Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

gottsfrühe auf. Sie gingen zunächst bis Treysa, anstatt gleich in 
Ʒugsiehstillhaujen einzusseigen. So hatte es der alte Hannjabob 
haben wollen. In Treysa hatte er dann noch nicht genug und 
meinte zu seinem Reisegefährten: „Was meinst du, wir gehn bis 
Neustadt“. 
Weil nun Barwe Konn nichts dagegen reden wollte, so sausten 
die beiden zu Fuß los und bamen gerade in Neustadt an, als der 
Zug nach Marburg um die Ecke bog. „Schadet garnichts“, meinte 
Hannjakob, „wir gehen bis 
Kirchhain“. 
Aber als sie so in Kirch⸗ 
hain nach ein paar Stunden 
anlangten, mußten sie hören: 
„Der nächste Sug nach Mar- 
burg, der fährt erst in zwei 
Stunden“. 
„Schadet nichts“, sagte 
Hannjakbob, dem nachgerade 
doch die Beine stumpf geworden 
waren, „wir ruhen uns so lange 
aqus“. 
Das besorgten die z3wei 
denn so grũndlich, daß sie zur 
Keije erst aufbrachen, als der 
Zug nach Marburg eben abge⸗ 
fahren war. 
„Schadet nichts“, bnurrte 
Hannjakob, „wir gehen“. 
Und so kbamen sie dann 
gegen Abend in Warburg an 
und bonnten da gerade noch 
einsteigen, um nach Gießen 
zu fahren. 
Dort blieben sie über Nacht 
und zwar in einem Gasthause, 
„in dem die Tische nicht mit 
Tijschtüchern gedeckt waren“. 
Hannjakob mußte trotzdem am 
anderen Morgen einen tiefen 
Griff in seinen Siehbeutel tun. 
Er war auch vom Gehen 
auf ein paar Tage buriert und 
wartete geduldig auf den Sug, 
der ihn dann auch wirblich 
mitnahm. 
Auf der Herreise kLam aber 
der alte Geist wieder über 
Hannjakob, und als er in 
Marburg erfuhr, der Sug nach 
Kirchhain sei eben abgefahren, 
jagte er wieder: „Schadet nichts. 
wir gehen“. 
Erst in Neustadt Lonnte er 
mit Barwe Konn einsteigen. 
Hannjabob tröstete sich über die 
zwei verlorenen Tage, hatte 
er doch einige Mark dadurch 
gespart, doß er gegangen war. 
Schw. 
ebes (Kartoffelklöße). Hat man also ein Stückchen Sonntags- 
leijch, so lautet die Frage: „Was wollen wir denn drankochen?“ 
Und diese Frage gilt auch von dem Jungen nach der Konfirmation: 
Was bochen wir denn nun an ihn?“ und von dem Wädchen, das 
oraussichtlich wenig Aussicht auf einen Mann hat: „Was wollen 
vir nun an es bochen?“ Das heißt, welchem Beruf führen wir das 
Kind zu, wo bringen wir es unter. — So nimmt der Bauersmann 
die sprachliche Einkleidung seiner Überlegungen und Entschlüsse 
oft aus seinem Arbeitsfeld 
und aus seinem Erfahrungs- 
breis und verleiht damit seinen 
Ausdrücken etwas Boden⸗ 
ständiges und Treffendes. 
Die alte Brücke schwingt 
sich in zwei Bogen über das 
nordwärts rinnende Rhönflüß⸗ 
chen. Am Gänsrasen hüten 
die Kinder die jungen Gänse, 
die schon Kiele briegen. Unter⸗ 
halb der Brücke ist die breite, 
nuldenförmige Einfahrt, wo die 
Bauern das Spannvieh trän— 
en, wenn sie ins Feld fahren 
»der zurückkommen. Auch das 
Veidevieh löscht da jeinen 
Durst, wenn es im Herbst von 
den Jungen hinaus- oder heim⸗ 
getrieben wird. Das hoch⸗ 
gelegene Dorf leidet oft an 
Wassermangel. Darum fahren 
ie Bauern sjamt Wagen oder 
Pflug in den Fluß, der an 
dieser Stelle ziemlich breit und 
venig tief ist. Sum Seitver- 
treib lesen die Gänsehirten 
flache, glattgeschliffene Stein- 
hen aus dem Wasser. Einer 
will immer schönere „Broun— 
delsteinche“ haben als der 
andere. Die werfen sie dann 
so geschickt, daß die Steinchen 
über den Wasserspiegel hũpfen 
wie flinke Bachstelzchen. Oft 
zehn- und mehrmal berühren 
sie die blanke Fläche, um in 
flachen Bogen, die immer 
bleiner werden, weiterzuhüpfen 
und endlich zu versinken. Das 
nennen die Kinder „Brounkeln 
werfen“. Wie oft haben wir 
Srunkbeln geworfen. Blitz- 
schnelles Zählen erwies, wessen 
Brunbelsteinchen am meisten- 
mal aufhüpfte. Der war Mei⸗ 
ster in der Kunst des Brunbel⸗ 
werfens und nicht wenig stolz 
darauf. An der tiefsten Stelle, 
der „Krengelkutt“ (Kringel⸗ 
Laute), warfen wir dicke Feld⸗ 
steine hinein, die mit dumpj 
dluckjendem Laut „Plumps“ 
jagten und feine Kringel war⸗ 
fen. Auch Gänselöffel (Schalen 
der Flußmuschel) fischten wir 
zuweilen aus dem Wasser; 
häufiger noch fanden wir sie 
nach UÜberschwemmungen auf 
den Wiesen. Wenn man dann am Mittag in der Ferienzeit nach 
hause kam, stellte die Mutter gar oft eine feine Brunkeljuppe aus 
»en Tisch. Das war eine Erbsen-, Bohnen- oder Linsensuppe 
nit Mehlriwweln darin. Die Mehlriwweln hießen Brunbel. Je 
icker die Brunkeln, desto besser schmeckte uns Kindern die Suppe. 
Venn einem die Mutter „aufschöpfte“, achtete man darauf, daß 
ie mit dem großen Suppenlöffel die dicksten Brunkeln fischte. Der 
Kartoffelsuppe brachten wir wenig Vorliebe entgegen. weil darin 
die Brunbeln fehlten. 
Aufnahme von Hofphotograph Eberth, Cassel. 
Abendläuten. 
Es ragt des Dörfleins Gotteshaus 
Auf abendrotem Himmelsgrund. 
Und in den Frieden ruft hinaus 
Sein weihevoller Glockenmund: 
Aus dem 
VDolksmund.“ 
Von H. Ruppel. 
Hast du dein Tagwerk wohl bedacht? 
Dann blick empor und geh zur Kuhl 
Gott geb dir eine gute Nacht 
Und einen frohen Traum dazul 8. Kuppel. 
Ostern ist gewesen. Man⸗ 
cher Bauersmann im Haun— 
gzrund, der mehr als einen 
Jungen hat und vor die Berufs- 
wahl gestellt ist, jagt zu seiner Frau: „No eß e us d'r Schol. Bas 
koche me no on en?“ (Mun ist er aus der Schule. Was bochen 
wir nun an ihn?) Sum Verständnis dieser häufig zu hörenden 
Kedensart sei darauf verwiesen, daß der Bauersmann zu bestimmten 
Stücken Fleisch aus dem Solper oder aus der Fleischkammer gern 
ein bestimmtes Gericht auf dem Tisch hat. On Soubacke bocht 
me Krut on Brej**) (an Schweinbacken bocht man Kraut und 
Brei), on Soublaewerche odder Stuche Aerwes odder Kohlrawe 
(an Schweinefũüßchen ISaublauen] oder Stauchen sEisbeine] Erbser 
odor Kohlrüben ISteckrüben])), 30 Gaensbrate gehörn Kaduffel— 
4 
*) Mundartliche Ausdrücke ohne Ortsangabe entstammen dem Haungrund. 
*ei — af 
Bei „Murepetersch“— (Peters an der Mauer) ist „bös Wetter“, 
ein Lritischer Tag erster Ordnung“. D'r Ahl spoolt (spult — queru-
	        
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