erzählen von mannigfachem leidvollen und freudvollen Erleben der
Büũürger. Aber auch Barock, Robobo und Biedermeier haben sich
hier und da in die Gegenwart gerettet. Wundervoll wirbt die
hochragende Kirche — mit ihren Turmaufsätzen, dem überdeckten
Umgang und der lustigen Haube, eine der schönsten Kirchen im
Hessenland. Ungezählte Geschlechter schon schritten über ihre aus—
getretene Schwelle. Im Jahr 1855 wurde sie Sitz eines Chor—
herenstiftes, das vom alten Wallfahrtsort Gottsbüren hierher ver⸗
legt wurde, bis es 1808 wieder zur Altstädter Kirche in Hof-
geismar zurückkehrte. Die
Feuersbrunst von 1582 ließ zweiĩ
GBlocken des Turmes schmelzen
und zwei weitere durch das
Bewölbe herabstürzen. Im
zo jährigen Krieg brannte der
ganze Bau aus, dessen gewal⸗
tige Mauern jedoch all diesen
Stũrmen trotzten.
Was gibt eigentlich diesen
alten Städten ihren Keiz? Es
ist neben den Erinnerungen
an die Vergangenheit, die vor
unseren Augen so lebendig
werden, das Bewußtjein, daß
der innere Reichtum jener
Zeit auch bei den einfachsten
Bauten weniger oder mehr be—
wußt Städteschönheit zu schaf⸗-
fen wußte. Auch die freudige
Lebensanschauung, die noch
heute aus diesen Häusern
pricht, hat ihren Anteil. Man
muß, um den ganzen Genuß
eines solchen Stadtbildes in
sich aufzunehmen, an Som-
mertagen durch die alten Gassen geschritten sein, wenn in den
Fenstern der kleinen schmucken Häuser Geranien und Fuchsien
leuchten; und dazwischen wieder heiteres Gartengrün und dann
wieder ein Stück Mauer, auf dessen Gestein das bunte Farbenspiel
blütenjchwerer Bũschel emporwuchert. UÜUber all dieser Pracht
wölbt sich ein sonniger Himmel, in dessen tiefem Blau wie die
Injeln der Seligen weiße Wolken bewegungslos stehen.
Wier sind am Jungfernturm, dessen spitzes Siegeldach weit seine
Umgebung überragt. Manch einer hat in seinem dunklen Verließ
geschmachtet, unter ihnen jener Lühne KRieseberg, der im nahen
Immenhaujsen die
erste protestanti-
jiche Predigt hielt.
Wir schreiten die
Stadtmauer
entlang und kom-
men zur Abge—
jchiedenheit des
verträumten, von
alten Linden be⸗
schatteten, dicht⸗
umhegten Fried⸗
hofes mit seinen
verwitterten
Gräbermalen und
seiner Blüten-
pracht. Hier drau⸗
ßen vor derStadt-
mauer steht, wie
jo oft im Leben,
dicht neben der
ernstesten Stätte
die heiterste, das
Sauertal mit
jeinem Schützen⸗
haus, wo der
Bürger nach der
Wochen Arbeit
und Plage jeine
Feste feierte, und Eulenturm.
wo er auch die
Sechshundertjahrfeier seiner Vaterstadt begehen wird, ein Plaß
wie geschaffen für Festfreude.
Im Süden winkben die Trümmer der alten ODeste. Ehe wir
scheiden, Klimmen wir noch einmal zu ihr empor durch das malerische
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Zurgtor, auf dessen Turm ein großes eisernes Kad des Storchen-
aares harrt, das hier sein Nest baut. Sur Kechten und Linken
ie schmucken Gärten, wie sie schon im Mittelalter den Berg
inankrochen. Ein Chor gefiederter Sänger jubelt aus den Sweigen,
ind die Heckenrosen- und Holunderbüsche wehen eine Wolke von
duft herüber. Richt gerade malerisch stellt sich das alte, basten-
drmige Gemãuer mit seinen gradlinigen Umrissen vom Tale aus dar.
treten wir aber in den eriesigen, 83 Meter langen und noch in
ier Stockwerben aufragenden Wohnbau ein, dann empfinden wir
doch die eindrucksvolle Wir⸗
zung diejes Kolosses und er⸗
freuen uns der Einzelheiten,
die sich noch in Kaminen und
Balkonen hier und da erhalten
haben; es ist nicht eben viel,
ünd doch im Laufe der Seit,
sei es bei trigonometrischen
Moessungen oder bei Einrich-
lung eines Wirtschaftsbetriebes,
mañcher Deckstein des Haupt⸗
gesimjes herabgeworfen, Krag-
steine, Fensterkreuze und Tür—
gewände zerstört worden.
Noch wäre es Seit, hier
oben zu sühnen, was Wind
und Wetter, was menschlicher
Unverstand von Freund und
Feind verwũstet haben. Einige
ausend Mark würden hin—
»cichen, den Burgbau als
Invalidenheim, Sommerfrische
oder Jugendherberge, um die
Grebenstein auf die Dauer doch
nicht herumkommen wird,
wieder einer wohnlichen Be—
timmung zuzuführen. Weit schweift der Blick hier oben über
Välder, Vödefer und Fluren des hessischen Sachsengaus, in dem
ich hejfisches Wesen mit schwerem Niederjachsentum breuzt, aber
mmer wieder verweilt er auf dem mittelalterlichen Stadtbild zu
injren Füßen, hinter dem ain Gebirgskamm eben die blutrote
Sonnenscheibe hinabsinkt. Wir sinnen und träumen uns mitten
inein in die Seit, da all diese Häuser noch nicht von der Last
er Jahrhunderte gedrückt wurden, bis der schrille Pfiff der
fijenbahn uns mitten aus unserm Träumen in die Gegenwart
urũckrufit. — Für den, der an der Geburtsfeier des alten Hessen-
städtchens teilzu⸗
nehmen gedenbt,
jei bemerkt, daß
die Eisenbahn⸗
berwaltung Son⸗
derzüge vorge⸗-
jehen hat. Am
2. August ist Be⸗
grũüßungsabend,
am 3. Nugust
(Sonntag) um 10
Uhr Festgottes-
dienst auf dem
Burgberg. Um
2d Uhr wird sich
zin historijcher
Festzug durch die
Straßen der
Stadt bewegen.
Dann schließt sich
um 4 Uhr die
Aufführung des
bon Heinre. Röser
berfaßten Fest-
pieles „Jochem
Hennig“ (Aus
einer Hessenstadt
leidvollsten
Tagen) an —
ein Schaujspiel
aus dem DVreißig⸗
ãährigen Krieg in drei Aufzügen (erschienen im Heimatschollen-
derlag). Am 4. August Besichtigung der Stadt unter Führung,
frühkonzert im Sauertal und, wie am Montag, Volksspiele und
Zelustigungen aller Art. Konzert und Tan—x
Altes Sachsenhaus (Nr. 257).