werte Angelegenheit wurde dann vom Ehoepaar Hinkelbein
bhis in alle Einzelheiten erörtert, und dabei ging Vater
Christian zum Tee über. Bei dessen weiterem Genuß wurde
uns das Vergnügen zuteil, allerlei schöne Geschichten und
Witze zu hören, die nur leider den einen Fehler aufwiesen,
Schwarzenbörner Schäfer am Knüllteich.
daß ihnen die „Spitze“, sagen wir auf gut deutsch, die
„Pointe“ fehlte. Deshalb schauten wir wohl auch oft recht
zumm drein, einer aus des andern Augen immer die stumme
Frage lesend: Lachen wir überhaupt, und wann fangen wir
damit an? Weil aber jeder zögerte und wartete, mußte
schließlich „Süppchen“ selbst den Ton angeben, und das
geschah stets ziemlich laut und dröhnend, worauf alle, groß
uind blein, mit liebenswürdiger Berxreitwilligkeit pünbtlichst
einfielen. Später, nachdem wir die bleinen, artigen Geschichten
ängst in- und auswendig wußten, pflegte man immer ver—
ständnisvoll zu nicken und dem Erzähler an den Stellen
einzuhelfen, an denen sein Gedächtnis versagte. — Gern
denkbe ich auch noch an die Erzählung aus Hinbelbeins
Junggesellenzeit, die Mutter Kosalie immer wieder zu dem
begeisterten Ausruf hinriß: „Wie witzig, Christian, wie
witzigl“ Sie entstammte den Jahren, da Onbel „Süppchen“
noch jeglicher Familienbande ledig, alle 4 Wochen seine
Derwandten zu besuchen pflegte. Meist Lam er des Abends
spät in Mauswinkel an und nahm dann nicht am gemein—
samen Abendbrot teil, sondern sagte in aller Bescheidenheit
zur Hausfrau: „Weißt du, Luise, am Ende vertrag' ich
Bratbartoffeln auf die Nacht schlecht, am liebsten wär' mir,
offen gesagt, ein Süppchen. Es wird dire ja nicht zu viel
Umstände machen“. Dieser letzte Satz war jedoch schon so
gejprochen, als sei ein Bejahen dieser Frage von Mutter
Luijens Seite völlig ausgeschlossen. And diese hatte das
Sũppchen sogar schon fertig, denn wenn Onbel Christian
nur um die Ecke bog, pflegten Magd, Haustochter und
Hausfrau selbst schon zur Dose zu greifen und die Hafer—
slochen für das Süppchen, um das er regelmäßig bat, auf-
zustellen.
Bei einer solchen Gelegenheit geschah es auch, daß der
alten Magd in der Eile der Ausruf entfuhr: „Schnell,
Haferflocken bei, der Onkel „Süppchen“ kommt*“. Ohne
siich nun weiter etwas dabei zu denken, nannte man den
Huten von diesem Tage an den Onbel Süppchen, verschwieg
ihm selbst aber den Namen in unausgesprochener Äberein-
timmung, und so bat Christian arglos wieder und. wieder
um sein „Süppchen“. Auch an jenem Abend, von dem
die Kede ist, hatte er es verzehrt und sich darauf wohlig
in die Ecke des großen, braunen Familiensofas geschmiegt.
Nachdem er dann mit Luise und Friedrich über dies und
enes geplaudert (die betrübliche Magengeschichte nicht zu
hergessen), rief die Kuckucksuhr elf, und Vater Friedrich
chlug vor: „Wir wollen zu Bett, auch mit Rücksicht auf
ich, DVetter, denn du bist gewiß müde von der Reise“.
Aber da war er an den Anrechten gekommen, müde, im
Gegenteil, jselten frisch fühlte sich
Onkel „Süppchen“‘ und begehrte
noch nicht ins Bett. „Aber ihr
dürft euch natürlich nicht stören
—
Luise, hast wieder früh im Hause
zu tun, und deshalb legt euch.
Füllt mir nur noch ein bißchen Gl
auf die Lampe, gebt mir mal den
letzten Sonntagsboten und laßt mich
jo meinen Schlaf suchen, und wenn
ich ihn gefunden hab, geh' ich in
mein Simmer, ich weiß ja Bescheid.“
VDetter Friedrich und seine Gattin
erfüllten ihm die Bitte, und nach
einer halben Stunde lag alles im
Hause in tiefem Schlafl —
Nicht so Onbel „Süppchen“! Der verfolgte atemlos den
schluß einer Geschichte, in der zwei Liebende sich nach des
Srautvaters Willen nicht haben sollten. Endlich aber, nach
angem Warten, treuem Ausharren und Festhalten anein-
inder bamen sie zusammen, und bei diesem Punbte erlosch
egreiflicherweise Onkels Interesse an der Erzählung. Er
am ins Träumen, gähnte laut und lange, das Blatt ent—
jlitt sachte jseinen Händen, und die Brille (Onbel Süppchen
vpar kurzsichtig) eutjschte und nahm ganz vorn auf der Nasen-
pitze eine immer gewagtere Stellung ein. Langsam sank
er Kopf vornüber, wurde aber von ihm, der es unangenehm
mpfand, mit einem letzten energischen Aufraffen nach hinten
jeschleudert, wo er auf der weich gepolsterten Lehne des
Manchestersofas landete, und — hierauf schlief Christian
dinbelbein den Schlaf des Gerechten. In dieser eigen-
irtigen Stellung traf ihn andern Tages Tante Luise an,
zie mit Besen und Staubtuch erschien, um das Simmer zu
zutzen. Von ihrem Entsetzensschrei erwacht, blinzelte der
Onbel schlaftrunken nach der qualmenden GElfunzel und meinte
alb sorgen-, halb humorvoll: „Siehst du, Luischen, den
5chlaf hatte ich ja wohl gefunden, den Anschluß ins Bett
ber hatte ich mal gründlich verpaßt“. Und Mutter Luise
rwiderte, indem sie das Licht löschte: „Na, es soll das
5chlimmste nicht sein, Christian, wenn du nur den Anschluß
m Leben mal nicht verpaßt. Du hast jetzt das nötige
Alter, und merk' dir das eine: Wer lang' wählt, geht
ang' irr“.
„Nun ja, und dann“, so pflegte Onkel Süppchen seine
Frzählung immer zu beschließen, „heiratete ich ja noch im
elben Jahre meine gute Kosalie“, und dabei warf er ihr
tets einen liebevollen Blick zu, um dann hastig den Kest
eines inzwischen kalt gewordenen Pfefferminztees auszu-
rinken. —
In ähnlicher Weise verliefen die Nachmittage, an denen
hinkelbeins bei uns Besuch machten, und nach einem Abend⸗
rot, bei dem Onbel „Süppchen“ seine Haferflockensuppe
nit sichtlichem Wohlbehagen verzehrte, bei dem der Jüngste,
»as Ebenbild des Daters, auf dem Schoß des Kinder-
nädchens schlief und beĩ dem sich die Swillinge darum stritken,
ver die meisten Kirschen gegessen habe, was sich schließlich
urch Sählen der Steine ergab, brach Familie Hinbelbein
uuf. Dunbel lag der Weg zur Bahn, und fürsorglich ergriff
Hdofphotograph Eberth, Cassel.