Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

A lJ i 
us alter Seit. 
SZur Heimatkunde der Stadt 
Homberg a. d. Ejze. 
VDon Dr. Wilhelm Schmitt-Blanbenese. 
GSchluß.) 
Eine Schilderung der Dechantin von Stein verdanben wir 
Frnst Moritz Arndt. Sie findet sich in seinen „Wanderungen und 
Vandelungen mit dem Freiherrn vom Stein“ Reclam 34712- 83414 
8. 162). Aendt weilte im Spätherbst 1814 beim Freiherrn zu Besuch 
in Nassau. „Hier war nun auch Steins Schwester Marianne ...- 
im kleinen Duodezformat an Leib und Geist ein echtestes Ebenbild 
des Bruders. Aber sie war ein Weib, alles in ihr besonnener 
und milder, in der Rede dieselbe Kürze und Geschwindigkeit, derselbe 
unbewußte schlagende Witz, ihr Wuchs klein, und auch darin Ver- 
ürzung und VDerbleinerung, der Kopf schon mit dem Schnee des 
Aliers bedeckt, aber daraus leuchteten ein Paar prächtige, wie 
Sterne funkelnde Augen. Sie war eine gelehrte Dechantin, die 
nit ihren Fräulein wohl hätte Schule halten und ein Examinatorium 
disputatorium ũber die alte deutsche Keichsverfassung hätte anstellen 
önnen. Sie bannte die alten, deutschen Ordnungen und Ver— 
assungen nicht bloß auf dem Nagel, sondern trug sie im lebendigsten 
Herzen. KRührend stand sie neben dem Bruder, dessen gewaltige 
Lebendigkeit vor ihr oft in stilleren Ufern dahinfloß. Sie war um 
beinahe zehn Jahre älter als er, hatte in ihrer Jugend, als er 
och als Knabẽ dahinsprang, mit der Mutter Haus und Hof ver⸗ 
walten und, wie er erzählte, auch ihn erziehen und seinen feurigen 
Mut bändigen geholfen. Er hing auch mit einer Art Derehrung 
in ihr, und ich hörte ihn, wie er wohl mal über seine Feurigkeit 
uind jeinen zu reizbaren Jachzorn blagte, wenn er in einer Anblage 
einer selbst Elagte, jagen: „Ohne meine fromme Mutter und meine 
ebenso fromme und gute Schwester Marianne hätte ein Erzböse- 
wicht aus mir werden kbönnen“. 
Gar nicht weit von der Dechantin und späteren Abtissin vom 
Stein ist ein anderer Teilnehmer des Dörnbergschen Aufstandes 
begraben: Siegmund Peter Martin. Der erste Querweg rechts 
birgt linker Hand fast am Ende die Ruhestätte, die ein liegender 
Stéein bedeckt. Am 15. Obtober 11600 3u Holzhausen geboren, ver⸗ 
waltete er 1808/9 das Friedensrichteramt in Frielendorf und war 
ziner der tätigsten Männer bei der Erhebung. Nach der Nieder- 
age bei der Knallhütte floh er mit dem Homberger Advobaten 
Joͤh. Wilhelm Dithmar und von Wolff über Naumburg ins Wal- 
eckische und von da nach Münden, Berba, Langensalza, Tennstedt 
ach Halle. Aber Dessau, Wittenberg, Treuenbrieten, Sehlendorff 
ind Potsdam gelangten die drei Flüchtlinge nach Berlin und von 
hier schließlich nach Prag zum hoessischen Kurfürsten. 
Nach den Freiheiisbriegen lebte Martin von 111 1834 ( 20. 11.) 
als Advobat in Homberg. Von 1832 bis zu seinem Tode gehörte 
x der rührigen Kommission an, die die Verlegung des hessischen 
dandschullehrerseminars nach Homberg erwirbte. 
Ein Stein hat sich weit verirrt, bis in die Klostermühlwiese 
hinter dem Mühlgarten vor einem Feldbrunnen. Er ist etwa 
20 m lang und Gdo m breit, zeigt im oberen Diertel die Wappen 
hon Arcularius und Kurtzrock und im Hauptfeld die Inschrift: 
Anna Bartholomaeo Arculario) 
Pfarrero dieser Stadt geborn 1. Junii 1605, im Ehestand 
nit Matthauo Hanstein), Kebtor alhier 55 Jahr 8 Wochen 
im Witwenstand 1 Jahr 9 Monate 10 Tage ist gestorben 
den 4. Sept. 16083 alt 717 Jahr 3 Monat 4 Tage. 
Das unterste VDiertel enthält den Leichentext Pfalm 18 Vs. 25, 26. 
Durch die Haingassentür verlassen wir den Kuheplatz der Toten. 
Ich darf den Lejer bilten, sich meiner Führung auf einem KRund- 
gaung um die Stadt anzuvertrauen und recht genau die Pfosten der 
Sartentüren zu betrachten. Wir steigen die hintere Haingasse 
empor und biegen unter dem Unteren Birbenweg links ab. Von 
diejem mit Apfelbäumen bestandenen Feldweg aus besuchen wir den 
Hausbrunnen. Er ist arg verstruppt und hat baum noch Wasser. 
Ludwig Mohr hat hier, wie er im Hessenland II S. 218 ff. schreibt, 
„als Knabe noch manchen Krug für die im Felde beschäftigten 
Arbeiter seines Großvaters“ geschöpft, nennt ihn aber 1888 schon 
1) Steieder J 120: Sobn des Caspar Arcularius. Metropolit. von 1580) 16012; 
gestorben 1652. 
) a. a. G. 127. * 1600 Nov. 1. in Siegenhain, wo sein Vater Johaun Pfarrer 
var; stud. in Marburg. Gehilfe seines Vaters, 1625 Praeceptor und Organist in 
domberg, dann Rebtor, verheiratet 1626 Dez. 1 mit Anna Arcularius; eine ihm 
ingebotene Pfarrerstelle in Homberg lehnte er ab und blieb Kebtor; J 1682 Dez. 
Zeschenpredigt hielt Metrop, Joh. Christoph Gudenus; Hanstein hatte den Hom— 
berger Armen 50 Taler gestiftet, deren Sinsen alliährlich am Matthäustag (21. Sopt.) 
ausgeteilt werden sollten 
„gänzlich versiegt“. Aus ihm hat in den schweren Sturmtagen, 
m Juli 1636, als der baiserliche General Graf Johann Götz Stadt 
ind Schloß berannte, die Schloßbesatzung nächtlicherweile ihr Trink- 
vasser geholt, bis der General hiervon erfuhr und den Brunnen 
durch Hineinwerfen fauliger, tierischer Kadaver und anderer Unrein- 
ichkeiten ungenießbar machen ließ“, wodurch er am 8. August die 
Zapitulation erzwang. Sie war ehrenvoll; mit klingendem Spiele 
ʒerließen die hessijchen Jäger unter Oberstwachtmeister Engelhard 
SBreui den mit soviel Sähigkeit verteidigten Posten. Sie hatten 
em Feinde Achtung abgezwungen, besonders durch den nach heftigem 
Tronmelfeuer abgeschlagenen Sturmangriff am 18. Juli, zu dessen 
Hedãächtnis jahrhundertelang am 18. Juli ein jäheliches Dankbfest, 
ie Kirmes, abgehalten wurde. 
VDom Hausbrunnen wenden wir uns aufwärts zur Kirschenallee, 
er wir folgen. Wir Lommen an Körbels Terrassengarten vorũber, 
essen miitleresteinterrasse einen Lleinen Kundbrunnen bühl umschließt, 
nd gelangen zum Erlebornsweg, in den wir einlenken. Der Erle⸗ 
oen ist, wie man sagt, nicht ohne Bedeutung für Hombergs Nach- 
vuchs. Auf demselben Wege gelangen wir an „Stolzenbachs 
Nolbkerei“, in deren einer Scheune sich früher ein schöner, alter 
Vasserstein befand, und zum „Keithausplatz“. Wor's noch nicht wissen 
ollte, dem erzählen die Steinbänke, daß die Allee 1860 unter dem 
Zürgermeister Wilhelm Winter gepflanzt wurde. Am Eingange 
es Stijtsgartens angelangt, biegen wir links ab, erreichen auf einem 
ngen Wege an diesem von zum Teil mit Sierleisten geschmückten 
*teinen eingefaßten Garten entlang schließlich die Holzhäujer Straße, 
as Kloster St. Georg. Beim Davidsweg lenben wir ein. Rechter 
»and liegt ein Garten, der in meiner Jugendzeit dem Küster Hauff 
ehörte. In seinem unteren Teile ist eine Anlage, die ehemals 
inen bleinen Teich gefaßt haben mag, in welchem ich den Fischteich 
—DDD 
iese Einrichtung, um in den fleischlosen Tagen die Fastenfische 
richt zu entbehren. 
Ser Davidsweg bringt uns zur Bahnhofsstraße. Beim ehe— 
naligen „Grünen Bänbchen“ beschreiten wir die Ludwig Mohrstraße, 
urchstreifen schnell, Hunsteins Gäßchen“, wandern durch die Knipps- 
asse bis zu ihrem Ende und von hier zum Stellberg, wo 1408 ein 
Varkturm errichtet wurde, „weil ... auff die bürgerschafft viel 
treiffens und besonders Hauptmann Ingebrandt mit den Buchnern 
die Stadt beraubt und hefftig beengstiget“ (Dilich S. 132). 
diejer mainzische Hauptmann hatte im Auftrage des Erzbischofs 
Johann II. mit einigen Kittern der Rhön, besonders denen von 
haung, im Kriege gegen Landgraf Hermann 1402 die Gegend 
son Homberg heimgesucht und die Stadt mit steinernen Kugeln 
eschossen. Einige dieser Kugeln sind damals aufbewahrt worden, 
ind noch nach 100 Jahren sah sie der Homberger Wigand Lauze, 
er bekannte Verfasjer des Lebens und der Taten Philipps des 
sroßmũtigen. 
Wir bleiben auf dem unteren Stellbergsweg bis zur Binde. 
dier steigen wir links hinab bis zur Höhe des Stolzenbachschen 
Hartens, wo meinem Vermuten nach das alte Westheim zu suchen 
jt, und gewinnen über einem Wege z3wischen Wiejen die Casseler 
Straße, auf der wir zur Stadt zurückgelangen. 
Ja hũübsch — doch was soll's mit den Gartentüren? Dem auf- 
nerbsamen Seschauer wird nicht entgangen sein, daß die meisten, 
oweit Form und Jahreszahlen einen Schluß zulassen, zweĩ Perioden 
ingehõören: 1750 1805 und 1826- 1866. Schließlich. auch eine dritte 
Sruppe seit 1884, meist nach dem Muster der zweiten. Die nach 
neinem Gefühl geschmackvollsten Tore sind die der ersten Periode; 
hre Formen sind nicht wieder erreicht worden. Jeder wird zugeben, 
aß hier die neue Seit von der alten unendlich viel lernen bönnte; 
nan vergleiche nur das Tor des Hardtschen Gartens mit einer der 
us Backstein aufgerichteten „modernen“ Pforten! 
Welchen Schluß auf die Geschichte der Stadt gestatten sie? 
ẽs liegt auf der Hand, daß das Geschlecht, das um 1650 sich unter 
en von Feind und Freund zurückgelassenen Trümmerhaufen wieder 
inzurichten begann, übergenug zu tun hatte, um auch nur das 
Allernotwendigste zu erledigen. Wir wissen, daß viele Häuser nur 
m Kohbau fertiggestellt werden Lonnten und Jahrzehnte vergingen, 
he der Ausbau vollendet war. Das Geschlecht um 1700 ver⸗ 
nochte die Nachwehen des 80 jährigen Krieges schon besser zu ũber- 
binden; aber doch erst im 3. Seitalser des galanten und räsonnablen 
sahrhunderts 168021750 ann man wieder von einem gejundeten 
Zürgerstande reden. Gegen das Jahr 1750 wuchs das Selbst- 
efühl des Bürgertums. Ich denke, für das der Homberger legen 
er Orgelneubau 1732, die Turmvollendung 1141 und der Rathaus- 
eubau 1761 genũgsam Seugnis ab. Aber das neue Geschlecht 
vollte auch aus der Enge der Stadt heraus. Es war der Natur
	        
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