Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

„Ja, Eller. Ich wollt Euch um Kat angehn“, rief 
Helwig sehr starb. 
Leise sagte er zZu Ann: „Du warst näächt im Wald?“ 
laut zur Großmutter: „Wißt ihr bein Mittel „für“ den 
Schnupfen?“ 
Die Alte hielt ihm ihr Ohr hin: „Wa — was meinst 
du? Mußt laut galbche 9.“ 
Helwig gaabte): „Ob Ihr bein Mittel für den Schnupfen 
wißt?“ 
„Schnupfen wißt“, echote die Alte. 
„Für was weiß die alte Annemarth nichts? Ja, ja. 
die alte Annemarth, verguck dich nur net!“ 
Während so die Alte plauderte und mit dem Kopfe 
nickte und mit ihren Gedanken wer weiß wo war, flüsterte 
Helwig Ann zu, indem er unverwandt die Eller dabei 
anguckte: „Ann, ich habe mit meinem Vater geschwätzt.“ 
„Weiß“ — entgegnete Ann trochen. 
„Wovon, Ann?“ 
„Don einem Jemand, den ich im Wald traf.“ 
Helwig schwieg verlegen. 
Weiß auch, was dein VDater gesagt hat“, fuhr Ann fort. 
„Don wem?“ fragte Helwig wie vorhin. 
‚Don demselben Jemand, der im Walde lag.“ 
„Gegen den Schnupfen“, schrie die Alte dazwischen, 
„trinkt man fließend Wasser — wenn's Hellgabendd) läutet 
und speicht dabei: — —.“ 
„Wann, Eller?“ brüllte ihr Helwig in das halbtaube Ohr. 
Die Alte sah ihn verdutzt an und kam aus ihrem Vers. 
Sie machte eine lange Pause. 
„Ann, was soll ich denn nun anfangen?“ 
„Was hast du mir — tausendmal schickt nicht — ver— 
heißen und geschworen, Helwig?“ 
„Ann! — — mein Vater will dann wieder freien — — —.“ 
„Dabei spericht man“, fuhr nun die Alte fort — —. 
„Eller, muß man's Wasser am Freitag oder am Mittwoch 
trinken?“ 
„Ist ganz egal, ganz einerlei. ija. ja“. antwortete die 
Gefragte. — 
„Laß ihn doch“, flüsterte Ann, „wir zwei schlagen uns 
mit unsern eigenen vier Armen durchs Leben.“ 
Helwig schwieg, er wurde bald rot, bald blaß. 
Die Großmutter sagte indes ihr Sprüchlein: 
„Ich lecke dreimal wie ein Hund 
Und lasse den Schnupfen fallen auf den Grund. 
Im Namen Gottes des VDaters, des Sohnes 
und des heiligen Geistes. Amen.“ 
Helwig war mit dem brutalen Vorsatz hierhergekommen, 
mit Ann unter allen Umständen zu brechen und nun — — 
er wußte nicht, wie er's anfangen sollte — bei so viel Liebe 
und Trauer, die ihm aus Anns großen dunklen AMAugen 
entgegenstrahlten. 
„Ann“, sagte er ganz zaghaft, „es gibt so viele Burschen.“ 
Sie nickte zu seiner Weisheit. 
„Wolltst du beinen?“ 
Nein — nur einen.“ 
.Warum aber nicht, Ann?“, fuhr er eindringlicher fort. 
„Hast du mich auch richtig verstanden?“ fragte die 
Alte dazwischen. „Sag's doch noch mal her.“ 
„Ja, ja“, rief Helwig, nun auch hier in Verlegenheit. 
lecke dreimal — —.“ 
Wie ein Hund“, half die Alte. 
„Wie ein Hund“ — lenbte Helwig ein. „und lasse den 
Schnupfen — dem Hund.“ 
6) gellend schreien. M) schrie. 8 Heiligabend. „zu Macht“. 
ich 
„Fallen auf den Grund“, verbesserte die alte Annemarth 
geduldig. 
And ebenso treuherzig sprach Helwig nach: „auf den 
Grund.“ — — 
„Warum aber nicht, Ann?“ wiederholte er. 
„Fragst du das? Weißt du net, warum?“ 
„Ja, ja*“ — nickte er — „aber — ich will dir viel 
Geld — — —.“ 
Mit einem jähen Rucke stand Ann hochaufgerichtet vor 
hm, so daß er mitten in seinem Gestotter abbrach. „Kein 
Vort weiter!“ schrie sie, so daß die Alte aufhorchte und 
die beiden jungen Wenschenkinder mit woitaufgerissenen 
Augen anstierte, „du hast mich unglücklich gemacht — und 
uun? — — Geh — — geh“, ihre Brust wogte auf und 
ib. und ihre schwarzen Augen schossen Blitze. 
„Mädchen, Kind!“ lärmte die Alte darein. „was ist 
denn vor?“ 
„Geh — werd' reichl! Geh, geh, nimm dir 'ne andre! 
Die Ann war dir bloß gut genug — —.“ Die Stimme 
ersagte ihr, sie hatte wie eine Wahnsinnige gesprochen. 
delwig wich entsetzt zurück. 
Die Eller sagte bein Wort dazu, sie saß da und wackelte 
nit dem Kopf und murmelte: „Doch wie seine Muttdre. 
Ich wußt's — ich wußt's. And doch hab ich allen Morgen, 
venn's noch schlief, das Kind, den Spruch über's gesprochen. 
Hilft nicht — gegen die Liebe hilft nichtsl — Gerade 
vie seine Mutter ....“ 
„Helwig, komm mal hierher. Willst du 's Kind frein 
»der net? Du siehst doch, wie's mit ihm steht.“ 
„Kann net.“ 
„Du kannst net“, nickte die Alte, „bannst net.“ Sie 
ichtete sich mühsam auf. „Wie heißen mich die Leut?“ 
„Die aale Annemarth“. antwortete Helwig wie ein 
Schulknabe. 
„Das meine ich net — sie heißen mich die Hex. Helwig, 
jo wahr wie ich net gehexen kann — wenn du mir 's 
Mädchen unglücklich machst — so wahr ein Gott hilft und 
ieht und hört und richtet — du hast dann bein Glück mehr 
vuf der Welt. Du wirst — — —. 
„„Laßt mich in Kuhl!“ schrie nun Helwig erbost und 
rotzig, „mit Eurem dummen Seug. Ich kbann Ann nicht 
zefreien, weil Ihr seid. Die Leut weisen mit Finger hinter 
nir her, Euretwegen.“ 
„Die Leut' — die Leut's‘s — jagte die Alte etwas 
»egütigter — „weißt du, was die Leut' mit ihrer ganzen 
ungen Brut an mir verdienen? Ich hab' mal von einem 
Dropheten gelesen, der rief: „Wehe Euch! Da bamen z3wei 
Bären aus dem Walde und zerrissen zweiundvierzig Kinder.... 
Ich hab' näächt auch: Wehe euch! gerufen — zu Gott 
— aber die Bären blieben aus. Nun ja, ich bin ja auch 
nur die kLeumme alte Annemarth. 
Aber du wirst's gewahr werden! Einmal hab' ich zu— 
jeguckt, wie mir ein Kind zu Schanden gemacht wurde, 
diesmal — gibt's ein Unglück — ein Anglück. ...“ 
Sie murmelte etwas wie einen haarsträubenden Fluch in 
ich hinein, stieg die elende Treppe empor und verschwand. 
Auch Helwig verschwand rasch um die Ecke. Die wirren 
Keden der Alten hatten ihn bis ins Innerste getroffen. Er 
ronnte sie im ganzen Leben nicht mehr abschütteln. Sie 
vanderten mit ihm wie Boten der Hölle. Ansinn, Aber— 
laube nannte er's. Half bein bißchen. Bei allem, was 
hm in der Folgezeit quer ging, hörte er die prophetischen 
Vorte der alten Annemarth: „Du wirst dein Lebtaq bein 
Hlück haben..*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.