Gemünztes
Achtet auf eure Mundart!
Das Anglück unseres Daterlandes und die schweren Nöte
der Seit verengen uns den Blick. Waren wir vor dem
Kriege gewohnt, erhobenen Hauptes über Länder und Meere
zu schauen, wo überall deutsche Macht und deutsche Kulkur
an erster Stelle sich geltend machten, so wenden wir uns jetzt
gern vom Ausland ab, ja selbst von den weiteren Gauen
des deutschen Daterlandes, wo politische Verblendung und
oergiftender Klassenhaß alle Bande frommer Scheu— zu
zerreißen drohen, und beschränken den Blick auf unsere
nächsten Lebensgemeinschaften. Das kraute Wort Heimat,
das vor dem Kriege gegenüber dem machtvollen Keichs—
begriff etwas in den Hintergrund zu treten schien, es beherrscht
jetzt in stärkerem Grade unser Sinnen und Denken. Aeberall
regen sich Heimatkunde und heimatliche Vollsforschung und
beweisen, daß wir in unserm Anglück Einbehr halten bei uns
selbst. Von draußen haben wir nichts mehr zu hoffen, um
so mehr suchen wir uns von innen heraus zu krösten und
zu bereichern.
Su den Besonderheiten der Heimat gehört vor allem
ihre Mundart, und von jeher nimmt in der Heimatwissen-
schaft auch der Dialekt seinen berechtigten Platz ein. Die
angestammte Mundart, die Sprache der Väter, auch sie bränkelt
seit langem. Der Enkel spricht schon nicht mehr ganz wie
der Großvater. Die Schule und die Kirche, das Amt und
der Marbt, die Seitungen und die Bücher, die Dienst—
verhältnisse und der ganze Verbehr zwischen Stadt und Land,
alles das droht unsere heimischen Mundarten immer weoeiter
einzuengen und hat ihnen bereits mancherlei Sprachgut und
Koedeweise zugeführt, die ihnen von Hause aus nicht eigen-
tümlich war. Und wie in manchen Gegenden unseres Hessen-
—DD
übrig geblieben ist, so besteht die Gefahr, daß auch die alten
urwüchsigen Dialebte allmählich verstummen und der allmäch—
tigen deutschen Schreib und Büchersprache weichen. Da gilt
es zu retten, was noch zu retten ist! Und wie die verschwin—
denden oder schon verschwundenen Volbkstrachten wenigstens
in Heimatmuseen aufbewahrt werden zur bleibenden Er—
innerung für die Nachwelt und als wichtige Lulturhistorische
Quelle für die Wissenschaft, so hat man auch begonnen, die
Bejonderheiten der täglichen Sprache wenigstens schriftlich
festzuhalten und zu sammeln. In Warburg ist ein solches
Dialektmusjeum im Entstehen: seit neun Jahren werden dort
aus der ganzen Provinz mundartliche Schätze geborgen, die
zu einem großen Hessen-NMassauischen Wörterbuch führen
sollen. Aeberall zwischen Habichtswald und Taunus, zwischen
Khön und Westerwald sind dialebtfreudige Sammler am
Werk und schicken jahraus jahrein Hunderte von Setteln
nach Marburg, auf denen die alten vertrauten, bodenständigen
und echten Dialebtwörter verzeichnet sind. Und wenn einmal
nach einem oder zwei Jahrhunderten durch die sich ständig
ausbreitende „Sildung“ und den immer weiter um sich greifenden
Sieg der Schriftsprache die alten orts- und landesüblichen
Mundarten ganz werden erdrückt sein, dann sollen sie durch
das Marburger Wörterarchiv wenigstens in Heimatforschung
Sprachwissenschaft fortleben als wertvolle Seugen ihrer
Zeit.
Auch in der Schwalm hat man dem Dialebt, der so
oiele auffallende Besonderheiten aufweist, längst sorgsame
Aufmerksambeit geschenkt. ˖ Hier blüht die mundartliche
Dichtung, hier hat die gelehrte Forschung wiederholt ein—
—
Ufes Gold.
ienten Mitherausgeber diesjer „Heimat-Schollen“ verkbnüpft.
Kreizschwerneng“ und „Jonber Hoose“ sind vielgelesene
Dichtungen in Schwälmer Mundart, und wer mit dieser sich
isher wissenschaftlich beschäftigt hat, der fand in Herrn
Kreisschulrat Schwalm den besten Dermittler und den zu—
erlässigsten Gewährsmann. So hat er auch von Anfang
in sich für das Marburger Wörterbuch interessiert, und daß
in diesem die Schwalm besonders gut vöortreten ist, das ist
in eester Linie sein Verdienst.
NMber die Sammlung für solch ein Wörterbuch ist noch
ängst nicht vollständig, und es werden noch Jahre vergehen,
»is sie den Anspruch auf annähernde Lückenlosigkeit erheben
tann. Deshalb heißt es weiter sammeln, und um so danbens—
verter ist es, daß auch in diesen Blättern die Mundart
hren Platz finden soll. Gleich in dieser zweiten Nummer
eginnt der Abdruck eines mundartlichen Wörterverzeichnijses,
as jeder Freund heimatlicher Sprache nachprüfen und nach
Kräften ergänzen möge. Folgt er den in dem Vorwort
zegebenen Weisungen, so dient er sowohl der engeren Heimat—
orschung, wie auch der umfassenden Wissenschaft von der
eutschen Sprache überhaupt. In dieser steckt ein gutes
Stück Gejchichte von Land und Leuten, und je größer unsere
„ammlung wird, um so mehr bestätigt sie den Ausspruch
schillers: „Die Sprache ist der Spiegel der Nation. Wenn
vir in diesen Spiegel schauen, so kommt uns ein großes treff
iches Bild von uns selbst daraus entgegen“. Das bann
ielleicht später einmal durch einige Schwälmer Proben an
iesjer Stelle weiter ausgeführt werden. Für heute heiße es
uur: helft! sammelt! ein jeder an seinem Platzel Liebe zur
hHeimat ist auch Liebe zur Mundart. And auch für die
Schwalm gilt Goethes Wort: „Jede Provinz liebt ihren
Dialekt, denn er ist doch eigentlich das Element, in welchem
die Seele ihren Atem schöpft“.
Marburg. Prof. Dr. Ferd. Wrede.
Aus dem Worftschatz der Heimat.
Die Schwälmer Mundart, von der nachstehend eine Keihe von
Ausdrücken gebracht werden soll, ist ein Sweig der hochdeutschen
essischen Mundarten. Nicht etwa haben wir in ihr „verdorbenes
)ochdeutsch‘ vor uns, sondern sie ist mindestens so alt als jenes,
igentlich älter und nicht etwa minderwertig, wie dieser oder jener
vähnt. Was Kraft und derbe Bildhaftigkeit des Ausdrucks und
Mannigfaltigkeit der Konjugationsformen anbelangt, ist sie sogar
hrer großen Schwester, dem Hochdeutsch, überlegen, dazu viel
olgerichtiger und — bequemer. Die Schwälmer Mundart bewahrt
iußerdem noch eine Keihe Wörter mitteldeutschen Sprachgutes auf,
ie der hochdeutschen Sprache längst abhanden gebommen sind.
Vie auf Bergeshöhe noch heute manches Pflänzchen eine Sufluchts-
tätte gefunden hat, das im Tale längst der raubgierigen Hand
zedanbenloJer Menschen zum Opfer gefallen ist, so blüht dieser oder
ener alte Ausdruck im stillen Winbel der Mundart unserer Heimat
ort. Gott gebe, noch recht, recht lange!
Es braucht sich ihres Gebrauchs demnach niemand zu schämen,
m Gegenteil! Leéeider übt die Schule und üben insbesondere die
zeitverhältnisse, die auch an die Stelle der alten beenfesten hessischen
Bauernschemel den zimperlichen städtischen Vohrstuhl gesetzt haben,
inen zerstörenden Einfluß auf sie aus, weil beide statt der alten
ieben landläufigen Ausdrücke buchmäßige gebrauchen. Wer sagt
»eute noch Häd oder kllerhäd zum Dater und Großvaäter oder
chnärrch (Suthers Sdmur) zur Schwiegertochter?
Was hier von der Schwälmer Mundart gesagt ist, das gilt in
gleicher Weise von allen hessischen Mundarten.
Wir wollen durch unsere Susammenstellung diesem Sersetzungs-
»rozeß steuern helfen, zugleich aber eine Vorarbeit zu dem großen
ejsischen Mundartenwerbe liefern, das Herr Prof. Wrede mit
iinem Stabe tüchtiger und begeisterter Mitarbeiter 1927 zur
fünfhundertjahrfeier der Universikät Marburg dem Hessenstamme