Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

werte Angelegenheit wurde dann vom Ehoepaar Hinkelbein 
bhis in alle Einzelheiten erörtert, und dabei ging Vater 
Christian zum Tee über. Bei dessen weiterem Genuß wurde 
uns das Vergnügen zuteil, allerlei schöne Geschichten und 
Witze zu hören, die nur leider den einen Fehler aufwiesen, 
Schwarzenbörner Schäfer am Knüllteich. 
daß ihnen die „Spitze“, sagen wir auf gut deutsch, die 
„Pointe“ fehlte. Deshalb schauten wir wohl auch oft recht 
zumm drein, einer aus des andern Augen immer die stumme 
Frage lesend: Lachen wir überhaupt, und wann fangen wir 
damit an? Weil aber jeder zögerte und wartete, mußte 
schließlich „Süppchen“ selbst den Ton angeben, und das 
geschah stets ziemlich laut und dröhnend, worauf alle, groß 
uind blein, mit liebenswürdiger Berxreitwilligkeit pünbtlichst 
einfielen. Später, nachdem wir die bleinen, artigen Geschichten 
ängst in- und auswendig wußten, pflegte man immer ver— 
ständnisvoll zu nicken und dem Erzähler an den Stellen 
einzuhelfen, an denen sein Gedächtnis versagte. — Gern 
denkbe ich auch noch an die Erzählung aus Hinbelbeins 
Junggesellenzeit, die Mutter Kosalie immer wieder zu dem 
begeisterten Ausruf hinriß: „Wie witzig, Christian, wie 
witzigl“ Sie entstammte den Jahren, da Onbel „Süppchen“ 
noch jeglicher Familienbande ledig, alle 4 Wochen seine 
Derwandten zu besuchen pflegte. Meist Lam er des Abends 
spät in Mauswinkel an und nahm dann nicht am gemein— 
samen Abendbrot teil, sondern sagte in aller Bescheidenheit 
zur Hausfrau: „Weißt du, Luise, am Ende vertrag' ich 
Bratbartoffeln auf die Nacht schlecht, am liebsten wär' mir, 
offen gesagt, ein Süppchen. Es wird dire ja nicht zu viel 
Umstände machen“. Dieser letzte Satz war jedoch schon so 
gejprochen, als sei ein Bejahen dieser Frage von Mutter 
Luijens Seite völlig ausgeschlossen. And diese hatte das 
Sũppchen sogar schon fertig, denn wenn Onbel Christian 
nur um die Ecke bog, pflegten Magd, Haustochter und 
Hausfrau selbst schon zur Dose zu greifen und die Hafer— 
slochen für das Süppchen, um das er regelmäßig bat, auf- 
zustellen. 
Bei einer solchen Gelegenheit geschah es auch, daß der 
alten Magd in der Eile der Ausruf entfuhr: „Schnell, 
Haferflocken bei, der Onkel „Süppchen“ kommt*“. Ohne 
siich nun weiter etwas dabei zu denken, nannte man den 
Huten von diesem Tage an den Onbel Süppchen, verschwieg 
ihm selbst aber den Namen in unausgesprochener Äberein- 
timmung, und so bat Christian arglos wieder und. wieder 
um sein „Süppchen“. Auch an jenem Abend, von dem 
die Kede ist, hatte er es verzehrt und sich darauf wohlig 
in die Ecke des großen, braunen Familiensofas geschmiegt. 
Nachdem er dann mit Luise und Friedrich über dies und 
enes geplaudert (die betrübliche Magengeschichte nicht zu 
hergessen), rief die Kuckucksuhr elf, und Vater Friedrich 
chlug vor: „Wir wollen zu Bett, auch mit Rücksicht auf 
ich, DVetter, denn du bist gewiß müde von der Reise“. 
Aber da war er an den Anrechten gekommen, müde, im 
Gegenteil, jselten frisch fühlte sich 
Onkel „Süppchen“‘ und begehrte 
noch nicht ins Bett. „Aber ihr 
dürft euch natürlich nicht stören 
— 
Luise, hast wieder früh im Hause 
zu tun, und deshalb legt euch. 
Füllt mir nur noch ein bißchen Gl 
auf die Lampe, gebt mir mal den 
letzten Sonntagsboten und laßt mich 
jo meinen Schlaf suchen, und wenn 
ich ihn gefunden hab, geh' ich in 
mein Simmer, ich weiß ja Bescheid.“ 
VDetter Friedrich und seine Gattin 
erfüllten ihm die Bitte, und nach 
einer halben Stunde lag alles im 
Hause in tiefem Schlafl — 
Nicht so Onbel „Süppchen“! Der verfolgte atemlos den 
schluß einer Geschichte, in der zwei Liebende sich nach des 
Srautvaters Willen nicht haben sollten. Endlich aber, nach 
angem Warten, treuem Ausharren und Festhalten anein- 
inder bamen sie zusammen, und bei diesem Punbte erlosch 
egreiflicherweise Onkels Interesse an der Erzählung. Er 
am ins Träumen, gähnte laut und lange, das Blatt ent— 
jlitt sachte jseinen Händen, und die Brille (Onbel Süppchen 
vpar kurzsichtig) eutjschte und nahm ganz vorn auf der Nasen- 
pitze eine immer gewagtere Stellung ein. Langsam sank 
er Kopf vornüber, wurde aber von ihm, der es unangenehm 
mpfand, mit einem letzten energischen Aufraffen nach hinten 
jeschleudert, wo er auf der weich gepolsterten Lehne des 
Manchestersofas landete, und — hierauf schlief Christian 
dinbelbein den Schlaf des Gerechten. In dieser eigen- 
irtigen Stellung traf ihn andern Tages Tante Luise an, 
zie mit Besen und Staubtuch erschien, um das Simmer zu 
zutzen. Von ihrem Entsetzensschrei erwacht, blinzelte der 
Onbel schlaftrunken nach der qualmenden GElfunzel und meinte 
alb sorgen-, halb humorvoll: „Siehst du, Luischen, den 
5chlaf hatte ich ja wohl gefunden, den Anschluß ins Bett 
ber hatte ich mal gründlich verpaßt“. Und Mutter Luise 
rwiderte, indem sie das Licht löschte: „Na, es soll das 
5chlimmste nicht sein, Christian, wenn du nur den Anschluß 
m Leben mal nicht verpaßt. Du hast jetzt das nötige 
Alter, und merk' dir das eine: Wer lang' wählt, geht 
ang' irr“. 
„Nun ja, und dann“, so pflegte Onkel Süppchen seine 
Frzählung immer zu beschließen, „heiratete ich ja noch im 
elben Jahre meine gute Kosalie“, und dabei warf er ihr 
tets einen liebevollen Blick zu, um dann hastig den Kest 
eines inzwischen kalt gewordenen Pfefferminztees auszu- 
rinken. — 
In ähnlicher Weise verliefen die Nachmittage, an denen 
hinkelbeins bei uns Besuch machten, und nach einem Abend⸗ 
rot, bei dem Onbel „Süppchen“ seine Haferflockensuppe 
nit sichtlichem Wohlbehagen verzehrte, bei dem der Jüngste, 
»as Ebenbild des Daters, auf dem Schoß des Kinder- 
nädchens schlief und beĩ dem sich die Swillinge darum stritken, 
ver die meisten Kirschen gegessen habe, was sich schließlich 
urch Sählen der Steine ergab, brach Familie Hinbelbein 
uuf. Dunbel lag der Weg zur Bahn, und fürsorglich ergriff 
Hdofphotograph Eberth, Cassel.
	        
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