Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

liert). De Ahl Lbnottert (schimpft für sich hin). Der Ellervater 
bollert (poltert). De Eller guckt waederlengich (wetterlüngich—quer, 
mißmutig). Die großen Kinder gehen „em de Braeng rem“ (um 
die Brände rum), und das Naestdrässelche (Nestdrösjelchen) pänter⸗- 
wiert allszu (tut weinerlich). Die zwei Alten auf dem Auszug 
halten sich für „iwwerlaceng“ (übrig. überflüssig) und meinen, man 
warte ihnen auf den Tod. Aber, Hoffetod lebt lang“ (Haungrund) 
oder „Hoffetod ißt am längsten Brod“ (Oberbeisheim Ke. Homberg). 
Es ist bald bein „Uskommens“ mehr mit den Alten, klagt der 
Murepeter. „Bann sich's doch nur ball schejtel welll“ (Wenn 
sich's doch nur bald scheiteln wollte) Das zerfitzte (ganz inein- 
ander verwierrte) Garn auf dem Gpulschragen scheitelt man, 
damit es wieder glatt wird, um es fadegrad abspulen zu 
tönnen. Aber beĩi Muroepetersch geht's nicht fadengrade. Die 
Nachbarn wissen, daß Murepetersch ein „bös Volk sind, be de 
Zichiener“ (wie die Sigeuner). „Bej daene bonn's nur d'r Tod 
geschlecht on gerecht“ (Bei denen bann's nur der Tod schlichten 
und richten). 
ie atmet auf, wenn sie ihren VDerpflichtungen endlich nachgekommen 
jt. — Ein ähnlicher Brauch besteht zu Weihnachten. Der Pate 
nacht seinem Patenbind ein Weihnachtsgeschen? und muß — die 
Sʒitte will es — von seiten des Kindes wieder beschenkt werden. 
— Am Konfirmationstage ziehen nachmittags die Konjfirmierten 
»on Haus zu Haus der Mitbonfirmanden, um in einigen Stunden 
nit Speisen und Getränken trabtiert zu werden. Statt einer 
hönen Feier im Kreise von Verwandten und Freunden ein Um— 
errennen durch die Straßen, das abstößt, erst recht, wenn man 
in einigen Kindern sehen bann, daß ihnen gewissenlose Leute 
5 pirituosen verabfolgt haben. — Ein anderer alter Brauch besteht 
im 3. Weihnachtstag, dem „Kengeltag“. An ihm haben die Jungen 
as Kecht, jedes Mädchen, dessen sie habhaft werden, mit Reisern 
ind Ruten durchzuhauen (bengeln). Selbst in die Wohnungen 
ürfen sie eindringen und dort ihres Dienstes walten, dessen Ein— 
ellung man schnell durch eine milde Gabe herbeiführen bann. 
Ddaß unsere Frauenwelt sich das heute noch bieten läßt — na, man 
õrt, daß selbst erwachsene „verheiratete Jungen“ dieses eigenartige 
Kecht noch gegenüber dem älteren Teil des weiblichen Geschlechts 
n Anwendung bringen. — Ein den „Frömmen“ köstlich amüsierender 
Brauch, den man gehört haben muß, ist die Katzenmusik“. Verläßt 
in Ehegatte eines Familienzwistes wegen den anderen — sei es 
uch nur für einige Tage — und kbehrt dann reumütig ins gemein- 
ame Heim zurück, so wird die Rückkehr von den ortseingesessenen 
jugendlichen in eigenartiger Weise zur Notiz genommen. An 
rei aufeinanderfolgenden Abenden versammeln sie sich mit Gieß- 
annen, altem Blechgeschirr und sonstigem Geräusch machenden 
sßerümpel vor dem Haus der Eheleute, die sich wiedergefunden, und 
nachen einen Höllenlärm von oft stundenlanger Dauer. Alle in 
em betroffenen Häuserviertel Wohnenden atmen auf, wenn die 
dolbsjustiz iher Ende gefunden hat. Mag sein, wie es will, in 
hrer chinesischen Weltabgeschiedenheit sind die Brotteröder 
»riginelle Leute! 
Srofteröder Sitten. 
Mit der Aufnahme in die Schule tritt das bisher in freier 
Ungebundenheit aufwachsende Menschenkbind in eine neue, fremde 
Welt. Die moderne Pädagogik und ihre Jünger suchen dem Neu— 
aufgenommenen den Abergang so leicht und angenehm wie möglich 
zu machen. Hilfsdienste wollen ihnen die zahlreichen, mit Süßig- 
reiten gefüllten RKiesendüten der „Döden“, „Wajsen“ und sonstigen 
Anverwandten leisten, die in ungeheurer Sahl — oft 100-150 
für ein Kind! — ihren süßen Inhalt über die kleinen Abc⸗Schützen 
ausschũtten. Die Mutter muß die Spender gewissenhaft notieren, 
denn jeder von ihnen bekommt einen großen Teil seiner Spende 
in Kuchen und Brezelstũcken, Plätzchen usw. zurückerstattet. Sorgen- 
bolle, arbeitsreiche Tage haf die schon überlastete Hausfrau. und 
HDom 
— 4 — 
Büchertische der Heimat. 
Goeorg Flemmig, Hausbacken Brot. Neuwerbverlag Schlüch⸗ 
ern · Habertshof; geh. 1,65 Mb. 
Flemmig ijt ein Mensch, der Gott mit der Tat sucht. Was 
ꝛr hier bietet und in seiner schlichten Art als „Hausbacken Brot“ 
rusgibt, wird nicht an jedem Altar gereicht. Nicht redseliges 
feiertagschristentum, wirbendes Alltagschristentum fordert er. 
„Das gröste Wunderding ist doch der Mensch allein: 
Er bann, nach dem ers macht, Gott oder Teufel sein“ (Silesius). 
Ven da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, der nehme 
as „Hausbacken Brot“ zur Hand und die „Dorfgedankben“ dazu, 
ie wir auch an dieser Stelle empfohlen haben, und richte sich in 
einem Tun und Lassen nach dem, was da geschrieben steht. K. 
Karl Wehrhan, Die schönsten Sagen der alten Keichs— 
stadt Frankfurt a. M. Verlag Englert und Schlossjer, Frank⸗ 
surt a. M. Preis geb. 4 Mb. 
Der alten Reichsstadt kann man gratulieren zu diejem schönen 
Buch, das einem feinen Becher gleicht, mit dem ein Kundiger aus 
dem überquellenden Sagenborn geschöpft hat. Staunenswert sind 
Fülle und Glanz der Frankfurter Sagen, die K. Woehrhan hier 
bor uns ausbreitet. Kein Frankfurter Lehrer, der Heimatkunde 
uind Heimatgeschichte treibt, wird das gediegene Sammelwerb ent— 
hehren bönnen. 
In Druck und Bildschmuck macht die Sagensammlung dem 
herausgeber sowie dem Verlag alle Ehre. 
Auf der Heimatwarte. 
Der „Wandervogel Siegenhain“ 
ist eben fleißig daran, in dem Gartenhaus am „Entenfang“ eine 
ileine Bleibe einzurichten. Tag für Tag wird dort geschafft, und 
2s ist das Beste zu erwarten. Gleichzeitig wird vom Knüllgebirgs- 
berein der Gedanke erwogen, im „Schüßenwalde“ eine Herberge 
jür Wandersleute herzustellen. Ob das alte Schütßzenhausgebäude 
dazu benutzt werden bdann, oder ob eine besondere Barracke 
errichtet werden muß. darüber wurde bisher noch beine Einigkeit 
erzielt. Jedenfalls aber dürfte die drängende Angelegenheit einen 
Weg der Erfüllung finden. 
Personalien. 
Anfang März ist in Cassel der Maler Kichard Jeschke 
nach schwerem Leiden im Alter von 532 Jahren gestorben. Obwohl 
kein Hesse von Geburt, hat er sich doch in unserer Heimat so schnell 
und herzhaft eingebürgert, daß er bald, wenn auch nicht einer der 
bedeutendsten, so doch der beliebtesten Maler der hessischen Land- 
schaft geworden ist. Das kLam wohl vor allem daher, daß er sich 
eben diese Landschaft durch eigenes Wandern innerlich zu eigen 
machte. Seine Motltive suchte und fand er hier im Tal der Fulda 
und im niederhessischen Hügelland; besonders vertraut war ihm 
her Dörnberg mit seinen schroffen Felsbildungen und dem herrlichen 
Kundblick. Seine männlich-herbe Art des Ausdrucks war geeignet, 
tarke Eindrücke hervorzurufen. In seinen Bildern lag oft mehr 
nneres Erleben als künstlerijsche Abrundung, ein bennzeichnendes 
Merkmal seiner starken, von seelijschem Drängen erfüllten Wesenheit, 
er eine verstandesmäßige Klügelei ebenso fern gelegen hat wie 
egliche Art von Überheblichkeit. Durch seinen Tod sind sonach 
ie hessischen Gemäldeausstellungen eines ihrer schätzenswertesten 
Teilnehmer beraubt worden. 
Am J. April ist der Direktor der Casseler Gemälde-Galerie, 
)r. Georg Gronau, aus seiner Stellung ausgeschieden und wird 
em Vernehmen nach Cassel in absehbarer Seit verlassen. Dadurch 
erliert die Stadt nicht nur einen Mitbürger von Weltruf, sondern 
uch einen Mann, dem sie Ungewöhnliches verdankt. In den 
ahezu vierzehn Jahren, die Dr. Gronau als Leiter der Gemälde- 
alerie, die, eine Schöpfung Landgraf Wilhelms VIII. internationale 
Bedeutung besitzt, gewirkt hat, ist es ihm gelungen, dieser Stätte 
er Kunst denjenigen Ausbau zu ermöglichen, dessen sie bedurfte, 
im neuzeitlichen Ansprüchen, die an eine solche Einrichtung zu 
ellen sind, Genüge zu tun. Trotz der minimalen Mittel, die ihm 
on der preußischen Regierung zur Verfügung gestellt waren, — 
m ganzen nicht viel mehr als 100000 Mark — hat er es vermocht, 
ine sinn- und zweckentsprechende Neuordnung und Neuausstattung 
urchzuführen, Lücken auszufüllen, die Bibliotheb, die demnächst 
er GEffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll, zu verdoppeln 
ind einen vollständigen Katalog anzulegen. Von den wertvollen 
leinen Lehrbüchern ũber die Galerie — Rembrandt, Rubens, 
Jordaens, van Dyck, Franz Hals — abgejehen, hinterläßt er eine 
ßeschichte der Galerie im Manuskript. Nach alledem bann es 
einem Sweifel unterliegen, daß der unerwartete Abgang Dr. 
ßronaus von allen Freunden der Kunst in Cassel aufrichtig 
edauert wird. 
derausgeber: Konrad Bernecker, Druck und Verlag: MA. Bernecker in Melsungen.
	        
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