Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Worten sprach der erste Stadtgeistliche, Pfarrer Uffelmann, über 
das, was alle in dieser Stunde bejeelte, die Liebe gꝛr Heimatstadt, 
in der die Vãter und Altvordern so mancherlei Leid und Freud 
gemeinjam geteilt. „Nun danket alle Gott“ klang es dann dus 
ausend Kehlen durch die frische Morgenluft zur Stadt hinũber. 
Inzwischen hatten Zug um Sug aus Nord und Sũd in end— 
lojer Folge immer mehr der auswärtigen Gäste aus nah und fern 
entsandt. Schon von weitem winbte ein Gewoge flatternder Fahnen 
über den Giebeln und Sinnen der turmreichen Stadt. Biumen- 
geschmũckte Ehrenpforten entboten den Gruß der Einheimischen, 
und dann schritt man durch ganze Wälder harzduftender Fichten⸗ 
traßen, deren Ausbau die Aniage neuer Schneisen drũüben im 
Keinhardswald ermõöglicht hattke. Und über das 
Spalier der hochrageñden grũnen Waldestöchter 
blickten in all den lieben, alten Gassen die lieben 
alten Häuser festfroh hinweg, wohl die Hälfte 
in neuem Anstrich, alle aber mit Fichtengirlaͤnden 
und, Eichlaubbränzen und flatternden Fahnen 
geschmückt, ein Bild, desjen sich der Deufsche in 
angen Jahren der Freuüdlosigkeit fast entwõöhnt 
hatte. Auf allen Plätzen, Straßen und Gassen 
ein Gewoge fejtlich geschmũckter und froh gestimm. 
ter Menschen, die sich nicht satt sehen kKönnen an 
all dem Schönen, was heimatstolze Hände hier 
gejchaffen haben. Endlich komme ein Stillstand 
in das bunte Treiben der Massen, in langen 
Keihen flankiert man die Straßen, um den großen 
historischen Festzug, das Ergebnis monatelanger, 
von dem Casseler Kunstmaler Ferdinand Gils 
zielbewußt und sachgemsß geleiteter Arbeit, auf 
sich wirben zu lassen. Su Fuß, auf Wagen, auf 
Automobilen und in allen Fenstern harrt man 
des Suges, der sich Punkt eins vor dem Casseler 
Tor in Bewegung setzt. Nur allzurasch entfliegen 
die wechjelvollen, inmitten der Jahrhunderte 
alten Häuser ungemein stilecht wirbenden Silder, 
aus denen so viel jelbstiose, aufopfernde Aebel 
und freudigstolze Heimatliebe prachen, dem Auge, 
und doch werden sie wohl allen in —X 
ichen Eindrũcken im Gedächtnis bleiben. 
Allen voran Herolde in den Hessijchen und 
Hrebensteiner Farben. Hoch zu Koß winben 
Kitter und Edelfrauen der BSurg. Ein prächtiges 
Ochsengespann gemahnt an die älteste Seit der 
Siedlung. Würdevoll schreiten die mittelalter⸗ 
liichen Stadtoberhãupter im Schmucke ihrer Amts- 
dette einher. Es folgt die saubere, alteingejessene 
Zunft der Leineweber, und, emsig bei ihrer 
Hantierung, alle die anderen Sünfte und Gilden 
der Schuster, Bäcker, Wagner, Schmiede, Sim⸗ 
merleufe, Steinmetzen (diejse mit dem Modell 
des eben im Bau begriffenen Pulberturms), leicht. 
lebige Handwerkbsburschen, ein mit begehrens⸗ 
werten Dingen beladener Marketenderwagen 
und hinterdrein, bis an die Sähne bewaffnet, 
das grimme Kriegsvolk der Kroaten. Auf stolzen 
Pferden trabt, wohl aus dem waldversteckten 
Wilhelmsthaler Schioßchen kommend, eine über. 
mũtige Jagdgesellichaft vorũber. Schnitter, die 
Beräte mit Blumen und Ahren umwunden, 
behren fröhlich trällernd von der Arbeit heim. 
Schwer beladen jchwankt ein ganz richtiger 
Brautwagen vorbei, auf einem anderen Wagen 
berrichten die Deescher ihr jaures Studc Arbeit. 
Dann wieder woeckt eine muntere farbenreiche 
— —8— —* w7 mit 7 traditio⸗ 
nellen, gabenheischenden ũttegabel, die Erinne · 3 
eung an den historischen Grenzgang. Nur iEHDistor. Feltzua m 
jetzt folgende Spinnstube ist nicht von Grebensteinern gestellt, 
sondern, eine besonders gut gelungene Leistung des nachbaelichen 
Immenhausen. Vor dem Wagen der ehrwürdigen Veteranen von 
Io reitet eine Schwadron Husaren in den historischen, vom Casseler 
Staatstheater hergeliehenen Aniformen, in denen sie vor 54 Jahren 
aus Grebenstein gegen Frankbreich zʒogen, um nie wieder in diese 
ihre Garnison zurůckzukehren. Frische Lieder mit —RR 
bünden das Rahen einer Gruppe Wandervõgel an, und den Beschluß 
bilden, ein Riesenfüllhorn aus jommerlichen Slumen mit sich führend, 
die Gärtner. Lange noch sehen wir von unserem bequemen Eck 
fenster des alten Sachsenhauses dem den Hochzeitsberg hinauf⸗ 
ziehenden märchenhaften SZug nach. Als wir uns endlich umwenden, 
sind inzwischen ganze Berge Lköstlichen Kuchens auf dem Tisch 
ufgebaut, und wir kommen nicht von dannen, ehe wir uns nicht 
ꝛei trefflichem Kaffee an dieser Festgabe gelabt haben. Ja, die 
ßrebensteiner Gastfreundschaft, die sich in diesen Tagen an Freunden 
uind Fremden in jedem, auch dem bleinsten Haus wieder einmal 
n so erdrũckendem Maße erwies, verdiente ein Kapitel für sich, 
venn sie nicht seit undenblichen Seiten weithin im Hessenlande 
ebannt wäre. 
Die Nachmittagsvorstellung des Festspiels ist ausverkauft. So 
trömen die Tausende und Obertausende in das beãngstigende 
bewũhl des Festplatzes, auf dem man zu schieben glaubte und doch 
elbst geschoben wurde. Ich bönnte nicht sagen, daß mir alles, was 
»a an Buden aufgebaut war, restlos gefallen hätte, aber wir scheinen 
vrebenstein: Grenzganag — Bauerngruppe. Ssofphotogaraph Eberth. Cassen— 
niun einmal von einer Kultur der Vollksfeste noch ein gutes Stück 
ntfernt zu jein. Aberall eine beängstigende Fülle und über dem 
Sanzen die Disbrepanz aller möglichen Musikinstrumente, wie sie 
un einmal von einem solchen Platz nicht zu trennen ist. Auf den 
Tanzplätzen kam besonders die Jugend zu ihrem Kecht. Mich 
elbst führte das bescheidene Verlangen nach einem Ruͤhepunkte 
inauf zum Burgberg. Dort legte ich mich ins Gras im Schein 
er sinkenden Sonne und sah mich noch einmal satt an dem einzigen 
ßild der mauerumgürteten giebelreichen Stadt. Dann stieg ich 
is zum Storchnestrad hinauf in den alten Surgtorturm, der gleich 
em Jungfernturm wieder zugänglich gemacht war, und genoß auch 
ier noch einmal den Blick auf die alten roten Dächer und die 
on huntem Treiben erfüllten Gassen.
	        
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