Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Auf Heimatwoeqen. 
Tannenberg. 
VDon Werner Sunkbel, Marburg. 
Ich war durch die Khön gewandert und strebte meiner nieder— 
— 
Morgenstunde hatte ich Salzungen an der Werra verlassen, durch- 
querte den weiten Süllingswald und war, als ich nachmittags nach 
Hönebach und Schloß Wildeck bam, infolge des weiten Marsches 
und des schwülen Wetters doch ziemlich müde geworden. Aber ich 
überwand die Erschöpfung durch den festen Enltschluß: ich will heute 
noch das Siel meiner Wanderung erreichen, die Jugendherberge 
auf der Kuine Tannenberg zwischen meinem Heimatdorfe Sůß 
und Nentershausen. Und es gelang. In Nentershausen erfuhr ich, 
daß schon zwei jugendliche Wanderer sich auf dem Wege vom Dorf 
zur Ruine befänden, und bald hatte ich sie eingeholt. Ich war 
aum hundert Schritte mit dem Burschen und dem Mädel gegangen, 
jo waren wir (ich täusche mich in meinem ersten Eindruck selten!) 
zleich gute Kameraden und das gegenseitige „Du“ eine Selbst- 
oerständlichkeit. Die beĩden gehörten einem Jugendverein an, stammten 
aus Konshausen und Rotenburg und waren ihren Gefährten voraus— 
zeeilt, um die Abendatzung vorzubereiten. Meine hohen Erwartungen, 
durch ihre von Tannenberg entworfene Schilderung erregt, wurden 
durch die nachher geschaute Wirblichkeit noch bedeutend übertroffen. 
Nach viertelstündigem Marsch durch Felder und Wiesen und zuletzt 
den steilen bewaldeten Berg hinan betraten wir durch das weite 
Tor den rechteckigen Hof der von Baumbach'schen Burg und von 
da den nördlichen Flügel des Gebäudes, von einer Waldarbeiter- 
frau freundlich begrüßt. Wir stiegen zu dem im oberen Stock 
liegenden „Tagesraum“ der Jugendherberge empor, der alles auf- 
weist, was junge Wanderer brauchen: neben dem gemauerten Herd 
eine Kiste voll Brennholz, das wir nach Belieben im nahen Wald 
ergänzten, eine Bank mit Eimern für „Trinkwasser“, „Spülwasser“, 
Tisch, Stühle, Schrank, alles eichene Bauernmöbel, einen Galgen 
zum Wäjschetrocknen, Wasserbkannen und Waschkübel. In dem 
einen Schrankb eine Fülle von Kochgeschirr (Aluminium und hessijche 
„Dippercher“), Tellern, Tischbestecken, im andern eine Bücherei 
mit unterhalfenden und belehrenden Schriften, Landbarten und 
Gesellichaftsspielen. Bilder aus der Umgegend und drollige Scheren⸗ 
schnitte an den Wänden sowie ein auf dem Tisch stehender Blumen— 
strauß grüßten uns beim Eintreten. Die gastlichen Burgleute 
jchickten, noch ehe wir uns „angemeldet“ hatten, durch ein Kind 
prachtvollen Heidelbeerbuchen; der Kaffee dazu war auch bald fertig, 
zumal ein schon sjeit ein paar Tagen hier oben hausender Herbergs— 
gast, ein Lehrer aus Bremen, beim Heizen mithalf. 
Jetzt Lamen auch die anderen Rotenburger und Ronshäuser, 
laut „Heil“ rufend, herein. Mun wurde die Arbeit verteilt: die 
Jüngeren besorgten Wasser und Holz und beim Förster, der Herbergs- 
oater“ ijt, Kartoffeln, die Erfahreneren zogen mit Eimern ins 
Dorf, um nach einer Stunde mit Milch, Eiern, Speck und Sonntags- 
Luchen wiederzukommen. Während unsere Gefährtin Eierkuchen 
und Kartoffelsalat zubereifete, deckten wir den großen Tisch uͤnd 
eichteten in den an den Tagesraum stoßenden Schiafzimmern die 
ans Soldatenleben erinnernden zweistöckigen Betten für die Nacht- 
euhe her. Als wir, jeder mit seinem Schanzzeug, Messer und Gabel, 
ins den leckeren Speisen widmeten, erzählte man von früheren 
Tannenberd-Sonnfaqen. und ich borichtefe guch von moinor Sindb- 
heit, die ich im nahen Bergmannsdorf Suüß verlebte, nicht weit 
on Tannenberg. Als ich verriet, daß auch in Ronshausen ein 
Zebannter von mir wohnt, den ich zwar noch nie sah, der mir aber 
hon öfters für meine naturbundlichen Studien Tierbeobachtungen 
ejchickt hätte, platzte der junge blonde Bursch, mit dem ich vorhin 
on Nentershausen zur Burg hinaufgepilgert war, heraus: „Dann 
ist du Werner Sunkel und dein Bebannter ist mein Bruder, der 
cher mitgekomnen wäre, wenn er das gewußt hätte!“ (Am nächsten 
Nontag kam dieser dann noch mit dem Rad auf die Tannenburg, 
im mich vor meiner Abreise noch zu treffen.) Jetzt war natürlich 
ie Freude über diese alte Beziehung groß, und der Abend verlief 
echt gemütlich. Spät sangen wir noch ein paar Lieder, und dann 
chliefen wir auf unseren Strohsäcken besser als manchmal daheim 
m weichen Bett. 
Der Sonntag jsah uns schon früh wieder draußen am Brunnen 
ei der Morgenwäsche, in dem halb verfallenen südlichen Flügel 
nit der leinen Kapelle, im unbrautüberwucherten Burgverlies und 
im waldigen Berghang, wo Jungvolk aus Süß und Bauhaus uns 
esuchte. In sonniger und heiterer Natürlichbeit genossen wir den 
zonntag, und als abends spät die jungen Menschen wieder kalwärts 
panderten, mutig und froh dem Alltag und der Arbeit entgegen, 
iefen wir ihnen noch lange „Lebewohl“ und „Auf Wiedersehn“ 
ach, bis Nacht und Ferne die Worte verschlangen und nur noch 
in paar verhallende Jodler das Echo weckten in den Waldbergen, 
vo schon die stillen Fledermäuse flatterten und Käuze schricen. 
Wie ich empfand auch der Kamerad von der Wasserkante, den 
ch am nächsten Morgen nach Wildeck begleitete, daß wir hier 
vackere, aufrechte Menschen bennen geleent hatten. Auf der Wald⸗ 
»urg Tannenberg gibt es beine Unterschiede und soll es beine 
zchranben geben der politijchen und religiösen Gesinnung, des Berufs 
ind der Abstammung. Tannenberg soll mit jeiner, von dem Nenters 
ãuser Arzt Dr. S. mustergiltig geleiteten Jugendherberge eine wahre 
ugendburg sein, ein Ort, wo junge Menschen sich bennen, achten 
nd verstehen lernen. Die Seiten, wo um die altersgraue Boerg- 
este Fürsten und streitbare Kitter fochten, sind vorüber, wir jungen 
Tannenberger singen: „Mit uns geht die neue Seit ...“, bämpfen 
ũr die Jugend, für Schönheit, Wahrheit und Recht; als Jugend 
ühlen wir uns einig, mögen wir sein, wer und was wir woilen, 
ind sei unsere Heimat Ost oder West, Nord oder Süd. Allen 
annenbergwanderern, auch denen, die aus der Ferne zu uns ins 
)essenland Lommen, möge es ergehen wie meinem Bremer Freund 
). Blank, den ich hier oben bennen lernte und der ins Nestbuch 
er Jugendherberge einschrieb: 
Hessenland, du bist schön, doch ich bonnte dich nicht verstehn. 
Sprache und Menschen waren mir so unbebannt, daß ich 
beine Heimat fand .. 
Ich wanderte weiter, die Sonne bam durch, 
Alles wurde heiter, ich kam auf die Tannenburg, 
Ich sjah das Heim, lernte neue Menschen bennen 
.. und voergaß das Weiterrennen. 
Die Tannenburg wurde mir so vertraut, 
Kein Wunder, wenn Aneigennützigbeit und Vertraun sie 
gebaut. 
So hab ich auf der Tannenburg erkbannt, 
Daß auch Hessenland — mein Daterlands — 
⸗4 4— —4 
Dom Süchertische der Heimat. 
Gustav Schröer: Der Schulze von Wolfenhagen. Verlag 
Quelle 8 Meyer, Leipzig. 
Auf dem Reuterhos sitzt im oberen Erberstübchen, das über 
den Stettiner Apfelbaum hinweg ins Dorf und auf die Felder 
schaut, ein alter Mann und überblicht sein arbeitsreiches Leben. 
Das beginnt mit dem Tage, da er, sein bleines Erbteil in der 
Tasche, als Pächter ins Doef kommt, in ein heruntergekommenes 
Dors, darin ein verseuchter Brunnen, ein Geldteufel und die Brannt- 
weinpest unsägliches Unheil anrichten. Der Typhusbrunnen wirft 
fast allsommerlich viele Menschen darnieder und nicht wenige von 
ihnen ins Grab; die Branntweinpest bringt so manchen an den 
Bettelstab, und der Geldteufel geht in Gestalt des reichen Mehnert 
„über lauter Blut und Tränen“ und zertritt Glück, Ehre und 
Wohlstand vieler Familien. Wie es Hermann Breiter aus Ort— 
feld mit Hilfe des alten Schulzen anfaßt und gegen das Elend 
angeht, sich langsam durchsetzt, einen nach dem andern den Klauen 
Mehnerts und der Branntweinpest entreißt. die Feldflur verbessert.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.