Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

1343 heißt es: capella Iindawe sita sub pede montis opidi Amene- 
ↄurgs. An einer Urkunde von 1384 hängt ein Pergamentstreifen, 
der das Siegel trug. Es ist ein Stück einer zerschnittenen älkeren 
Urkunde, worauf zu lesen ist: Wir enpyden vnd bydden alle Erbern 
derrn — vnd waz wir Gudes vermogen gegen gode. Wir dun uch 
zu wyhzen, daz eyne Kirche by vns gélegen ist, dye heisset lyndaue. 
Dye hat gebrechen an kelchen, an buchern, an meßgewande, ane 
geludte, an buwe. Daz dye kirche nicht haben mag ane heiffern 
vnd Rad aller guden Christen lude. (Gtaatsarchiv Marburg 
Stift Amöneburg.) Ganz ohne VDermögen muß aber die Kapelle 
damals nicht gewesen sein, denn in einer Urkunde von 1379 wird 
gesprochen von zwei Malter Korngülde zu Roßdorf uff Sweymes 
gode unde nu 2zcu gehorit der kirchen z2cu Tindaue. (Vyss. I. 14168.) 
20. WMärz 1509 vermachte ein Priester aus der Kirchhainer 
Familie Menche der St. Maria Maghoalenabapelle zu Lindaun unter 
Amöõöneburg mit Sustimmung Erzb.Uriels ein Benefizium mit 20Gulden 
Einkünften unter Vorbehalt des Patronats für sich und dann den 
Altesten der Familie Menche. (WVürdtwein, dioec. mog. comm I 
p. 200.) Im Ayril 1540 beschwert sich Kanonikus Söber gegen 
die Stadt Kirchhain wegen Vorenthaltung dieses Stipendiums. 
Kãũch, Pol. Archiv Philipps des Großm. 111.) Su Beginn des 
Dreißigjãhrigen Krieges war der Gottesdienst in der Kapelle noch 
im Gange. 1618 kbonfirmierte Erzb. Johann Schweigard die Uber? 
fragung des Altars „in sacella Iindowe“ an den Amöneburger 
Kanonikus Bernhard Back. (Staatsarchiv Marburg.) 1646 wurde 
die Kapelle durch die Schweden zerstört. Swar ist aus dem Jahre 1667 
ein Legat zur Wiederherstellung vorhanden (ib.), doch blieb sie Ruine, 
bis der Landdechant Philipp Heinrich Müller nach dem Kriege 
von 18710 zum Danke gegen Gott die Wiederherstellung in die 
Wege leitete. Die alte Kapelle war ein einfach rechteckiger Bau 
mit Giebeldach, aus Basalt erbaut. Die Spitzbogen der Lleinen 
Fenster waren mit Nasen besetzt. (Lotz. nach einer Skizze von 
F. Köhler.) Dux. 
Aus der Geschichte einer französischen 
Flüchtlingsgemeinde⸗ 
Von Walter Reuß-Schwabendorf. 
In Mr. 12 der „Oberhessischen Seitung“ vom 14. Januar v. J. 
erschien ein Aufsatz mit der ÜUberschrift: „Die Pulverexplosion in 
Schwabendorf, 1832 — 14. Januar — 1922.“ Da mir diese Dar—⸗ 
stellung in einigen Sügen unrichtig und ungenau erscheint, so habe 
ich verjucht, auf Grund der vorhandenen Chroniben und des Seugnisses 
der ältesten Einwohner des Dorfes eine berichtigende Darstellung 
der betreffenden Vorfälle zu geben. Ich will bei dieser Gelegenheũ 
nicht unerwähnt lassen, daß die älteste Einwohnerin von Schwaben⸗ 
dorf, die sich aus ihrer Kindheit von ihren Eltern her der Explosions- 
Latastrophe noch sehr wohl zu erinnern wußte, erst vor wenigen 
Tagen in dem hohen Alter von 88 Jahren gestorben ist. 
Die in ihren Folgen entsetzliche Pulverexplosion hat sich vor 
nunmehr 90 Jahren zugetragen. Nach den oben angeführten Quellen 
war der Hergang folgender: An der Stelle des jetzt von Konrad 
Soucseins Kindern bewohnten Hauses stand früher das Wohnhaus 
des sean Pierre Tourté und dessen Frau Claudine geb. Beaupain. 
lourte war Schuhmacher und Gemeindevorsteher, im übrigen ein 
eifriger Wilderer, wie denn überhaupt früher viele Bewohner von 
Schwabendorf leidenschaftlich gewildert haben. 
Es keéehrte bei Tourté alljährlich ein Pulverhändler namens 
Johs. Hübenthal aus Frankenhain, Amt Bilstein, ein und blieb, 
wenn er in die hiesige Gegend kam, dann auch über Nacht bei Tourté. 
So bam er auch am 18. Januar 1832 gegen Abend nach 
Schwabendorf, um bei Tourté zu ũbernachten. sourté baufte ihm 
ein halbes Pfund Schießpulver ab, und während der Händler noch 
im Simmer das Pulver abwog — ein größeres Säckchen mit 
Pulver stand offen neben ihm auf der Bank —, bam ein Bursche 
bvon 24 Jahren, sean Fierre Grisail, ins Simmer, sah zuerst dem 
Handel des Tourtée und Hübenthal zu und erlaubte sich dann die 
Bemerbung: „Auer Pulber is jo naut wert!“ „WMas“, rief Hübenthal, 
„mein Pulver wär naut wert? Guck emol hier!“ Und damit nahm 
er zwei Finger voll Pulver und warf sie in das auf dem Tische 
stehende brennende Gllicht. Es mögen wohl einige Funben in das 
offenstehende größere Pulversäckchen geflogen sein; denn es erfolgte 
sofort ein mächtiger Knall, und das ganze Haus stürzte zusammen. 
Don den anderen Häusern stürzten die Siegel herab; die Tische, 
Stühle und Betten wanbten; das ganze Dorf war von einem 
dichten Qualm umzogen. Die alte „Michelsgolloer“ hat mir erzählt, 
ihre „Eller“ habe damals gerade am Dorfbrunnen gestanden, um 
Wasser zu holen; durch die gewaltige Erschütterung sei sie zu Boden 
geschleudert worden und beinahe in den offenen Brunnen gestürzt 
Don dem Hause Tourtés war nichts mehr vorhanden als 
in Schutthaufen, aus dem dichter Rauch aufstieg. Auch das 
enachbarte Haus des Valentin Grisait, in den sich zufällig 
niemand befand, war zur Hälfte verschwunden; die andere Hälfte 
nußte wegen Einsturzgefahr niedergerissen werden. Bei den nun 
olgenden Aufräumungsarbeiten woͤllte es ein trauriges Schichsal, 
»aß der alte Lehrer Tierre Aillaud als Erster die gänzlich ver⸗ 
rannten Aberreste seines einzigen Enkels, des jungen Grisañl, entbeckte. 
Ddiese Tatsache veranlaßt uns, der Frage nachzugehen: Was ist 
uus den Personen geworden, die sich zur Seit des AUnglucks im 
dause des Tourté befanden? 
Es befanden sich im Simmer außer Tourté, Hũbenthal und Grisail 
och zwei Söhne des Tourté: François und jean. Letzterer fiel 
inter den Tisch, hinter welchem er saß, und wurde dadurch vor 
en zusammenstürzenden Balken geschützt. Er erlitt nur geringe 
Quetschungen, war an den Augen wie überhaupt im Geosicht starb 
»erbrannt, bekam aber nach einiger Seit das Augenlicht wieder, 
erlor jedoch bei dem Anglück gänzlich das Gehör. Von ihm hat 
nan überhaupt erst den Susammenhang der Geschehnisse erfahren. 
Oer Tisch, unter den Jjean Tourté gefallen war, ist heute noch im 
hause des Wagners Peter Chrijt vorhandem 
Es wurde sofort mit den Aufräumungsarbeiten begonnen; man 
and Jean Fierre Tourté, Grisail und HSũbenthal tot auf, fast bis zur 
Unbenntlichbeit verbrannt; François Tourté starb am foigenden Tage 
in den erlittenen Verletzungen. Die Ehefrau Claudine Tourté wär 
n der Küche mit dem Burchseihen der Milch beschäftigt; sie wurde 
yon den herabstürzenden Trümmern sofort getötet. Es kam also 
iur sean Tourte mit dem Leben davon. Derselbe ist später nach 
Ameriba ausgewandert und verschollen. 
Die, fünf Leichen wurden am 16. Januar 1832 beerdigt, und 
war erhielten Tourte Frau und Sohn ein gemeinsames Grab. 
Diese drei Särge wurden aus dem Hause, das heute Heinrich 
Malkus gehört, getragen, dem Elternhause der Frau. Hier sei 
roch erwahnt, daß Claudine Tourte und die Großmutter des⸗ Johs. 
Kißling hier Schwestern waren; letztere hieß Madeleine, daher 
Kißlings Haus heute noch „Madlänes? genannt wird. Der „Pulver⸗ 
mann“ erhielt sein Grab an der Kirchhofshecke; es ist jehßt noch 
durch einen runden Stein bezeichnet. 
Der Platz des Hauses mit allem Schutt wurde von einem 
Manne namens Kirchner gekauft, der ein neues Haus baute und 
eine Wirtschaft einrichtete, die unter dem Namen „Die Kneipe“ 
»ebannt war. Heute noch wird das Haus — eos üjt langst keine 
Virtschaft mehr darin — „Kneipes Haus“ genannt. 
Die chronibalischen Aufzeichnungen ũber das Anglũck sind im 
Jahre 1886 gemacht worden nach ARussage des damals 8 jährigen 
Echhardt Faure, welcher sich des Vorfalles noch sehr genau eriunerte 
und einen der fünf Särge mit getragen hat. 
Die übergroße Armut, welche im vorigen Jahrhundert in 
Schwabendorf herrschte, hat viele Einwohner des Dorfes veranlaßt, 
nach Ameriba, und zwar hauptjsächlich noch Californien (Cali- 
onium“ ist hier die ortsũbliche Bezeichnung) auszuwandern. Die 
neisten der Ausgewanderten sind drüben zu Geid gebomnen und 
»aben dann in ihrer besseren Lebenslage die arme Muttergemeinde 
ncht pergessen. Noch heute spielt das „Amerikanergelde in der 
ßemeinde eine große Volle, und Valentin Traudt hat in jeiner 
Erzählung „Leufe vom Burgwald“ auch darauf hingewiesen. Die 
Eelebnisse eines solchen „Ameribaners“ waren in dem eingangs 
rwähnten Aufsatßze in der „Oberhessischen Seitung“ auch mitgeteilt 
vorden, allerdings auch nicht in allen Einzelheiten zutreffend Nach 
inwandfreĩen Aussagen ist der Sachverhalt folgender: Ein hiesiger 
kinwohner, dessen Namen ich, aus naheliegenden Gründen hier nicht 
ienne, war dreimal verheiratet gewesen; von der ersten Frau wär 
in Sohn da; die zweite Frau starb sehr früh; aus der drikten 
ẽhe stammten fünf Kinder. Der Alteste, der Stiefsohn, wanderte 
m Jahre 1811 nach Californien aus. Dort war er reich geworden. 
und nun Lamen aus der Heimat viele Briefe an ihn. in denen 
er um Geldsjendungen angegangen wurde. 
Im Jahre 1889 teilte er seinem Dater mit, daß er wieder herüber⸗ 
ommen würde. Und nun wurde er mit Spannung zu Hause 
ewartet — vergeblich. Neun Jahre lang hörte man nichts mehr 
»on ihm, und allgemein wurde er für tkot gehalten und betrauert. 
Die zu erwartende Erbschaft wurde im Geiste bereits geteilt. Ein 
leiner Vorfall, der hieroris immer noch viel belacht wird, zeigt 
reffend die Spannung der Gemüter: Einer der Stiefbrüder des 
Ameribaners“ hatte mit einem Mädchen ein Liobesverhältnis, 
ind beide hatten sich an einem verschwiegenen Orte getroffen. 
Dou kannst mich jo nemme“, sagte der Bursche, „bin aich net en 
chinner Borsch? AUnn denk emol, wann jetzt des Lalefonisch Geld 
immt...“ Aber es bam anders. Zu eben der Seit, als man 
nit dem Eintreffen des beanspruchten Erbteils rechnetfe, erschien — 
er Totgeglaubte selbst, zerrissen und zerlumpt. in armselidemn Auf-
	        
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