man krank. In der Dämmerung holten sie die Toten aus
den Häusern, schafften sie schnell auf den Friedhof ohne
Pfarrer und ohne Geleite, versenkten sie in die Gräber,
und der alte Wurstius sprach ein Daterunser. Niemand
fühlte sich sicher vor der scheußlichen Krankheit. Selbst den
Türmer holte sie von seiner hohen Warte. An einem Seil
schwebte sein Sarg vom Gewölbe herunter, und als die
Türmersfrau oben plötzlich den Halt verlor, da entglitt
auch den Männern der Strick, und der Sarg stürzte hin—
unter auf die Steinplatten und zerbarst, sodaß die Leiche
herausfiel. Da standen selbst dem alten Wurstius, den noch
niemand hatte weinen sehen, die Tränen in den Augen.
In all dem Elend schien nur Eine kbein Grauen zu
kennen: die alte Königin. Man haͤtte sie nicht gerufen,
denn man glaubte, ihr diese Last nicht mehr aufbürden zu
können. Aber sie bam selbst zu dem Mezt, ließ sich von
ihm alle Verhaltungsmaßregeln sagen und ging furchtlos an
ihr Werk. Wenn sie ihre Wohnung verließ, legte sie einen
Kittel an, den einst ihr Vater bei der Arbeit getragen hatte.
Damit betrat sie die Häuser der
Kranken. Sie sorgte für die
Lüftung der dumpfen Simmer,
bettete die Kranken, reichte ihnen
Getränkb gegen den Fieberdurst
und flüssige Nahrung, und oft,
wenn alles im Hause darnieder-
lag, bochte sie jelbst. Sie pflegte
die Leidenden, vor denen den
eignen gesunden Angehörigen
graute, mit so viel Liebe und Auf⸗
opferung, daß ihr die Verlassenen
mit Tränen in den Augen dankten.
And ließ die Krankheit in dem
einen Hause nach, so erschienen an
anderen neue Täfelchen, und angst-
verzerrte Gesichter flehten die
Königin um Hilfe an, wenn sie, die Fenster mit Blicken
musternd, vorüberkam. Sie gönnte sich gar beine Kuhe,
und immer neue Pflichten übernahm sie bereitwillig und
fragte nicht, ob es ihre Kraft auch erlaube. Dabei war
sie selbst von allen Gesunden abgetrennt. In ihr eignes
Haus ließ sie niemand ein. Vor ihrer Tür mußten Bäcker
und Metzger und Händler die Waren niederstellen, als ob sie
jelber Leank wäre. Sie schloß sich jelber von den Lebenden aus.
Endlich, nach schweren, sorgenvollen Monaten schien die
Seuche zu weichen. Geringer wurde die Sahl der Häuser,
die die Königin aufsuchte, seltener sah man die Täfelchen,
und Totgeglaubte betraten wieder die Straße, anfangs von
den Angstlichen noch scheu gemieden. Alle aber waren des
Lobes voll über die Königin, die ihnen in ihrer Not furcht-
los beigestanden hatte.
And der Tag kam, wo der letzte Kranke von dem Arzt
für gesund erblärt wurde, und die Königin behrte von ihrem
letzten Besuche heim. Mühsam erreichte sie ihr Häuschen.
Mühsam entledigte sie sich des Kittels, in dem man sie
immer in der schweren Seit gesehen. Ihre Füße trugen sie
nicht mehr ... Als sie am nächsten Morgen erwachte,
fühlte sie sich durch den Schlaf nicht gestärkt, wie sie ge—
dacht hatte, sondern war unfähig, das Bett zu verlassen.
Dem Atrzt ließ sie sagen, sie sei Leank geworden, aber die
Blattern habe sie nicht. Als er an ihr Bett trat, fand er
ihre Beobachtung bestätigt. Er empfahl ihr Kuhe und gute
Pflege nach all der Anstrengung und sprach ihr Trost zu,
aber zu Leuten. die nach ihrem Ergehen fragten. äußerte
er, es werde wohl ihr Ende sein, sie habe sich zuviel zu—
gemutet. Eine Frau aus der Nachbarschaft, die der Königin
zie Erhaltung ihres Lebens danbte, pflegte sie. Aber die
Kräfte der alten Frau nahmen schnell ab. Ganz ruhig lag
je da, nur die Augen wanderten zuweilen über ihre Sachen
ingsum in dem Stübchen und blieben meist an den
Sildern ihrer Eltern haften. Einigemale strich sie mit der
nageren Hand über die Bettdecke, als ob sie etwas glätten
volle, und dann lächelte sie zufrieden wie jemand, der eine
chwere Arbeit gut vollendet hat ... Sie schien nicht mehr
uf das zu hören, was man ihr sagte. Die Nachricht, daß
»eute die Soldaten aus dem Felde zurückbämen, machte
zeinen Eindruck auf sie. Ihre Gedanben waren weit, weit
iorf. Stundenlang lag sie, ohne sich zu regen ...
Als der Abend kam, wurde sie unruhig. Unzusammen-
Ȋngende Worte sprach sie, deren Sinn die Nachbarin nicht
erstand. „Prinz!“ murmelte sie einmal ... und dann nach
einiger Seit deutlich: „Die vielen, vielen Vergißmeinnicht!“
Da plötzlich schien sie aufzuhorchen. Der Frühlingswind
trug durch das geöffnete Fenster
abgerissene Klänge herein. Die
Nachbarin erbannte das Lied.
Es war: Ach, wie ist's möglich
dann ... „Das sind die heim—
kehrenden Krieger!“ wollte sie
sagen, da sah sie, wie sich die
Kranke im Bett hoch aufrichtete.
„Mein Prinz!“ flüsterte sie und
starrte gespannt in die Dämmerung.
Da ging ein Leuchten über ihr
Gesicht. Sie streckte die Hand
aus wie zur Bewillkommnung
und rief: „Endlich, endlich bist du
gekommen!“ Dann kat sie einen
tiefen Seufzer und sank tot in die
Kissen.
2*
Als ich vor einigen Jahren den Friedhof meiner Heimat-
tadt besuchte, ging ich zwischen alten Gräbern über einen
lachen, mit Gras bewachsenen Hügel hin. Erst im Drüber—
hinschreiten merkte ich, daß es ein Grab war. Keine Ge—
enktafel nannte den Namen des Toten, weder Gitter noch
Stein schloß das Kasenstück ein, aber ein alter Kosen—
tamm stand darauf, der trug eine Fülle roter Kosen. Ich
»lieb vor den Blumen stehen und dachte bei mir selbst, für
velche Liebe wohl einstmals das Überlebende dem Toten
danben wollte, als es den Rosenstrauch pflanzte. Ich fragte
»en Totengräber, wer da begraben liege, aber er wußte
den Namen nicht. „Eine alte Frau ist es gewesen“, sagte
er, „und man hat sie die Königin genannt ... Die alten
Leute haben sie sehr gelobt.“
— 4 ——
Dic Wächter Von Th. Endemann.
In Wolben, feuertrunkben,
Ist längst der Tag versunben;
Es bommt die dunkle Nacht.
Durch schwarzer Wipfel Leben
Des Windes Schauer weben;
Ein Stern schon in der Ferne wacht
— Sieh', einer kommt zum andern!
Auf ew'gen Bahnen wandern
Sie hoch am dunkblen Selt.
Es zieh'n in lichter Wehre
Herauf des Himmels Heere,
Und sicher ruht die mũüde Welt.
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