Worten sprach der erste Stadtgeistliche, Pfarrer Uffelmann, über
das, was alle in dieser Stunde bejeelte, die Liebe gꝛr Heimatstadt,
in der die Vãter und Altvordern so mancherlei Leid und Freud
gemeinjam geteilt. „Nun danket alle Gott“ klang es dann dus
ausend Kehlen durch die frische Morgenluft zur Stadt hinũber.
Inzwischen hatten Zug um Sug aus Nord und Sũd in end—
lojer Folge immer mehr der auswärtigen Gäste aus nah und fern
entsandt. Schon von weitem winbte ein Gewoge flatternder Fahnen
über den Giebeln und Sinnen der turmreichen Stadt. Biumen-
geschmũckte Ehrenpforten entboten den Gruß der Einheimischen,
und dann schritt man durch ganze Wälder harzduftender Fichten⸗
traßen, deren Ausbau die Aniage neuer Schneisen drũüben im
Keinhardswald ermõöglicht hattke. Und über das
Spalier der hochrageñden grũnen Waldestöchter
blickten in all den lieben, alten Gassen die lieben
alten Häuser festfroh hinweg, wohl die Hälfte
in neuem Anstrich, alle aber mit Fichtengirlaͤnden
und, Eichlaubbränzen und flatternden Fahnen
geschmückt, ein Bild, desjen sich der Deufsche in
angen Jahren der Freuüdlosigkeit fast entwõöhnt
hatte. Auf allen Plätzen, Straßen und Gassen
ein Gewoge fejtlich geschmũckter und froh gestimm.
ter Menschen, die sich nicht satt sehen kKönnen an
all dem Schönen, was heimatstolze Hände hier
gejchaffen haben. Endlich komme ein Stillstand
in das bunte Treiben der Massen, in langen
Keihen flankiert man die Straßen, um den großen
historischen Festzug, das Ergebnis monatelanger,
von dem Casseler Kunstmaler Ferdinand Gils
zielbewußt und sachgemsß geleiteter Arbeit, auf
sich wirben zu lassen. Su Fuß, auf Wagen, auf
Automobilen und in allen Fenstern harrt man
des Suges, der sich Punkt eins vor dem Casseler
Tor in Bewegung setzt. Nur allzurasch entfliegen
die wechjelvollen, inmitten der Jahrhunderte
alten Häuser ungemein stilecht wirbenden Silder,
aus denen so viel jelbstiose, aufopfernde Aebel
und freudigstolze Heimatliebe prachen, dem Auge,
und doch werden sie wohl allen in —X
ichen Eindrũcken im Gedächtnis bleiben.
Allen voran Herolde in den Hessijchen und
Hrebensteiner Farben. Hoch zu Koß winben
Kitter und Edelfrauen der BSurg. Ein prächtiges
Ochsengespann gemahnt an die älteste Seit der
Siedlung. Würdevoll schreiten die mittelalter⸗
liichen Stadtoberhãupter im Schmucke ihrer Amts-
dette einher. Es folgt die saubere, alteingejessene
Zunft der Leineweber, und, emsig bei ihrer
Hantierung, alle die anderen Sünfte und Gilden
der Schuster, Bäcker, Wagner, Schmiede, Sim⸗
merleufe, Steinmetzen (diejse mit dem Modell
des eben im Bau begriffenen Pulberturms), leicht.
lebige Handwerkbsburschen, ein mit begehrens⸗
werten Dingen beladener Marketenderwagen
und hinterdrein, bis an die Sähne bewaffnet,
das grimme Kriegsvolk der Kroaten. Auf stolzen
Pferden trabt, wohl aus dem waldversteckten
Wilhelmsthaler Schioßchen kommend, eine über.
mũtige Jagdgesellichaft vorũber. Schnitter, die
Beräte mit Blumen und Ahren umwunden,
behren fröhlich trällernd von der Arbeit heim.
Schwer beladen jchwankt ein ganz richtiger
Brautwagen vorbei, auf einem anderen Wagen
berrichten die Deescher ihr jaures Studc Arbeit.
Dann wieder woeckt eine muntere farbenreiche
— —8— —* w7 mit 7 traditio⸗
nellen, gabenheischenden ũttegabel, die Erinne · 3
eung an den historischen Grenzgang. Nur iEHDistor. Feltzua m
jetzt folgende Spinnstube ist nicht von Grebensteinern gestellt,
sondern, eine besonders gut gelungene Leistung des nachbaelichen
Immenhausen. Vor dem Wagen der ehrwürdigen Veteranen von
Io reitet eine Schwadron Husaren in den historischen, vom Casseler
Staatstheater hergeliehenen Aniformen, in denen sie vor 54 Jahren
aus Grebenstein gegen Frankbreich zʒogen, um nie wieder in diese
ihre Garnison zurůckzukehren. Frische Lieder mit —RR
bünden das Rahen einer Gruppe Wandervõgel an, und den Beschluß
bilden, ein Riesenfüllhorn aus jommerlichen Slumen mit sich führend,
die Gärtner. Lange noch sehen wir von unserem bequemen Eck
fenster des alten Sachsenhauses dem den Hochzeitsberg hinauf⸗
ziehenden märchenhaften SZug nach. Als wir uns endlich umwenden,
sind inzwischen ganze Berge Lköstlichen Kuchens auf dem Tisch
ufgebaut, und wir kommen nicht von dannen, ehe wir uns nicht
ꝛei trefflichem Kaffee an dieser Festgabe gelabt haben. Ja, die
ßrebensteiner Gastfreundschaft, die sich in diesen Tagen an Freunden
uind Fremden in jedem, auch dem bleinsten Haus wieder einmal
n so erdrũckendem Maße erwies, verdiente ein Kapitel für sich,
venn sie nicht seit undenblichen Seiten weithin im Hessenlande
ebannt wäre.
Die Nachmittagsvorstellung des Festspiels ist ausverkauft. So
trömen die Tausende und Obertausende in das beãngstigende
bewũhl des Festplatzes, auf dem man zu schieben glaubte und doch
elbst geschoben wurde. Ich bönnte nicht sagen, daß mir alles, was
»a an Buden aufgebaut war, restlos gefallen hätte, aber wir scheinen
vrebenstein: Grenzganag — Bauerngruppe. Ssofphotogaraph Eberth. Cassen—
niun einmal von einer Kultur der Vollksfeste noch ein gutes Stück
ntfernt zu jein. Aberall eine beängstigende Fülle und über dem
Sanzen die Disbrepanz aller möglichen Musikinstrumente, wie sie
un einmal von einem solchen Platz nicht zu trennen ist. Auf den
Tanzplätzen kam besonders die Jugend zu ihrem Kecht. Mich
elbst führte das bescheidene Verlangen nach einem Ruͤhepunkte
inauf zum Burgberg. Dort legte ich mich ins Gras im Schein
er sinkenden Sonne und sah mich noch einmal satt an dem einzigen
ßild der mauerumgürteten giebelreichen Stadt. Dann stieg ich
is zum Storchnestrad hinauf in den alten Surgtorturm, der gleich
em Jungfernturm wieder zugänglich gemacht war, und genoß auch
ier noch einmal den Blick auf die alten roten Dächer und die
on huntem Treiben erfüllten Gassen.