Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

erzählen von mannigfachem leidvollen und freudvollen Erleben der 
Büũürger. Aber auch Barock, Robobo und Biedermeier haben sich 
hier und da in die Gegenwart gerettet. Wundervoll wirbt die 
hochragende Kirche — mit ihren Turmaufsätzen, dem überdeckten 
Umgang und der lustigen Haube, eine der schönsten Kirchen im 
Hessenland. Ungezählte Geschlechter schon schritten über ihre aus— 
getretene Schwelle. Im Jahr 1855 wurde sie Sitz eines Chor— 
herenstiftes, das vom alten Wallfahrtsort Gottsbüren hierher ver⸗ 
legt wurde, bis es 1808 wieder zur Altstädter Kirche in Hof- 
geismar zurückkehrte. Die 
Feuersbrunst von 1582 ließ zweiĩ 
GBlocken des Turmes schmelzen 
und zwei weitere durch das 
Bewölbe herabstürzen. Im 
zo jährigen Krieg brannte der 
ganze Bau aus, dessen gewal⸗ 
tige Mauern jedoch all diesen 
Stũrmen trotzten. 
Was gibt eigentlich diesen 
alten Städten ihren Keiz? Es 
ist neben den Erinnerungen 
an die Vergangenheit, die vor 
unseren Augen so lebendig 
werden, das Bewußtjein, daß 
der innere Reichtum jener 
Zeit auch bei den einfachsten 
Bauten weniger oder mehr be— 
wußt Städteschönheit zu schaf⸗- 
fen wußte. Auch die freudige 
Lebensanschauung, die noch 
heute aus diesen Häusern 
pricht, hat ihren Anteil. Man 
muß, um den ganzen Genuß 
eines solchen Stadtbildes in 
sich aufzunehmen, an Som- 
mertagen durch die alten Gassen geschritten sein, wenn in den 
Fenstern der kleinen schmucken Häuser Geranien und Fuchsien 
leuchten; und dazwischen wieder heiteres Gartengrün und dann 
wieder ein Stück Mauer, auf dessen Gestein das bunte Farbenspiel 
blütenjchwerer Bũschel emporwuchert. UÜUber all dieser Pracht 
wölbt sich ein sonniger Himmel, in dessen tiefem Blau wie die 
Injeln der Seligen weiße Wolken bewegungslos stehen. 
Wier sind am Jungfernturm, dessen spitzes Siegeldach weit seine 
Umgebung überragt. Manch einer hat in seinem dunklen Verließ 
geschmachtet, unter ihnen jener Lühne KRieseberg, der im nahen 
Immenhaujsen die 
erste protestanti- 
jiche Predigt hielt. 
Wir schreiten die 
Stadtmauer 
entlang und kom- 
men zur Abge— 
jchiedenheit des 
verträumten, von 
alten Linden be⸗ 
schatteten, dicht⸗ 
umhegten Fried⸗ 
hofes mit seinen 
verwitterten 
Gräbermalen und 
seiner Blüten- 
pracht. Hier drau⸗ 
ßen vor derStadt- 
mauer steht, wie 
jo oft im Leben, 
dicht neben der 
ernstesten Stätte 
die heiterste, das 
Sauertal mit 
jeinem Schützen⸗ 
haus, wo der 
Bürger nach der 
Wochen Arbeit 
und Plage jeine 
Feste feierte, und Eulenturm. 
wo er auch die 
Sechshundertjahrfeier seiner Vaterstadt begehen wird, ein Plaß 
wie geschaffen für Festfreude. 
Im Süden winkben die Trümmer der alten ODeste. Ehe wir 
scheiden, Klimmen wir noch einmal zu ihr empor durch das malerische 
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Zurgtor, auf dessen Turm ein großes eisernes Kad des Storchen- 
aares harrt, das hier sein Nest baut. Sur Kechten und Linken 
ie schmucken Gärten, wie sie schon im Mittelalter den Berg 
inankrochen. Ein Chor gefiederter Sänger jubelt aus den Sweigen, 
ind die Heckenrosen- und Holunderbüsche wehen eine Wolke von 
duft herüber. Richt gerade malerisch stellt sich das alte, basten- 
drmige Gemãuer mit seinen gradlinigen Umrissen vom Tale aus dar. 
treten wir aber in den eriesigen, 83 Meter langen und noch in 
ier Stockwerben aufragenden Wohnbau ein, dann empfinden wir 
doch die eindrucksvolle Wir⸗ 
zung diejes Kolosses und er⸗ 
freuen uns der Einzelheiten, 
die sich noch in Kaminen und 
Balkonen hier und da erhalten 
haben; es ist nicht eben viel, 
ünd doch im Laufe der Seit, 
sei es bei trigonometrischen 
Moessungen oder bei Einrich- 
lung eines Wirtschaftsbetriebes, 
mañcher Deckstein des Haupt⸗ 
gesimjes herabgeworfen, Krag- 
steine, Fensterkreuze und Tür— 
gewände zerstört worden. 
Noch wäre es Seit, hier 
oben zu sühnen, was Wind 
und Wetter, was menschlicher 
Unverstand von Freund und 
Feind verwũstet haben. Einige 
ausend Mark würden hin— 
»cichen, den Burgbau als 
Invalidenheim, Sommerfrische 
oder Jugendherberge, um die 
Grebenstein auf die Dauer doch 
nicht herumkommen wird, 
wieder einer wohnlichen Be— 
timmung zuzuführen. Weit schweift der Blick hier oben über 
Välder, Vödefer und Fluren des hessischen Sachsengaus, in dem 
ich hejfisches Wesen mit schwerem Niederjachsentum breuzt, aber 
mmer wieder verweilt er auf dem mittelalterlichen Stadtbild zu 
injren Füßen, hinter dem ain Gebirgskamm eben die blutrote 
Sonnenscheibe hinabsinkt. Wir sinnen und träumen uns mitten 
inein in die Seit, da all diese Häuser noch nicht von der Last 
er Jahrhunderte gedrückt wurden, bis der schrille Pfiff der 
fijenbahn uns mitten aus unserm Träumen in die Gegenwart 
urũckrufit. — Für den, der an der Geburtsfeier des alten Hessen- 
städtchens teilzu⸗ 
nehmen gedenbt, 
jei bemerkt, daß 
die Eisenbahn⸗ 
berwaltung Son⸗ 
derzüge vorge⸗- 
jehen hat. Am 
2. August ist Be⸗ 
grũüßungsabend, 
am 3. Nugust 
(Sonntag) um 10 
Uhr Festgottes- 
dienst auf dem 
Burgberg. Um 
2d Uhr wird sich 
zin historijcher 
Festzug durch die 
Straßen der 
Stadt bewegen. 
Dann schließt sich 
um 4 Uhr die 
Aufführung des 
bon Heinre. Röser 
berfaßten Fest- 
pieles „Jochem 
Hennig“ (Aus 
einer Hessenstadt 
leidvollsten 
Tagen) an — 
ein Schaujspiel 
aus dem DVreißig⸗ 
ãährigen Krieg in drei Aufzügen (erschienen im Heimatschollen- 
derlag). Am 4. August Besichtigung der Stadt unter Führung, 
frühkonzert im Sauertal und, wie am Montag, Volksspiele und 
Zelustigungen aller Art. Konzert und Tan—x 
Altes Sachsenhaus (Nr. 257).
	        
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