hopf im Namen des Vereins herzliche Worte des Dankes
ũr sein verdienstvolles Wirben aussprach. Sum zweiten Vor—
tenden wurde Solldireltor Woringer, zum Schriftfjührer Ober-
ibliothekar Dr. Israel gewählt. Die Mitgliederzahl beträgt
696, der Jahresbeitrag 8 Marb. Hauptlehrer Frischborn hielt
inen, reichen geschichtlichen, geographischen und statistijchen Stoff
ietenden Vortrag über die Geschichte von Stadt und Schloß
zpangenberg, ein mittelalterlicher Page ũberbrachte in gebundener
Rede dem Verein die Grüße der Stadt. Nächdem noch die Burg
ind Staͤdtkirche eingehend besichtigt waren, vereinigte ein gemein⸗
ames Mittagsmahl und sodann ein Ausflug zum Adam Siebert-
SBrunnen die Teilnehmer. Die nächstjährige Jahresversammlung
indet in Gelnhausen statt.
NMachdruck jnur nach Üereinbunft mit dem Herausgeber gestattet.
herausgeber: Konead Bernecher, Deuch und Verlag: M. Bernecker in Melsungen.
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