anstecken.“ „Jawohl“, entgegnete mein Gewährsmann. „Franbort
liegt ja ganz am Ende.“
„Bei einer großen Anzahl Flurnamen sprechen auch Farbe
und Form oder eine sonstige Eigenschaft mit. Denkben Sie
doch nur an schwarze und weiße Erde, Schönflecken, Scheibeflecken,
die kurzen und langen Morgen, in den Krummäckern, die Stücke
und ähnliche. Benennungen nach Tieren und Pflanzen fehlen
auch nicht. So: Sauwiesen, Vogelgesang, an der Kabenau, Gauls—
grund, Kußweg (Koßweg!), Gänsewiesen. Bienhaus. Simmewiesen,
Eselswiesen, Ochsenmorgen.“
„Ja, Herr Nachbar“, meinte er. „Morgen“ gibts da eine
ganze Menge in unserer Gemarkung. Da haben wir noch die
Pfortemorgen für die ehemaligen Pförtner an den Stadttoren, die
Turmwächtersmorgen für den Turmbläser.“ „Da sehen Sie es ja,
dagnne diese Namen aus der Stadtgeschichte erzählen“. antwortote
ich ihm.
„Soll ich Sie auch an den Stadtgraben und die Wallgärten
zrinnern? Sie alle, alle reden ja eine verständliche Sprache.
Allerdings über die Pfingstweide bin ich mir noch nicht
eecht lar“, so fuhr ich fort. „Da habe ich mich schon manchmal
mit unserm Bürgermeister gestritten. Der stellt sich immer auf den
Arnoldͤschen Standpunkbt, welcher es so erkblärt, daß das Vieh hier
früher nur bis Pfingsten geweidet werden durfte. Ich bin nun
einmal etwas romantischer veranlagt und fast glaube ich Kolbe, der
erwiesenermaßen manchmal etwas zu weit phantasiert hat. Er
behauptet, daß dieses die Stätte der ursprünglichen Volksversammlung
gewesen sei, sogar schon der März- und Maiversammlungen unter
Pippin und Karl dem Großen. Heute noch hat fast jeder Ort
seine Pfingstweide, auf der meist die größeren Feste bis heute
gefeiert werden. In Rauschenberg wird heute noch zu Pfingsten
auf der Pfingstweide getanzt. In Marburg trieb man ehemals
am Pfingstmorgen das Vieh (Kühe) durch die Lahn zur Pfingst—
weide, wie Kolbe berichtet. Das Tier, das zuerst drüben ankam,
wurde bekränzt. Von ähnlichen Spielen erzählt man im nahen
Kaldern. Auch im nahen Alllendorf i. B. feiert man jetzt noch
auf der Pfingstweide alle Feste. So wird es wohl hier auf der
alten und neuen Pfingstweide auch gewesen sein.
Daß die Flurnamen auch alte Grtlichbeiten im Volkbs—
bewußtsein dauernd festhalten, lehren uns Namen wie: am Kalb⸗
ofen, bei Ebertshäuschen, auf dem Wendelhause.
Wenn ich Sie auch noch an die Mühlstadt erinnere und auf
die vielen Namen auf Scheid, die Berg, auch Grenze bezeichnen,
wie Hohenscheid, Bohnenscheid, Poppen- d. i. Puppen- oder bleine
Scheid, dann haben wir wohl die meisten Kirchhainer Flurnamen
bejprochen.“
„Ja, ja, hören Sie auf“, ruft mir mein Nachbar zu. „Da
schwindelt mir ja der Kopf. Das bann 'so'n Graubopf in der
Geschwindigkeit nicht mehr alle fassen. Da bin ich hier alt und grau
geworden und benne die Flurnamen nicht so gut wie Sie, der Sie
doch hier nicht aufgewachsen sind.“ „Ich habe die hiesigen Flur—
bücher, die mir der Bürgermeister in liebenswürdiger Weise zur
Oerfũgung stellte, genau durchgejsehen“, war meine Antwort.
„Wollen Sie aber einmal ein schönes Buch lesen ũber die große
Bedeutung der Gemarkungsnamen, wie ich sie Ihnen eben blar
zu machen suchte, dann will ich Ihnen doch demnächst ein solches
Buch besorgen aus der Bücherei unseres Volksbildungsvereins,
das heißt: „Die Flurnamen in der Grafsschaft Schlitz“, gesammelt
von Wilh. Hotz (Derlag- Darmstadt, Großherzogl. hess. Staats-
perlag). Da werden Sie Ihr blaues Wunder sehen und lesen,
was dieser Pfarrer so Wichtiges und Schönes aus den Flurnamen
der dortigen Gemarkung herausliest.
Doch es ist schon zu spät und wir müssen nun nach Hause.
Sehen Sie doch das herrliche Landschaftsbild da vor uns. Wie
majestätijch der goldne Sonnenball hinter den Lahnbergen hinunter
jteigt. Schon blinken die Fenster der Amöneburg goldrot im
Abendschein und ein goldklarer, blinbender Stern steigt dort oben
über dem spitzen Kirchturm wie ein stiller Himmelstrost auf.“
„War es nicht geradezu ein Vergehen, an solch einem schönenp
Maientag über Flurnamen zu plaudern?“ meinte mein Nachbar.
„Durchaus nicht“, lautete meine Erwiderung. „Hatten wie nicht
doppelten Genuß, einmal unbewußt den Blick in das weite, blühende
Land gerichtet? And dann diese vielen alten, lieben Erinnerungen,
die uns aus diesen alten Bezeichnungen grüßten! Über das Wetter
plaudert man gerade genug. Das tut jeder Gedanbenarme, der
jonst nichts weiß. Solche herelichen Tage muß man still genießen,
am besten von weitschauender Höhe in sinniger Anterhaltung.
„Das meine ich auch“, erwiderte mein Nachbar.
Mit stillem, festem Händedruck verabschiedeten wir uns am
blũühenden Ackerrain, derweil die Welt in Blüten stand und die
Abendglocken leise und mahnend ringsum im lieben. weiten Heimat-
tal ihre reinen Stimmen erhoben.
Ginsel.
VDon Joh. S. Schwalm.
Sarte Grasspitzen gucken zaghaft aus der Erde hervor. Veilchen
ind Schlüsselblumen haben ihre Augen geöffnet. Der alten Wusse-
jans ist es durch eine Sitzarbeit von vier Wochen gelungen, zehn
nuntre Dinger, Ginsel genannt. aus den zehn von ihr gelegten
Fiern auszubrüten.
Nun hockt sie in der Stube im Gänsestütz und zischt jeden an, der
uur nach dieser ihrer Kinderstube hin jchaut. Daneben hört man
die andauernden Wehlaute der Kleinen: „Friert, friert, friertl — —“
Das ist so 8 Tage gegangen, und in der warmen Stube macht
ich ein dicker Duft von Gänsemist übel bemerbbar, riecht doch der
Hänsebraten zweimal, einmal auf diese Weise und zum andern-
nal in der Bratpfanne.
An einem sonnigen Nachmittag sagt die Mutter zu Hannerch:
‚„Jüng, du muß d'er Nowend mit den Ginseln naus“.
Sesagter Hannerch hört diesen Befehl gern. Ginsel weiden
irgt der Freuden mancherlei.
Rüchkt er also mit seinen Pflegebefohlenen unter dem Lockrufe:
„Wulle, Wulle“ ab, in der Hand eine allmächtig große Gerte, an
er vorn ein zwei Hände großer bunter Lappen als Schreckmittel
ũr den Gääns hängt.
VDoran trippeln die zehn ginselgelben Dinger, hinter ihnen her
ie Gänsemutter, die „Brutgans“, und der Gänsevater. Mit ihm
st nicht gut friedlich auskommen, der einmal jeden in erschröcklicher
Veise anzischt. Er reißt den Schnabel auf, fliegt hoch und schlägt
nit den Flügeln, daß es nur so ne Art hat.
Daher führt Hannerch die überlebensgroße Gerte. Erst nach—
dem er diesen Gääns mehrmals damit „genäht“, hat diejer allmählich
egriffen, daß er, der Hannerch, sein Herr ist.
Langsam zieht so der Sug nach dem „Borngarten“ weiter.
Dort sind schon drei andere Gänsefamilien unter Aufsicht zu dem-
elben löblichen Tun beisammen.
Die alten Gänse halten anfangs etwas erregte Swiesprache,
»ald aber, nachdem sie sich als „gute Freunde, getreue Nachbarn u.
ergl.“ erkannt haben, wird die Unterredung: „Wusse, wusse. wusse!
jaack, gack, gaack!“ schon sanfter.
Gleich einig ist das leine Volk, die laufen „untereinander“,
ind die Hüter und Hüterinnen haben „ihre heilige Last“, „ihre“
vieder herauszufinden. Das dauert so ein paar Stunden, bis alt
ind jung gesättigt ist. Dann setzt sich die Gänsemutter breit dahin,
ind unter ihre Flügel schlüpft das junge Volk. Vater Gääns steht
aneben auf einem Bein, er hat den Kopf unter den Flügel gesteckt
ind stößt von Seit zu Seit ein heiseres Sischen aus, wobei er
ann gewöhnlich den Schnabel blank macht.
Die Kinder fühlen nun ihre Seit gekommen, in der sie sich
janz dem Spiele hingeben bönnen.
Hannerch hat sich ein paar Syringenschößlinge im Borngarten
baeschnitten und blopft eine Pfeife:
„Saft, Saft, Seire (Seide),
De Hüngd (Hund) macht Kreire (Kreide),
De Hangd macht Witzewatze,
Sächze (160) Häller eß in Batze.
Modder gab (gib) méèr eè Neelche (Nädelchen).“
„Bas wodde merr em Neelche?“
Säckche flecke.“
.Bas wedde merr em Säckche?“
Steènerche (Steinchen) läse.“
Bas woedde met de Steéenerche?“
Velche (OVogelchen) wärfe.“
„Bas wedde mèt dem Velche?“
„Brore. —
Banns (Wenn's) néèt gerott (gerät), sonns (sollen's)
die wéelle Wetz (wilden Eber) und
die wèlle Rawe fräjsse.“
Kleinhãnnes dätschelt aus Ton ein Bienenhäuschen. Daran
jt vorn ein Türchen aus Glas. In das so hergestellte „Ding“ jperrt
r eine Biene oder eine Hummel und freut sich böniglich ihres
ßebrummes und Gesjummes. Sum Überlaufen schwillt der Spaß
in, wenn er das Türchen öffnet, und die Gefangene summsend
avonsjaust. Er stellt sein Bienenhäuschen dahin und wartet
eduldig aufs Wiederkommen — vergeblich!
Der Well hat inzwischen in der Hecke Rötel hervorgellaubt
ind schneidet „Kreide“ daraus, mit der er Türen und Wände bemalt
ind alles, was eben still hält.
Helwig legt einen Teich in der Drusel an. Mit Ton baut er einen
Damm, das Wasser zu stauen. Und die Gänsefamilien haben's bald
egriffen, daß sie den Vorteil von diesem Tun haben sollen. Sie
ilen herbei und saufen und plätschen nach Herzenslust darin herum.