Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Vom Dorfe her blangen die Gesänge der Jugend wie 
Hohn in diesen Ausbruch des tiefsten Schmerzes. 
„Lieber Paul“, erwiderte Hans, „laß uns die Sach 
'mal bedenken. Wir müssen vor allen Dingen die fünfzig 
Taler anschaffen. Weiterhin lassen wir den da oben walten. 
Worgen abend“, fuhr er fort, „hast du 's Geld. Wehr 
net ab, du mußt's von mir annehmen.“ 
„Du hast aber das Geld nicht.“ 
„Wenn schon, ich schaff's an.“ 
Paul schwieg, seine Widerstandsbkraft ging zur Neige, nur 
einen Händedruck wechselte er mit Hans. Sie verstanden sich. — 
Hans hielt sein Dersprechen, obgleich es Opfer von 
ihm forderte. 
Nun saßen die Freunde wieder beisammen und berat— 
schlagten, wie weiter zu helfen sei. 
„AUm den Juden brauchst du dir vor der Hand auch 
woegen des übrigen Geldes beine Sorgen zu machen,“ 
tröstete Hans seinen Freund. 
„Du hast dich verbürgt?“ 
„Meinethalben, ja.“ 
„Wie ich dir's vergelten soll, weiß ich freilich net, Laum, 
wie ich bezahlen bann. Hast du dir auch überlegt, daß du 
möglicherweise die Posten begleichen mußßk?“ 
Hans blickte auf die Erde. Wohl hatte er diese 
Möglichkeit in Kechnung gezogen, aber trotzdem seinen Plan 
ausgeführt. Was bonnte ihm denn geschehen. Eltern hatte 
er nicht, nur seinen alten Jaques. Was schadete es da, 
wenn seine paar Acker draufgingen für diejenigen, für die 
er gern sein Leben geopfert hätte. Besaß er nicht brästige 
Arme, wenn's wirblich zum äußersten kam 
„Ich hab's bedacht,“ antwortete er einfach. Paul ließ 
nicht ab von seinen selbstquälerischen Gedanken und sagte: 
„Ich will mehr Verdienst suchen und — wenn ich nach 
Ameriba auswandern müßt. Ich bebomm hier zwar meine 
jechzig Taler Lohn, und du weißt, ich bin sparsam, aber 
was hilft's, wenn ich wirblich sogar noch meine Trinkgelder 
hergeb, die ich erhalt, wenn mein Herr ein Pferd oder ein 
Paar Ochsen verbauft. Es langt net! Die Gerichtsbosten 
berschlingen alles.“ 
„Du hast recht,“ pflichtete Hans bei, „du mußt mehr 
Verdienst suchen.“ 
„Ich geh nach Amerika. Ich werd's meinen Eltern 
bei nächster Gelegenheit beibringen.“ 
„Noch eins,“ bat Hans, „sprich — zu Els nichts von 
dem, was wir hier ausgemacht haben.“ 
„Du meinst, ich sollt sie nicht wissen lassen, was du für 
uns und auch für sie tust?“ 
„Ja, Paul; versteh mich nicht falsch, ich hab meinen 
Grund dabei.“ 
„Wenn du's nicht willst, dann 'gut, obwohl ich nicht 
versteh, warum du so tust. Ich werd schweigen.“ 
Damit trennten sich die Freunde. 
Hans schlenderte nach Hause. Lange saß er träumend 
in einer Ecke seiner Stube. Dann nahm er seine Geige 
zur Hand. Es waren schwermütige Weisen, die er ihr ent 
lockte, aber über alle dem Leidesblang schwebte wie Himmels- 
gesang der eine helle Ton, das hohe Lied seiner Liebe. 
J 
Mitten im Dörfchen lag das Gehöft des Berghofbauern. 
Auf drei Seiten die massigen Gebäulichbeiten, während die 
vierte durch ein grüngestrichenes Eisengitker von der Außen— 
welt abeschlossen wurde. Zwei Gebäude stellten sich als 
mächtige Scheunen dar, das dritte, das Wohnhaus, umfaßte 
in seiner weiteren Fortsetzung auch die Pferde- und Viehställe. 
Swischen den Häusern dehnte sich der Hof aus. Er 
var blitzeblank, nicht ein Hälmchen trieb sich darauf umhee, 
* Gräschen schob sich naseweis zwischen den Pflastersteinen 
ervor. 
Neben der Haustür auf der halbmondförmigen Treppe 
tand der Herr dieses Hofes. Seine Hände waren tief in 
gie Kittelschlitze versenkt, und seinem Munde entquollen dicke 
Kauchwolken. Das geschah immer, wenn allerlei Gedanken 
durch sein Gehirn wanderten. 
Hatte da eben der alte Mausche gestanden: „Und“, hatte 
der gesagt, „Gott der Gerechte, Herr Berghof, wisse Se 
nix zu verdiene in die daire Saide?“ 
„Nein, Mausche“, hatte er gebrummt, „nichts zu ver— 
dienen.“ 
Damit wollte sich der alte Hebräer entfernen. „Wart 
mal,“ hatte ihm da der Berghofbauer nachgerufen und war 
hon seiner Treppe herabgestiegen, auf der er wie eine Bild- 
ãäule gethront, „sag mal, Mausche, wie viel sind dir die 
Waldmüllers schuldig?“ Dabei blimperte er mit seinen Taler⸗ 
tücken in der Tasche. J 
Mausche hatte ihn mit einem Gesicht, das wie aus Erz 
zegossen schien, angeschaut und erwidert: „Wo werd ich sage, 
vas mir schulde die Laid. Wo wird der alte Mausche 
chmuse, was ihm schulde die Mensche. Bebomm ich doch 
neine Prozentcher zur richtigen Said von die brave Millersch⸗ 
aid. Mausche, hat gesagt meine Kalle, du bist reich, du 
nußt schenbe nach's Gesetz an die Derwandte der Sehnte 
»ons Geld und von die Geschäftcher, schenb die alte Millersch- 
aid ein Prozentche. Gott, hab ich gesagt, Sarche, kbaufe 
ner net Flaisch, Kaufe mir net Klaider vons Geld, und ich 
oll die Millerschlaid schenke ein Proʒentche? Aber hat se 
achgelasse, main Sarche? Nain, se hat net nachgelasse, bis 
ch schenkte die Millerschlaid ein Sehntel Prozentche von die 
echs Prozent.“ 
„Alter Schwäher, schweig still,“ hatte der Berghofbauer 
inwillig ausgerufen, „warum erzählst du mir das alles? 
Ich seh die Els gern und möcht was für die Eltern tun.“ 
„Sieh da, sieh da,“ hatte der alte Mausche gemacht, 
obwohl er die Sache längst kannte — was wußte der alte 
Mausche nichtl — „ein faines Mädche, ein gutes Mädche, 
iber — für den Berghofbauer baine Partie.“ 
„Doch, Mausche, du kannst dich drauf verlassen. Was 
»rauch ich auf Geld zu sehn? Ich weiß also beinen Grund, 
varum du meine Frag nicht beantworten willst.“ 
„Wo werd ich beantworte die Frage,“ hatte sich Mausche 
gewehrt, „es versteßt gegen mein Geschäftsprinzip,“ und 
dabei war er geblieben. 
Das wars also, was den Berghöfer so ärgerte, und 
varum seine Wut in hellen Flammen aufloderte. Und doch 
var's auch wiederum ein Teil Scham, die er empfand. Er 
)ätte dem Juden den Betrag ausbezahlt, und das wäre 
dann in seiner Hand die Schlinge geworden, mit der er die 
— 
ingsartigen Ehrenhaftigkeit des alten Mausche gescheitert. 
„Doch Geduldl — Pah,“ sagte er, „wozu bedarf ich 
uuch eines solchen Mittels! Sollt ich nicht ohnedies dem 
Mädchen den Kopf verdrehen können? Aber mein muß sie 
auf alle Fälle werden.“ Es bochte wild in ihm auf. 
So weit waren seine Gedanken gewandert, da traf sein 
Ohr der Klang von Hans Kenners Geige, dessen Haus 
einem Gehöfte gegenüber stand. Als habe ihn ein giftiges 
Hewürm erschreckt, so schnell drehte er sich auf dem Absatze 
um und verschwand in seinem Hause. Gortjetzung folgt.)
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.