Henommenen als Gegenleistung einen Genuß, wie wir es von dem
musizierenden Udenhäuser Schulmeister schon gehört haben. Die
dittere Not hat jedenfalls den Schuldiener Melchior Faltrod von
Schenblengsfeld auf die Straße getrieben. Der Opfermann von
Schorbach, Henrich Schmerer, mußte an den Türen blopfen, weil
sein Kind den Arm entzwei gefallen und bei der Bemessung seiner
Besoldung darauf nicht Rücksicht genommen war, daß auch einmal
Arztlohn zu bezahlen ist. Andere sind wohl dadurch in unser
Armenregister geraten, daß sie, in der Fremde angestellt, einmal
den natürlichen Wunsch spürten, die altfe Heimat wiederzusehen, und
nun auf der Reise bei dem Pfarrer um ein „viaticum“, um Reije⸗
zeld anhielten. So bönnte es mit dem aus Sontra gebürtigen
Kebtor aus der Pfalz stehen, der 1665 vorsprach. Andere wieder
ind durch irgend eine Krankheit für ihren Beruf untüchtig geworden.
Für einen jolchen bedauernswerten Mann sorgte ja damals niemand.
So erhielt 1619 ein armer, vom Schlag gerührter Schuldiener, der
gelehrt war, Henrich Edlin von Benden aus der Grafschaft Stolberg
5 Alb. 4 Hle., 1081 der arme und blinde Schuldiener zu Neubirchen
Nikolaus Immich denselben Betrag. Mit den vielen ansprechenden
Geistlichen sind aber viele der ansprechenden Lehrer als Religions-
diener auch Opfer der damals in vielen Ländern batholischer Herren
noch weiterwirkenden Gegenreformation geworden. Wir wenden
damit unjere Aufmerlsambeit einer großen Sahl von Fremdlingen
zu, die, ein besonderes Schicksal tragend, einst durch Breitenbach
bamen. Die wir bisher unser Dorf durchwandern sahen, waren
Opfer des schweren Lebensbampfes, die auch in friedlichen Seiten
jo zahlreich sind, und wanderlustige Gesellen, die niemals fehlen
Diele, viele andere lernen wir nun bennen, die durch innerpolitische
Maßnahmen einzelner Herrscher und durch die Verhältnisse unter
den Staaten, besonders durch die damals geführten Kriege, zu
heimatlojen Wanderern geworden waren.
Im Jahre 1663 finden wir den Eintrag: „Einem armen
VDertriebenen aus Schlesien 1 Alb.“. In den folgenden Jahren
dehren Schlesier immer wieder: 1664 ein Conrebtor und ein anderer
Schuldiener; 1661 sind es zwei (einer davon aus Jägerndorf), 16608
pier (einer derselben ist von Adel); 1670 fünf Schlesier. 1681
begegnen uns aus diesem Lande Mag. Andreas Hofmann, früher
Pfarrer zu Lasjau, ferner Friedrich Schönowiß und Joh. Hofmann;
1682 Mag. Christian Kaulstein mit seinem Eidam; 1085 der Pfarrer
Mag. Daniel Hofmann; 16086 ein Pfarrer und zweĩ andere Personen;
16088 der vertriebene Schulmeister Benedix Hofmann und die zwei
Söhne des Pfarrers Mag. Schubart. Was haͤtten diese Menschen
zur Erblärung der auffälligen Erscheinung zu erzählen, daß in dem
kurzen Seitraum von 1603 bis 1686 etwa 26 Personen aus dem
fernen Schlesien in einem hessischen Dorfe um milde Gaben baten?
Und dazu wijjen wir ganz gewiß lange nicht von allen, die durch
Breitenbach gekommen sind. Ihre Leidensgeschichte, die sie sicher
damals auch den Breitenbachern nicht vorenthalten haben, steht in
den Blättern der Geschichte verzeichnet. Sie litten um ihres
evangelischen Glaubens willen, den ihre batholischen Landes⸗
herren, die Habsburger, in ihrer Heimat ausrotten wollten. Der
westfälijche Frieden, der den 30jährigen Krieg beendete, hatte zwar
den evangelischen Schlesiern das Kecht gelassen, ihres Glaubens
wegen unangefochten zu leben. Effentlich ausũben durften sie
ihren Gottesdienst freilich nur in den drei sogenannten Friedens-
kirchen bei den Städten Schweidnitz, Jauer und Glogau. Auch
durfte ihnen nicht verwehrt werden, den evangelischen Gottesdienst
außerhalb des Landes zu besuchen. Diese harten Bestimmungen
führte nun jeit 1653 Ferdinand III. und nach ihm Leopold J. mit
aller Härte durch. Alle Kirchen mit Ausnahme der genannten
drei Friedenskirchen — im ganzen 656 — wurden den Evangelischen
genommen; 500 meist verheiratete Pfarrer wurden vertrieben. Als
man 1666 anfing, auch die Schullehrer abzusetzen, fürchteten die
Schlesier eine allgemeine Swangsbebehrung. Tausende flüchteten
deshalb. Und wirbkblich hielt man sich nicht einmal an die doch
wahrlich streng genug lautenden Bestimmungen des Friedens
pertrages. Man sperrte den Evangelischen die Grenzen, um ihnen
jeden Besuch eines evangelischen Gottesdienstes außerhalb derselben
unmoöglich zu machen. Man zwang sie, an den katholijchen Prozessionen
teil zu nehmen, man setzte ihren Waisen kbatholische Vormünder.
Auch auf die Gebiete, die nach dem Friedensvertrage das Kecht
auf volle Ausũbung der evangelischen Keligion hatten, auf Breslau
und die Gebiete der Herzöge von Liegniß, Brieg, Wohlau und
von Oels erstreckte sich seit 1015 die Gegenreformation. Hier
wurden noch einmal 111 Kirchen genommen. Während 1600 mit
Ausnahme von 4 Städten und wenigen Dörfern der katholische
Gottesdienst in Schlesien erlojchen gewesen war, waren 1690 in den
Städten nur noch 5 Kirchen mit evangelischem Gottesdienst.
Was einst die Breitenbacher sicher teilnehmend und empörs
aus dem Munde der Unglüchklichen vernahmen, habe ich dem
Kirchengeschichtsschreiber Karl Müller (Kirchengeschichte, 2. Band
2. Halbband, Tübingen 1919, Seite 560ff.) nacherzählt. Derselbe
chreibt auch: „In Böhmen und Mähren, in Steiermark, Kärnthen
ind Krain war nichts mehr zu kun: nur heimlich erhielten sich in
Böhmen und Mähren eine beträchtliche Sahl Epangelischer.“ Unsere
Dorfahren wußten aber aus dem Munde der Betroffenen, daß doch
noch hier und da in Währen ein evangelischer Pfarrer aufgespürt
ind verjagt wurde, daß auch mancher mährische Laienchrist um sjeines
wvangelischen Glaubens willen in das Elend mußte: Am 22. Januar
663 erhielt eines armen Pfarrers Weib aus Mähren 2 Alb.
Ferner sprachen 16601 3wei Vertriebene aus Mähren um eine Gabe
in, 1610 Johannes Christian Linnert (27) und noch ein anderer aus
Iglau. Auch ein Böhme, Andreas Linde, wird 1610 erwähnt.
Dann waren vor allen Dingen die Ungarn sehr zahlreich unter
»en Hilfeheischenden jener Seit vertreten. 1665 werden zwei
hertriebene Edelleute aus Siebenbũrgen, ein vertriebener Edelmann
ius Ungarn, Johann Friedrich von Schönfeld, genannt; 1666 ein
Schuldiener und ein armer Mann; 16601 ein Exulant aus Neuhäuslein
in Ungarn; 16068 ein Vertriebener; 1010 eine Frau und ein Edel—
nann, 1616 ein Edelmann von Scharba; 1011 drei Prediger; 16018
ine Pfarrfrau mit 6 bleinen Kindern, dann wieder drei vertriebene
Prediger: Jonas Kledanus, Johannes Derdelius und Johannes Lani;
683 ein Schulrebtor: Martin Sarabpitz (2); 16084 3wei Adlige; 1686
ein Bauer mit nur einer Hand; 1680 ein literatus:); 1688 der
raeceptorꝰ) Matthaeus Menowitz; 1093 eine Edelfrau; 1696 ein
gelehrter Exulant, der lahm an Händen und Füßen war. Das
ind in der Seit von 160605 bis 1696, wenn ich recht gezählt habe,
31 Personen, eine stattliche Anzahl, wenn man die weite Entfernung
hrer verlorenen Heimat beachtet und ũberlegt, wie sich auf dem
angen Wege der breite Strom in viele Bächlein zerteilt haben
nußte. Auch sie konnten alle von den Methoden Habsburger
Hegenreformation leidensvolle Schilderungen entwerfen. Seit der
iür Gsterreich glücklichen Schlacht von St. Gotthard a. d. Raab
m Jahre 1664 befestigte und verbreitete sich die Macht der Habs-
»urger in Ungarn immer mehr. Anter der Türbenherrschaft hatten
ie Evangelischen ihres Glaubens leben dürfen. Nun die Feinde
er Christenheit mit Hilfe auch des protestantischen Deutschlands
urückgeschlagen waren, wurde den Evangelischen Ungarns die
heimat oder ihr Glauben genommen.
Auch die Opfer der Türbenbriege bevölberten die Landstraße:
Frauen, deren Männer in Angarn gestorben; abgedankbkte, vielfach
tarb bejchädigte Soldaten; andere, die aus fürbischer Gefangenschaft
vieder freigelommen waren — einer führte seine eisernen Fesseln
ind Bande zum Beweis der ausgestandenen Leiden mit sich;
Lollebtoren, die Geld zum Losbauf der in der Türbei Gefangenen
ammelten. So wollte Albert Müller aus Oberungarn mit den
nilden Gaben, die ihm gereicht wurden, seinen Bruder aus der
Hefangenschaft erlösen.
Es wäre bein Wunder gewesen, wenn in dem Munde der vielen
pangelischen Vertriebenen aus den habsburgischen Ländern, die doch
zewiß überall nach dem Urheber ihrer Leiden gefragt wurden, der
Namen Ferdinands III. oder Leopold J. zu einem Fluche geworden
väre. Ein Wunder aber wäre es, das drängt sich jedem auf, der
inen Blick in die damaligen Breitenbacher Kirchenrechnungen wirft,
venn der Name des damaligen französischen Königs Ludwigs XIV.
»hne große Verwüũnschungen genannt worden wäre. Die Breiten-
acher sahen es täglich vor ihren Türen, welches Unglück er über
zinen großen Teil der Menschheit brachte.
Schon der erste Raubbrieg Ludwigs XIV. gegen die spanischen
Niederlande 1667/68 ließ davon Betroffene bis nach Breitenbach
ommen: 1668 den armen Mann Andreas de la porta aus Flandern,
zinen lahmen Soldaten von Mastricht und dann 1610 Johann
Thungen, der den Spaniern gedient hatte.
Aber erst der Krieg, den Ludwig XIV. 1612 gegen Holland
egann, in den nach und nach einzelne deutsche Bundesstaaten, dann
as ganze KReich und auch Spanien gegen den räuberischen Franzosen
eingriffen, der bis zum Jahre 16018 bzw. 1619 am Rhein und in
Voestfalen, in Holland, in der Freigrafsjchaft Burgund, dem Elsaß
ind in Süddeutschland geführt wurde, brachte großes Unheil über
ie Menschen. Unsere Heimat wurde insofern direblt berührt, daß
Truppen durchzogen. ÜUber diese Durchzüge wissen wir einiges
ius erhaltenen Briefen des Dörnberg'jschen Amtmanns Franciscus
bundelach. Am 11. Dezember 1612 spricht er auf Grund von
stachrichten, die ihm aus Alsfeld zugegangen waren, die Hoffnung
ius, daß die baijerlichen Völber, die nach Biedenkopf, Battenberg
uind der Herrschaft Itter marschierten, und ebenso die Branden-
hurger auf dem Wege nach Frankenberg und Stift Köln Breitenbach
nicht berühren möchten. Daß man Grund hatte, solche Berührung
zu fürchten, erfuhr man, als am 10. Januar 1614 sich sächsische
Dölker auf dem Durchmarsche für drei Tage einquartierten. Sie
9— Schriftsteller. 2) Lehrer