vünschte ja nichts mehr als das. And hojffentlich bebam sie
einmal einen recht braven Mann, bei dem sie es gut hatte.
Ja, das wünschte er ihr.
Einige Stunden, nachdem Hans zum letzten Wal von
dem Postwagen aus über das Städtchen hingeblickt hatte,
egegnete Gertraude Frau Bindewald. Die alte Frau hätte
gar zu gern etwas Genaueres über den Grund zu der
lötzlichen Abreise erfahren, aber sie bonnte nichts aus
Hertraude herauslocken. Dagegen wußte sie selber eine
Neuigbeit: „Herr Prinz hat seine sämtlichen Sachen goepackt!“
Hertraude stutzte; als sie aber die lauernde Miene der alten
Frau sah, dachte sie: „Er wird wohl wegen ihrer' Neugier
Ales verschlossen haben.“
Ein paar Tage vergingen, ohne daß Gertraude etwas
»on Hans hörte. Sie wäre froh gewesen, wenn er ihr gleich
nach seiner Anbunft geschrieben hätte, aber sie tröstete sich
damit, daß er nicht lange bleiben werde und sie durch seine
schnelle Kückbehr überraschen wolle. Daher wartete sie,
nachdem die erste Woche vorüber war, nicht mehr auf einen
Brief, sondern auf seine Heimbehr ...
Eine Woche später stand Gertraude in ihrem niedrigen
Stübchen. Sie war in Gedanben verloren und bemerbkte
nicht, daß Frau Bindewald an dem Häuschen vorüberkam
und dabei alle Fenster absuchte. Als sie die Frau sah, wollte
sie sich schnell zurückziehen, aber es war zu spät. Frau
Sindewald winkte ihr zu und näherte sich mit wichtiger
Miene dem Fenster, dann besann sie sich anders, trat in die
Haustür und kam nach burzem Klopfen herein. Gertraude
empfand eine geheime Angst vor dem, was nun bommen
vürde. Sie hätte am liebsten fliehen mögen, um es nicht
hören zu müssen. Aber sie bonnte ihm nicht mehr ent-
einnen.
Mit wenigen Worten war alles gesagt. Nun wußte sie,
vpas geschehen war: Hans Prinz hatte die Miete geschickt
und Frau Bindewald gebeten, ihm sein Gepäck nachzusenden.
Er kam also nicht wiederl Frau Bindewald hätte gern ihre
Neugierde befriedigt, aber Gertraude ließ sie völlig im Sweifel
darüber, wieviel sie wußte, nur ihre tiefe Blässe verriet, daß
ije sich nur mühsam beherrschte. Kopfschüttelnd verließ Frau
BSindewald das Haus.
Gertraude war wie erstarrt stehen geblieben, als sich die
Tür geschlossen hatte. Aber ehe sie sich noch Kechenschaft
geben konnte über das, was geschehen war, klopfte es schon
vpieder, und herein huschte die Freundin Kebebba Keichwein.
Sie bestätigte die Reuigkeit, die Frau Bindewald gebracht
hatte. Herr Stammler hatte heute morgen zu ihrem Ver—
ehrer und den anderen Herren im Geschäft gesagt: „Wir
müssen uns eine Seitlang behelfen, bis ich einen jungen
Mann gefunden habe. Herr Prinz Lommt nicht wieder.“
Kebebba sah, welch schrecklichen Eindruck ihre Botschaft
machte, obwohl Gertraude sich bemühte, ihre Erregung zu
erbergen. Sie tröstete die Freundin: Vielleicht jei noch
nücht aĩles verloren, vielleicht jchreibe Hans doch noch; aber
wenn er es wirblich nicht tun sollte, so müsse sie denken, er
habe ihre Liebe nicht verdient und müsse ihn zu vergessen
uchen. Sie selbst habe auch ihre Erfahrungen gemacht, und
sie habe doch den Kopf nicht hängen lassen ...
Nachdem Kebebba gegangen war, stand Gertraude einen
Augenblick ganz stille da. Wie träumend sah sie sich in der
Stube um, dann fuhr sie sich mit der Hand nach der Stirn
vie in langsamer Selbstbesinnung. Da löste sich die Spannung,
die auf ihr gelegen hatte, ein tiefer Seufzer hob ihre Brust,
dann warf sie sich auf das Sofa und weinte verzweifelt.
Als ihr Dater nach einer Stunde aus der Werbkstätte
n die Stube bam, erschrak er bis ins Innerste: alle Kraft,
ille Selbstbehereschung war von ihr gewichen. Ganz ihrem
Schmerz hingegeben, lag sie da. Erst nach vielen Bitten
ind Ermahnungen ihres Vaters richtete sie sich auf. Da
lickte er in ein von Gram verstörtes Gesicht.
Schwere Tage folgten für Meister Volkmar, Tage, wie
r sie nicht mehr gesehen hatte seit der Krankheit, die dem
Tod seiner Frau vorausgegangen war. Gertraude wandelte
mher wie im Traum. Ihr VDater wollte, daß sie einige
Tage das Bett hüten solle, bis sie sich beruhigt hätte, aber
ie jolgte ihm nicht. Sie bochte und tat alle übrige Arbeit
m Haus wie bisher. Das war das einzige Seichen, daß
hr nicht alles Bewußtsein verloren gegangen war. Sonst
chien sie ihee Umgebung und die Gegenwart ihres VDaters
vͤllig vergessen zu haben. So starr und leer war ihr Blick,
ind so unbewußt waren all ihre Bewegungen. Die Köte
—
lötzlich gealtert aus. Voll Angst dachte Meister Volkmar
daran, wie seine Frau bei dem Tod ihres ersten Kindes in
inem Zustand war, der für ihren Verstand fürchten ließ,
ind er beobachtete mit stillem Gram das unheimlich ernste,
laglose Wesen seiner Tochter. Er ging nicht in die Werk⸗
ätte, um sie nicht allein lassen zu müssen; er fürchtete, sie
onne sich in ihrem Schmerz ein Leid antun. In der ersten
sacht lauschte er auf ihre Atemzüge, und wenn er einmal
laubte: Jetzt schläft siel wurde er immer wieder durch einen
Zeufzer oder eine Bewegung enttäuscht. Schlaflos verbrachte
ie die ganze Nacht.
Als ihr Dater sie am Morgen betrachtete, sah er zu
einem Entsetzen, daß ihr Haar von grauen Fäden durch—
ogen war, aber er unterdrückte seinen Jammer, um sie nicht
u erschrecken. Er beobachtete sie, während sie sich kämmte.
Sie schien die Deränderung, die mit ihr vorgegangen war,
nicht zu bemerken. In derselben Gefühlsstarre wie der erste
Tag verlief auch der zweite. And wieder folgte eine Nacht
ast ohne Schlaf.
Als Gertraude am dritten Tag morgens mit ihrem VDater
zie Stube betrat, stieß sie einen leichten Schrei aus: der
Zanarienvogel lag tot im Käfig. Sie hatte ihn zu füttern
ergessen. Da war ihr, als erwache sie aus einem Traum.
Alles um sich hatte sie vergessen, nur ihr Schmerz hatte sie
eschäftigt. Sie klagte sich an, den Tod des Vögelchens
erschuldet zu haben. Sie fragte sich, ob sie nicht auch den
dater vernachlässigt habe und sah zum ersten Male, wie Lummer-
‚oll und gealtert sein Gesicht war. Da schlang sie die Arme
m seinen Hals und weinte an seiner Schulter, bis ihr ganz
eicht ums Herz wurde. And als sie sich satt geweint hatte
ind zum ersten Mal wieder durch das Fenster den blauen
himmel, die weißen Wolken und den Sonnenschein sah, da
mospte wieder ganz leise in ihrem Herzen die Hoffnung,
aß doch nicht alles vorüber sei, daß er doch noch wieder-
ommen könne ... vielleicht bald ... vielleicht jppäter ... wenn
sie nur den Glauben nicht verliere ... ESchluß jolgt.)
Mutter
Aus den „Mutterliedern“ von Olga Stückrath-Stawitz.
Gewiß, ich weiß, daß du die Kinder liebst
Und deiner Seele Tiefstes ihnen gibst!
Und doch, so oft die kleinen zagen Herzen
Mir blagend bringen all ihr Kinderleiden,
züllt es mit wehmutsvollen Schmerzen
Ind banger Ehrfurcht meinen Sinn,
das AUnverrückbare, daß von uns Beiden
doch ich allein die Mutter bin!