Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Adolf Maurer, Die stille Kevolution — Neuwerkb. Verlag 
Schlũüchtern ·¶ Habertshof. Diese Erzählung fordert die Revolution 
des Herzens, seine Umwandlung aus dem Sustand der Erstarrung 
und der Gleichgültigkeit in den der brennenden Liebe und der 
Opferbereitschaft. Tatchristentum — nicht Worfchristentum, wenn 
auch das Tun des in Jesus verblörperten Gotteswillens schwerer 
ist als das lippenmäßige Bebenntnis, auf das die Kirchen so großen 
Wert legen. Ein sterbender Pfarrer bebennt seinem fruheren 
Schũler, einem Arbeiter: „Arnold, ich hätte euch den Weg besser 
ʒeigen sollen, hätte nicht nur reden, hätte selber in den Kampf 
hineinstehen sollen, zuvorderst, und bin oft geflohen und habe mich 
Der Grenzgang in Wetter. 
Anfangs Juli begingen die Bewohner der alten Hessenstadt 
Wetter ein althistorisches Fest, den jog. Grenzgang. Wenn nicht 
angewöhnliche Seitereignisse ein Hindernis bieten, wie der Welt⸗ 
Lrieg, wird alle sieben Jahre ein solches Grenzgangfest gefeiert. 
Diesmal waren es aus dem leßterwähnten Grunde 14 Jahre, daß 
die Einwohnerschaft von Wetter daran denken bonnte, diesem alten 
Brauch näher zu treten. Das letzte Grenzgangfest wurde im 
Jahre 1910 abgehalten; damals dachte noch niemand daran, wie 
sich die Verhältnijsse in unserem Daterlande ändern würden. 
Nach alten AÄberlieferungen ist der Grenzgang in Wetter, der 
eine Mahnung sein soll, der Heimat die Treue zu halten, die alten 
Sitten und Gebräuche nicht zu vergessen und vor allen Dingen 
die Grenze der eigenen Feldmark zu schüßzen, seit 250 Jahren nur 
einmal ausgefallen. Es war dies, wie schon vorhin erwähnt, 
wãhrend des Weltbriegs im Jahre 19117. Daß der Grenzgang 
VOerhältnisje halber verschoben wurde, ist zweimal vorgebommen, 
im Jahre 1155 und 1860. Wenn auch die Seiten immer noch nicht 
dazu angetan sind, so froh und fröhlich zu sein, so darf dies doch 
bein Hindernis bedeuten, solche Gedenken, wie den Grenzgang. 
einfach unter den Tisch fallen zu lasjen. „Nur wer sich selbst auf- 
gibt, ist verloren“, heißt ein altes Sprichwort, und so denkben auch 
die Wetteraner und lajssen sich durch nichts hindern, treu an der 
alten Sitte festzuhalten. 
Der Grenzgang, ein Heimatfest in des Wortes vollstem Sinn, 
wird die Liebe zur Heimat stärben, und Heimatliebe und Vater— 
landsliebe sind wohl nicht gut von einander zu trennen. Am 
Donnerstag, den 3. Juli, hat er begonnen, der Grenzgang in 
Wetter, und am nächstfolgenden Montag ist das Fest begraben 
worden. Wer Sinn und Freude an alten Aberlieferungen hat, 
verfehle ũbrigens nicht, sich das mit vielen Abbildungen aus Wetter 
ausgestattete Büchlein, das Ernst Sangmeister seiner Vater— 
stadt zum diesmaligen Grenzgang gestiftet hat, zu verschaffen. 
Der Taufstein an der Ohm. 
Anfang Juni machte der Marburger Hejssische Geschichtsverein 
bei schönem Wetter unter ziemlich zahlreicher Beteiligung einen 
Ausflug ins Ohmtal. Von der Haltestelle Bürgeln aus besuchte 
man die ũber der Ohm in einem Wäldchen hübsch gelegene Stelle, 
wo seit 1911 der der Ohm entrisjene alte Taufstein aufgestellt ijst. 
UÜber diesen Taufstein berichtete Archivrat Or. Knetsch an Ort 
und Stelle, im wesentlichen nach den Forschungsergebnissen des 
als Opfer des Kriegs 1916 verstorbenen Archivrats De. Rosenfeld. 
In der gedruckten Literatur taucht der Taufstein in der Ohm, 
in dem angeblich Bonifatius die heidnischen Chatten getauft habe, 
zuerst in einer Schrift des Pfarrers, späteren Superintendenten 
Kolbe 1882 auf. Am 12. Juni 1803 bei besonders niedrigem 
Wasserstand hat der Geschichtsverein den Dersuch gemacht, mit 
Stricken und Hebebäumen den Stein zu heben, aber ergebnislos. 
Wieder in einem sehr heißen Jahr, am 24. August 1911, haben 
dann einige Leute aus Colbe den etwa Sentner schweren Stein 
aus dem Wasser geholt und an das Ufer geschafft. Regierungs— 
und Forstrat Hermes ließ ihn an geeignetem Platze ũber der Stelle, 
wo er viele Jahrhunderte im Wasser gelegen hat, befestigen. Bei 
einem im September 1911 vom Marburger Geschichtsverein unter⸗ 
nommenen Ausflug zu diesem neugewonnenen Denkmal gab 
Dr. Rosenfeld Erläuterungen, die erheblich ũber das hinausgingen, 
was man 18 Jahre früher über den Stein zu sagen gewußt haätte. 
Nach Kosenfelds Ausführungen wird der Taufstein in der 
Ohm als Grenze eines herrschaftlichen (landgräflichen) Fischwassers 
jeit dem Ende des 16. Jahrhunderts verhältnismäßig häufig ge— 
nannt, so in dem Salbuch des Gerichts Schönstadt von 1592, in 
Leihe⸗ und Verpachtungsbriefen (z. B. 1604), in den Steuerbatastern 
von Bernsdorf und Bürgeln (beide aus der Mitte des 18. Jahr⸗ 
hunderts). Aber schon früher, im Jahre 1400, bommt offenbar 
derselbe Stein als „steynen schale“ gleichfalls als Grenze einer 
inter meinen Stubenwänden und hinter meinem Büchergostell 
erkrochen. Gott muß tapfere Leute haben, das Himmelreich wird 
ücht gebaut mit frommen Worten“. Arnold Necracher geht mit 
iesem Dermächtnis des Toten ins Leben und will Ernst machen 
nit Christus, damit alles besser werde auf der Welt. Er findet 
sleichgesinnte, wirbkt mit ihnen revolutionierend und läßt bei plöß- 
ich ausgebrochenen Streibunruhen sein Leben für die Brüder. 
Sein Christentum ist nicht schwahen von Christus, sondern tun, wie 
Lhristus getan hat. — Ein sehr ernstes Buch, das sich mit brennenden 
zeitfragen mutig auseinandersetzt, ein Wegweiser zum wahren 
deben. K. 
— 
imafwarte. 
fijcherei auf der Ohm vor, und ebenso wird die „Steinschale“ im 
sericht zu Schönstadt, bei der die Steinhuser Wiese 1369 genannt 
vird, und die „Steinschale“ zu Ginseldorf von 13710 (auch hier 
Fijchwassergrenze) auf den Taufstein zu beziehen sein. Sind diese 
Annahmen nicht zu Lühn, so führen einige Urkunden von 1280 
ind 1288 wieder um ein Jahrhundert weiter zurück; denn bereits 
amals wird eine „Schale“ bei der Ginselau, bzw. bei Ginseldorf, 
iuch in Verbindung mit der Fischerei in der Ohm erwähnt. Diese 
etzten Erwähnungen sind fruͤher (1882) in reichlich phantastijcher 
Veise von Kolbe auf die sogenannte Hunburg bei Bürgeln, nach 
hm eine vorgeschichtliche Begräbnisstätte, bezogen worden; seine 
krblärung ist schon bei dem völligen Mangel jedes sicheren Seug- 
nisses ũüber die 1802 völlig abgetragene Hunburg zu verwerfen, 
venn auch die Urkundenstellen von 1280 und 1288 noch Sweijeln 
Kaum lasjen. Die Form des Steins spricht dabei eher für noch 
oeit höheres Alter, da seine Grundform wohl als romanisch an⸗ 
usprechen ist; nur roh bearbeitet und nicht fertiggestellt, hat er nie 
lirchlichen Swecken gedient. Wann und weshaälb er in die Ohm 
geschafft worden ist, wird sich schwerlich je nachweijen lassen. 
Hessen — die Heimat des Nibelungenliedes. 
Lange haben die Gelehrten darüber gestritten, wie es mit 
dem Arsprung jenes Werkes der Dichtkunst bestellt sei, das als 
»as National Epos der Deutschen bezeichnet wird. Außerliche 
Merbmale — Fundort und Mundart der Handschriften zumal — 
chienen auf südostdeutschen Ursprung zu weisen, und umsomehr, 
z blarer die Erkenntnis wurde, daß die Theorie vom historischen 
dern der Sage — die angebliche Vernichtung eines am Rhein 
zelegenen Burgundenreiches durch Attila — nicht aufrecht zu 
rhalten jei. Nun ist es dem Darmstädter Archipdirelktor 9. R. 
Ddieterich gelungen, in einer Veröffentlichung der Gesellschaft 
dessijcher Bũcherfreunde den Nachweis zu führen, daß das Nibe- 
ungenlied in der Form, wie es heute vorliegt, auf hessischem 
Soden entstanden ist. An Hand untrüglicher Ergebnisse von 
jeneadlogischen und lobalgeschichtlichen Forschungen zeigt er, daß 
zie Gretlichleiten, die in dem Heldengedicht eine besonders hervor⸗ 
agende Rolle spielen, auf dem hessischen Gebiet zwischen Rhein 
ind Odenwald gelegen sind. Seine Feststellungen ermöglichen es 
ahezu, den Jagdzug, auf dem Siegfried meuchlings von Hagen 
rmordet wurde, geographisch zu verfolgen. Die AUereinstimmung 
er landichaftlichen Schilderungen des Gedichts mit den historisch 
eographijschen Tatjachen in dem heute als Ried bezeichneten 
Zaum ist jedenfalls unabweislich und läßt darauf schließen, daß der 
dichter hier gelebt hat. Anders ist seine genaue Ortsbenntnis 
ncht zu erklären. Dieterich geht aber noch weiter. Den so gewonnenen 
ẽrbenntnissen folgend, bemüht er sich, auch die Person des Dichters 
estzustellen und gelangt zu der Annahme, daß der Abt Sigehart 
on Lorsch (an der Bergstraße) in erster Linie in Frage kommen 
nüsse, wofür er jedenfalls eine ganze Reihe von beweisbräftigen 
Imständen namhaft macht. Nach den äußerst sorgfältigen LUnter— 
uchungen Dieterichs kann es beinen Sweifel daruber geben, daß 
er Dichter des Nibelungenliedes, wie aus dessen Lünstlerijcher 
formung und zeitgeschichtlicher Färbung hervorgeht, eine Persön⸗ 
ichleit vornehmer Herbunft und ausgesprochen geistiger Bildung 
ewesen sein bann. Die Vereinigung dieser beiden Eigenschaften 
ab es aber damals nur im geistlichen Stand. Da nun Lorsch 
nmitten des oben bezeichneten Gebietes liegt und Sigehart zu der 
zeit gelebt hat, in welcher das Nibelungenlied geschaffen worden 
st, liegt es — von weiteren, gleich gerichketen Hinweisen abgesehen 
— nahe genug, zum wenigsten die Anwartschaft jenes Abtes von 
dorsch geltend zu machen, und dadurch den, durch die damaligen 
erworrenen Territorialverhältnisse nicht abzujchwãchenden Anspruch 
I auf den Ursprung des deutschen Nibelungenliedes zu ver— 
iefen. 
Nachdruck nur nach AÄbereinkunft mit dem Herausgeber gestattet. 
Herausgeber: Konrad Bernecker. Druch und Verlag: M. Bernecker in Melsungen.
	        
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