Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

eimat· Schollen 
Slätter zur Pflege hessischer Art. Geschichte und Heimatkunst 
8* Erscheint monatlich. Preis der Einzelnummer einschl. Porto 0,15 My. Frũhere Jahr⸗ 
Nr. 7 ⸗ 1924 bönnen, edee vorrätig, vom Heimatschollen⸗Derlag nachbezogen werden. 4. Jahrgang 
AUAm Haus und Hof 50 Von Joh. H. Schwalm. 
Erzählung aus dem Schwalmtal. o. Fortsehung. 
„Du kbannst so schön geigen, willst du mir und meiner 
ungen Frau nicht die Ehr antun, mal zu spielen?“ 
Als ob ihn eine Natter gestochen hätte, so wirkten diese 
öhnischen, übermütigen Worte auf Hans RKenner. Er 
chaute dem Berghofbauer erschrocken ins Gesicht, und als 
ich ihre Augen begegneten, war er's nicht, der sie nieder⸗ 
hlug. „Ich soll spielen?“ sagte er verwundert, als ob er 
einen Ohren nicht traue, „du spaßest, Willem?“ 
Da bam er aber schön an. „Wie! Ich spaßen! Nein, 
s ist mein völliger Ernst, und ich denk. du hast beine Ursach, 
ich zu sträuben!“ 
„Ich hätt eine, Willem, aber — — wenn du nicht 
inders willst, dann spiel ich.“ 
„Heda, Musibanten, bringt mal eine Violin.“ rief der 
Zerghöfer, bLirschrot im Gesicht. 
„Nein,“ entgegnete Kenner, „wenn's denn mal sein 
nuß, dann gibts auf der Welt nur eine, die dazu taugt, 
neine italiener Geige. Ich werd sie holen.“ Damit ver— 
hwand er hocherhobenen Hauptes aus dem Haufen' der 
zuhörer, der sich um die beiden jungen Männer gebildet, 
ind von denen viele wußten, in welchem Verhältnis die 
unge Frau als Mädchen zu Kenner gestanden hatte. Die 
neisten bedauerten sie und ihn. 
Bald behrte Hans zurück. Er stellte sich vor das junge 
Fhepaar hin, und als ihn Els mit verwunderten Augen 
insah, sagte er wie entschuldigend: „Dein — Mann hat 
nich aufgefordert, ich soll jpielen.“ 
Als Els diese Worte hörte, ging eine ersichtliche Der- 
inderung mit ihr vor. Also der Berghöfer — es war ihr 
rwoch nicht gelungen, ihn als ihren Mann zu bezeichnen — 
Morgen wollte er mit seinem alten Leonardi, der ihm 
durch seine treue Hingebung in den letzten schweren Wochen 
noch mehr ans Herz gewachsen war, diesen Ort verlassen 
und versuchen, ob nicht die Fremde einen Balsam für seine 
Wunde habe. Er mußte Els mit sich selbst zur Ruhe 
dommen lassen, was ihr nach seiner Meinung leichter sei, 
wenn sie ihn nicht fast täglich sähe. Schon lag alles aufs 
zlücklichste geordnet. Ein naher Verwandter sollte das 
Haus bewohnen und die Acker bewirtschaften. Den Pacht- 
zins sollte er dem alten Mausche entrichten; denn es belief 
sich auf ein stattliches Sümmchen, das Hans als zahlender 
Bürge dem alten Mausche schuldete. Auch das Geld zur 
Keise nach Amerika war Paul Waldmüller gegen Hansens 
Bürgschaft vorgeschossen worden. Diese Schulden lasteten 
ihm zwar schwer auf den Schultern, aber er gestand sich, 
daß er heute trotzdem noch einmal so handeln würde, wie 
er's getan. Warum sich Grillen machen, Gott hilft schon 
zur rechten Seitl! In den letzten Wochen hatte er oftmals 
an der agütigen Füagung eines persönlichen Gottes gezwei- 
felt ... 
Lustig ertönten die Weijen der Tanzmusik, munter schwenbten 
sich die Paare. Eine wilde Fröhlichkeit hatte die Hochzeits- 
gäste erfaßt. Am lautesten aber tollte der junge Mann, und 
seine ũbersprudelnde Lustigkeit schien eine umso schwindelndere 
Höhe zu erblimmen, je stiller jeine junge Frau wurde. Wollte 
er seinen Gedanben entfliehen? 
„Hans, Hansl“ rief er gellend durch den Saal. End— 
lich fand er den Gesuchten. 
„Was willst du?“ erwiderte ihm der Gerufene, indem 
er es vermied, daß sich ihre Augen begegneten.
	        
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