lichkeiten und Beschwerden uns helfend und ratend zur Seite
stand. Aber sie nahm es auch dankbar an, wenn meine
Hand sie mit Hilfe eines Fadens von ihren wackelnden.
schmerzenden Zähnen befreite.
Hatte sie in der Woche einmal weniger Seit gefunden,
sich bei uns einzustellen, so durfte sie doch am Sonntage nicht
fehlen. Und wenn die gewohnte Seit gekommen war, dann
währte es unsern Kindern oft zu lang, und sie eilten hin—
über, um die gute Dalla zu holen, die sie wie eine Groß-
mutter innig umfingen und um sie herumhüpfend unsere
steinerne Freitreppe heraufführten. Und dann begann das
stürmische Begrüßen. War es Winter, so schritt sie erst zu
unserm braunen Kachelofen, um ihre Hände zu wärmen,
bevor sie in ihrer lieben freundlichen Weise uns einen guten
Abend wünschte. Manchmal bonnte sie die Seit selber nicht
recht abwarten, namentlich an Sonntagen im Sommer. Sie
hatte ihr Haus verlassen und schritt langsam auf unsere
Wohnung zu. Aber immer wieder hemmte sie den Schritt,
da sie fürchtete, uns noch bei Tische zu überraschen. Geschah
dies doch hin und wieder, daß sie uns noch beim Abendbrot
traf, so forderten wir sie auf teilzunehmen. Aber sie danbte
höflichst, indem sie dazu bemerkte: „Wir haben so lange nicht
gewartet“, und setzte sich bescheiden abseits. ÜUberhaupt in
all ihrem Benehmen beobachtete sie den edlen Tabt, der
das Kechte in jeder Lage zu treffen weiß ohne den täuschenden
Firnis oberflächlicher sogenannter „Bilduuͤg“. Diese ein—
fache Frau hätte manche hochgebildete Dame beschämen
Lönnen.
Wie manchen MAbend wanderte sie in der Woche zu
uns, vor allem, wenn der Winter mit seinen Stürmen in
unsere Berge bam und uns von der übrigen Welt abschloß!
Sie erschien mit ihrem Spinnrad, und gemütlich schnurete
das Kädchen, während ich die verschiedensten Geschichten
und Geschichtchen vorlas, denen sie bis in ihr hohes Alter
mit gespanntester Aufmerbsamkeit lauschte. War der Flachs,
die Wolle oder das Werg ausgegangen, dann brachte sie
ein anderes Arbeitszeug mit, vor allem die Latschensohlen,
die sie mit unermüdlichem Eifer steppte. Manchmal hatte
sie auch Arbeiten vor, welche ihren Augen weniger hoffähig
erschienen, beijpielsweise ziemlich löcherige, flick- und stopf—
reiche Säcke, dann juchte sie ihr Werk mehr in der Ver—
borgenheit auszujühren, wobei wir dann gern dieselbe Frage
an sie richteten, ob sie wieder eine Weihnachtsarbeit vor⸗
hätte. Besonders gern hörte sie die Erzählungen von
Christoph Schmidt, Maria Nathusius, Fries. Mehrere Male
haben wir auch Onkel Toms Hütte besucht. Dann kam
sie besonders nahe an den Tisch, um sich ja nur nichts ent—
gehen zu lassen.
Wenn nicht vorgelesen wurde, unterhielten wir uns durch
mancherlei Gespräche. Gern berichtete sie aus alten Seiten
und brachte aus dem Schatz ihrer Erinnerungen hervor,
was sie wußte. Sie erzählte von einer teuren Seit, da
sie die Kartoffeln stundenweit im Tragkorb hätte holen
müssen, Ach, die gute Frau hat nicht geahnt, daß wie jetzt
noch ganz andere Dinge erleben. Oft erwähnte sie ihre
Mutter und wiederholte, was jene vor langen Jahren
gesprochen. „Dor dem Bäumchen, das einen Schatten gibt,
muß man sich bücken.“ So sagte meine Mutter, und „die
Gutmütigkeit ist ein Stück von der Liederlichkeit.. Aus
ihrem Munde vernahmen wir besondere Kedensarten, die
uns rar waren: „So dick wie der Süllingswald“, „so gewiß
wie die Kontribution“. Mit diesem Hinweis auf die unbeug-
jame Wiederbehr der Steuererhebung wollte sie die untrüg-
liche Gewißheit einer Sache bebräftigen. Ein Lieblings
ausdruck von ihr war, wenn sie von dem Ernst des Militär
dienstes sprach: „Es heißt ja Soldat und nicht Wohlktat“.
Ihre Wetterregel, für das Heimatdorf Sieß bestimmt, war:
„Der Regen bommt von Ibe (Iba)
Und will uns heimtriebe.
Die Sonne bommt von Eisenach
Und will uns wieder trocken mach.“
Gern verweilte ihr Geist in den Gefilden der Jugend—
zeit. Eines Abends war sie durch das Hüttengäßchen
gekommen, welches zwischen Wald und Hecke hindurchführt
ind in der Dämmerung leicht etwas Schauriges an sich hatte.
Sie hatte sich etwas verspätet und beschleunigte deshalb ihre
Schritte, um nicht zu spät zum Dorfe zurückzukehren. Plötz-
ich hörte sie jemand hinter sich herkommen. Sie schlug ein
chnelleres Tempo ein, und je mehr sie sich beeilte, desto
chneller kam das Geräusch hinter ihr her. Die Angst
heflügelte ihre Schritte, aber endlich bonnte sie nicht weiter
ind blieb stehen. Und die Gestalt hielt auch inne. Nun
begann sie wieder zu laufen, und sofort hörte sie auch die
Tritte hinter sich. Endlich wurde sie gewahr, daß es ihr
eigener Kock gewesen, der gefroren war und durch das
Anschlagen an ihren Körper das verdächtige Geräusch ver—
irsacht hatte. Mit Vorliebe erzählte sie von den Tagen,
po des Lebens Mai ihr geblüht und die Liebe goldne
Zukunftsträume im Herzen geweckt hatte. Sie gedachte voll
Wonne des bunten Bandes, das einst ihr Spinnrad schmückte,
oon lieber Hand darum geschlungen, die längst im Tode
eestaret war. Ja, ihren guten Heinrich hat sie früh ver—
oren; ihr Mann wurde ihr im blühenden Alter entrissen.
Sie bonnte es dem Aerzt nicht vergessen, der trotz der
Mahnung den Schwerbranben nicht bejucht hatte und des
»alb vom Gericht bestraft worden war. Doch was hal)f
hr das? Der schwere Verlust wurde ihr nicht ersetzt. Sie
»lieb mit ihren beiden bleinen Mädchen und dem Pflege—
vchterchen allein zurück und mußte sich mühselig durchs
Leben schlagen mit der bleinen Pension von 2,25 Mark,
die sie „Gnade“ nannte, von der sie doch noch etwas zu
zrübrigen verstand.
Einmal hatte sie einen außerordentlichen Kirchenzuschuß
iür ihre Kasse. Ein Mann aus NAustralien, der aus Süß
tammte, hatte Ausbunst über verschiedene Verhältnisse seiner
Heimat von mir erbeten. Ich befragte unsere liebe Nach-
»arin darüber, und es traf sich, daß es ein alter Jugend-
reund von ihr war. In meiner Antwort berichtete ich übers
Veltmeer von ihr und übermittelte auch ihre Grüße in Er—
nnerung an entschwundene Tage der schönen Jugendzeit.
Und als Antwort und Echo schickte der Australier einen
elingenden Gruß von 60 Marb. Das war ein großes
Blück für die gute Dalla. Einen Teil dieses Schatzes ver—
wvandte sie für ihre Enkel und einen andern bestimmte sie
für ihre Beerdigung.
Schon frühzeitig nähte sie ihr Totenhemd, und sie wunderte
ich, daß nicht jeder schon bei guter Seit für diesen not—
wendigen Gegenstand sorgte.
Außer ihr gab es im Dorfe noch eine Familie, welche
hren Namen Kaabe trug. Leider war diese Namens—
»erwandtschaft die Ursache, daß ihr ein Teil der Steuer
enes Namensvetters zugeschoben wurde. DBDiel Gänge und
Wege hat es ihr nach Kotenburg gebkostet, bis sie von dieser
anfreiwilligen Steuer befreit wurde.
Eine andere Angelegenheit hat ihr manche schlaflose
Nacht bereitet. Das war der Stritzipfel (Streitzipfel), den
unsere Kinder das Kittergut der Dalla nannten. Es war
ein bleines Stück Land, ihr Eigentum, aber so ungünstig
gelegen, daß andere immer darüber hinfuhren und ihre
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