Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

küßte ihn voll Danbbarbeit. Hans Prinz jah, wie eergriffen 
sie war und fühlte sich gerührt und beschämt durch soviel 
Liebe. 
Trotzdem die Gedanben des alten Melchior Volkmar 
sonst nur zwischen seiner Arbeit und seiner verstorbenen 
Frau geteilt waren, konnte ihm die Deränderung in dem 
Wesen seiner Tochter nicht entgehen, und schwer machte sie 
es ihm nicht, die Arsache zu erbennen. Gleich die erste 
Segegnung in der Obergasse hatte sie ihm erzählt, und seit- 
dem hatte sie so oft von Herrn Prinz gesprochen, daß für 
ihn bein Sweijel über ihre Gefühle möglich war. Er über— 
legte, was zu tun sei. Ihr zu verbieten, mit ihm zusammen- 
zutreffen, Lonnte ihm nicht in den Sinn Lommen. Wenn 
man seiner seligen Frau nicht erlaubt hätte, abends nach 
getaner Arbeit ein Stündchen spazieren zu gehen, wären 
sie niemals ein Paar geworden. Der Anterschied war nur: 
er stammte aus dem Städktchen, man bannte ihn; der junge 
Mann aber war hier fremd. Nicht etwa, daß der alte VDolbk⸗ 
mar gegen Gertraude Mißtrauen gehabt hätte. O nein, er 
war ihrer Rechtschaffenheit vollkommen sicher. Aber bonnte 
sie sich nicht in dem Charabter des fremden Menschen täuschen? 
Sie war noch so unerfahren! So junge, fremde Herren 
dachten manchmal nur an eine vorübergehende Spielerei, 
und ein armes Mädchen hielt alles für ernster, als es gemeint 
war, und grämte sich dann jahrelang... Volkmar nahm sich 
vor, sich gelegentlich unauffällig bei Frau Bindewald über 
ihren Mieter zu erbundigen, zunächst aber Gertraude vor 
allzu großer Dertrauensseligkeit zu warnen. 
Er begann unvermittelt von Hans Prinz zu sprechen, 
und Gertraude gestand ihm unter Erröten: „Ja, Vater, wir 
gehen zusammen.“ Aber sie wurde voller Eifer, als er 
sagte, daß man jungen fremden Männern nicht allzusehr 
trauen dürfe. „Ach, Dater, wenn du ihn kenntest! Er ist 
io treu und aufrichtigl Er hat kbein Falsch an sich.“ Der 
Alte begütigte und dachte bei sich: „Um so besserl Um so 
besserl“ Auch was er von Frau Sindewald in Erfahrung 
brachte, war günstig. Von nun an vergaß er in seinem 
Gebet den jungen Mann nicht. Sein einziges. braves Kind 
nußte ja glücklich werden! 
Im Städtchen hatte man sich daran gewöhnt, Hans 
Prinz und Gertraude als zusammengehörig zu betrachten. 
Eine öffentliche Verlobung erwartete man bei der Jugend 
der beiden noch nicht. Damit hatte es noch Jahre Seit. 
Auch war anzunehmen, daß sie sich nicht verheiraten würden, 
solange er nicht eine einkömmlichere Stellung gefunden hatte. 
Gertraude machte sich beine Sorgen über die Subunft, ihr 
genügte die Gegenwart. Vor ihr lagen noch ein paar sorg- 
lose, glückliche Jahre; die schweren Gedanken bonnte man 
sicch immer noch machen, wenn es Seit dazu war ... 
In dem Gefühl des Glückes erblühte sie von Tag zu 
Tag schöner, und mancher, der im Städtchen aufgewachsen 
war, betrachtete sie mit Wohlgefallen und bedauerte, nicht 
früher an sie gedacht zu haben. Jeder huldigte ihr durch 
Freundlichbeit und Aufmerbjambeit. Gertraude fühlte das und 
freute sich darüber, denn um so höher mußte Hans ihre 
Liebe schätzen. 
Zu denen, die mit Wohlgefallen das erblühende Mädchen 
betrachteten, gehörte der Sattlermeister Weilandt, ein binder- 
loser Witwer nahe an fünfzig, der aber aussah, als wäre 
er erst vierzig alt. Seine roten Bächkchen strahlten von 
Gesundheit, und seine munteren, grauen Auglein blickten 
schelmisch in die Welt. Wenn er Gertraude begegnete, so 
wirbelte er sein jugendlich gestutztes, rotes Schnurrbärtchen 
ind jagte schmeichelnd: „Ei der Tausend, die Gertraude!“ 
Sie wurde rot und lachte. Dem Weilandt durfte man nichts 
ibelnehmen, er machte nun einmal geen mit jedem sein 
Pãßchen! 
Als Weilandt am Schützenfest den Meisterschuß tat, 
ragte sich das ganze Städtchen, mit wem er wohl den Tanz 
inführen werde ... Gertraude ahnte, was geschehen sollte, 
ils sie ihn auf sich zukommen sah. Der fröhliche Schützen“ 
önig holte sie zum Tanzl An eine Ablehnung war nicht 
u denken. Die Freude über den guten Schuß und der 
5tolz, ein so schönes Mädchen an seinem Arm zu haben, 
nachten Weilandt ganz jung, und mancher der Umstehenden 
achte staunend, wie wenig man doch eigentlich den Alters- 
interjchied merke, und wenn die Gertraude nicht dumm 
päre, so würde sie wohl wissen, was sie zu tun habe ... 
dachdem das Paar den grünen Platz unter den hohen 
ẽschen und Linden betreten hatte, der zum Tanzboden aus- 
rsehen war, schlossen sich die Schützenbrüder mit ihren Frauen 
ind Bräuten und den übrigen Tänzern an. Gertraude fühlte 
ich jo froh und leicht! Sie genoß in jugendlicher Anbefangen · 
eit die Freude, Königin des Festes zu sein. Sie dachte 
icht an den Mann, mit dem sie tanzte, sie hatte sogar für 
Augenblicke Hans vergessen, sie wiegte sich nur sorglos nach 
er Musik. Alles Alltägliche war von ihr abgefallen. Nichts 
vünschen, nichts sorgen, nur sich wiegen, sich wiegen! Die 
Menschen um sie herum schienen alle zu tanzen, die Bäume 
virbelten im Walzer mit, die grünen Wiesenstreifen dahinten 
ind die Flecken blauen Himmels droben, die Sonnenstrahlen, 
ĩe schwirrenden Dögel, die gaubelnden Schmetterlinge, die 
janze Welt tanzte um sie her. Da plötlich fiel ihr Blick 
iuf Hans Prinz. Er stand unter den Zuschauern und sah 
ie traurig an. Das ging ihr durchs Herz, und sie fühlte, 
»aß sie im Grunde nur deshalb so froh war, weil sie ihn 
iebte und sich geliebt wußte. Ohne die Liebe war alles 
itel. Ohne ihre Liebe freuten sie die Huldigungen nicht 
ind das Tanzen und das Fest und ihre Jugend und das 
deben ... 
Sie nahm sich vor, gleich nach dem Walzer Hans zu 
rösten und zu versöhnen. Aber als der Tanz zu Ende 
par, bonnte sie sich nicht losmachen, denn Weilandt führte 
ie an den Tisch zu den Schützen und Schützenfrauen und 
ieß sie an seiner Seite niedersißzen. Er bemühte sich so 
ebhaft um sie, daß sich die Schützenbrüder mit vielsagenden 
Blicken zuzwinkerten und der immer fröhliche Nachbar Keich- 
vein ihr ins Ohr flüsterte: „Gertraude, ich glaube, er macht 
Ernst. Wär nicht so übel!“ Da lachte sie hell auf, denn 
»er Gedanbe war gar zu kbomisch. Weilandt aber meinte, 
eine Schmeichelworte hätten sie in so gute Stimmung ver— 
etzt und wurde noch zuversichtlicher, und als einer der 
schützenbrüder den König und die Königin hochleben ließ, 
chwamm Weilandt in lauter Freude und Hoffnung, während 
Hertraude ganz verlegen dasaß und nicht recht wußte. was 
ie tun sollte. 
Da erblangen die ersten Tabte eines neuen Tanzes, und 
lößlich stand Hans neben ihr und verneigte sich. Bevor 
er König und seine Getreuen die Gefahr erbannt hatten, 
var Gertraude aufgestanden, hatte Hansens Arm ergriffen 
ind eilte mit ihrem Tänzer lachend davon. Der König 
»lieb einen Augenblick ganz verdutzt, dann begriff er. 
Jugend!“ dachte er und war ein bißchen wehmütig, aber 
⁊ ließ sich nichts merken. Der Wagner Keichwein half 
iber das Peinliche des Augenblicks hinweg, indem er aus— 
jef: „Ja, die Gertraudel Die verkehrt nur mit Königen
	        
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