Auf Heimatwoeqen.
Tannenberg.
VDon Werner Sunkbel, Marburg.
Ich war durch die Khön gewandert und strebte meiner nieder—
—
Morgenstunde hatte ich Salzungen an der Werra verlassen, durch-
querte den weiten Süllingswald und war, als ich nachmittags nach
Hönebach und Schloß Wildeck bam, infolge des weiten Marsches
und des schwülen Wetters doch ziemlich müde geworden. Aber ich
überwand die Erschöpfung durch den festen Enltschluß: ich will heute
noch das Siel meiner Wanderung erreichen, die Jugendherberge
auf der Kuine Tannenberg zwischen meinem Heimatdorfe Sůß
und Nentershausen. Und es gelang. In Nentershausen erfuhr ich,
daß schon zwei jugendliche Wanderer sich auf dem Wege vom Dorf
zur Ruine befänden, und bald hatte ich sie eingeholt. Ich war
aum hundert Schritte mit dem Burschen und dem Mädel gegangen,
jo waren wir (ich täusche mich in meinem ersten Eindruck selten!)
zleich gute Kameraden und das gegenseitige „Du“ eine Selbst-
oerständlichkeit. Die beĩden gehörten einem Jugendverein an, stammten
aus Konshausen und Rotenburg und waren ihren Gefährten voraus—
zeeilt, um die Abendatzung vorzubereiten. Meine hohen Erwartungen,
durch ihre von Tannenberg entworfene Schilderung erregt, wurden
durch die nachher geschaute Wirblichkeit noch bedeutend übertroffen.
Nach viertelstündigem Marsch durch Felder und Wiesen und zuletzt
den steilen bewaldeten Berg hinan betraten wir durch das weite
Tor den rechteckigen Hof der von Baumbach'schen Burg und von
da den nördlichen Flügel des Gebäudes, von einer Waldarbeiter-
frau freundlich begrüßt. Wir stiegen zu dem im oberen Stock
liegenden „Tagesraum“ der Jugendherberge empor, der alles auf-
weist, was junge Wanderer brauchen: neben dem gemauerten Herd
eine Kiste voll Brennholz, das wir nach Belieben im nahen Wald
ergänzten, eine Bank mit Eimern für „Trinkwasser“, „Spülwasser“,
Tisch, Stühle, Schrank, alles eichene Bauernmöbel, einen Galgen
zum Wäjschetrocknen, Wasserbkannen und Waschkübel. In dem
einen Schrankb eine Fülle von Kochgeschirr (Aluminium und hessijche
„Dippercher“), Tellern, Tischbestecken, im andern eine Bücherei
mit unterhalfenden und belehrenden Schriften, Landbarten und
Gesellichaftsspielen. Bilder aus der Umgegend und drollige Scheren⸗
schnitte an den Wänden sowie ein auf dem Tisch stehender Blumen—
strauß grüßten uns beim Eintreten. Die gastlichen Burgleute
jchickten, noch ehe wir uns „angemeldet“ hatten, durch ein Kind
prachtvollen Heidelbeerbuchen; der Kaffee dazu war auch bald fertig,
zumal ein schon sjeit ein paar Tagen hier oben hausender Herbergs—
gast, ein Lehrer aus Bremen, beim Heizen mithalf.
Jetzt Lamen auch die anderen Rotenburger und Ronshäuser,
laut „Heil“ rufend, herein. Mun wurde die Arbeit verteilt: die
Jüngeren besorgten Wasser und Holz und beim Förster, der Herbergs-
oater“ ijt, Kartoffeln, die Erfahreneren zogen mit Eimern ins
Dorf, um nach einer Stunde mit Milch, Eiern, Speck und Sonntags-
Luchen wiederzukommen. Während unsere Gefährtin Eierkuchen
und Kartoffelsalat zubereifete, deckten wir den großen Tisch uͤnd
eichteten in den an den Tagesraum stoßenden Schiafzimmern die
ans Soldatenleben erinnernden zweistöckigen Betten für die Nacht-
euhe her. Als wir, jeder mit seinem Schanzzeug, Messer und Gabel,
ins den leckeren Speisen widmeten, erzählte man von früheren
Tannenberd-Sonnfaqen. und ich borichtefe guch von moinor Sindb-
heit, die ich im nahen Bergmannsdorf Suüß verlebte, nicht weit
on Tannenberg. Als ich verriet, daß auch in Ronshausen ein
Zebannter von mir wohnt, den ich zwar noch nie sah, der mir aber
hon öfters für meine naturbundlichen Studien Tierbeobachtungen
ejchickt hätte, platzte der junge blonde Bursch, mit dem ich vorhin
on Nentershausen zur Burg hinaufgepilgert war, heraus: „Dann
ist du Werner Sunkel und dein Bebannter ist mein Bruder, der
cher mitgekomnen wäre, wenn er das gewußt hätte!“ (Am nächsten
Nontag kam dieser dann noch mit dem Rad auf die Tannenburg,
im mich vor meiner Abreise noch zu treffen.) Jetzt war natürlich
ie Freude über diese alte Beziehung groß, und der Abend verlief
echt gemütlich. Spät sangen wir noch ein paar Lieder, und dann
chliefen wir auf unseren Strohsäcken besser als manchmal daheim
m weichen Bett.
Der Sonntag jsah uns schon früh wieder draußen am Brunnen
ei der Morgenwäsche, in dem halb verfallenen südlichen Flügel
nit der leinen Kapelle, im unbrautüberwucherten Burgverlies und
im waldigen Berghang, wo Jungvolk aus Süß und Bauhaus uns
esuchte. In sonniger und heiterer Natürlichbeit genossen wir den
zonntag, und als abends spät die jungen Menschen wieder kalwärts
panderten, mutig und froh dem Alltag und der Arbeit entgegen,
iefen wir ihnen noch lange „Lebewohl“ und „Auf Wiedersehn“
ach, bis Nacht und Ferne die Worte verschlangen und nur noch
in paar verhallende Jodler das Echo weckten in den Waldbergen,
vo schon die stillen Fledermäuse flatterten und Käuze schricen.
Wie ich empfand auch der Kamerad von der Wasserkante, den
ch am nächsten Morgen nach Wildeck begleitete, daß wir hier
vackere, aufrechte Menschen bennen geleent hatten. Auf der Wald⸗
»urg Tannenberg gibt es beine Unterschiede und soll es beine
zchranben geben der politijchen und religiösen Gesinnung, des Berufs
ind der Abstammung. Tannenberg soll mit jeiner, von dem Nenters
ãuser Arzt Dr. S. mustergiltig geleiteten Jugendherberge eine wahre
ugendburg sein, ein Ort, wo junge Menschen sich bennen, achten
nd verstehen lernen. Die Seiten, wo um die altersgraue Boerg-
este Fürsten und streitbare Kitter fochten, sind vorüber, wir jungen
Tannenberger singen: „Mit uns geht die neue Seit ...“, bämpfen
ũr die Jugend, für Schönheit, Wahrheit und Recht; als Jugend
ühlen wir uns einig, mögen wir sein, wer und was wir woilen,
ind sei unsere Heimat Ost oder West, Nord oder Süd. Allen
annenbergwanderern, auch denen, die aus der Ferne zu uns ins
)essenland Lommen, möge es ergehen wie meinem Bremer Freund
). Blank, den ich hier oben bennen lernte und der ins Nestbuch
er Jugendherberge einschrieb:
Hessenland, du bist schön, doch ich bonnte dich nicht verstehn.
Sprache und Menschen waren mir so unbebannt, daß ich
beine Heimat fand ..
Ich wanderte weiter, die Sonne bam durch,
Alles wurde heiter, ich kam auf die Tannenburg,
Ich sjah das Heim, lernte neue Menschen bennen
.. und voergaß das Weiterrennen.
Die Tannenburg wurde mir so vertraut,
Kein Wunder, wenn Aneigennützigbeit und Vertraun sie
gebaut.
So hab ich auf der Tannenburg erkbannt,
Daß auch Hessenland — mein Daterlands —
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Dom Süchertische der Heimat.
Gustav Schröer: Der Schulze von Wolfenhagen. Verlag
Quelle 8 Meyer, Leipzig.
Auf dem Reuterhos sitzt im oberen Erberstübchen, das über
den Stettiner Apfelbaum hinweg ins Dorf und auf die Felder
schaut, ein alter Mann und überblicht sein arbeitsreiches Leben.
Das beginnt mit dem Tage, da er, sein bleines Erbteil in der
Tasche, als Pächter ins Doef kommt, in ein heruntergekommenes
Dors, darin ein verseuchter Brunnen, ein Geldteufel und die Brannt-
weinpest unsägliches Unheil anrichten. Der Typhusbrunnen wirft
fast allsommerlich viele Menschen darnieder und nicht wenige von
ihnen ins Grab; die Branntweinpest bringt so manchen an den
Bettelstab, und der Geldteufel geht in Gestalt des reichen Mehnert
„über lauter Blut und Tränen“ und zertritt Glück, Ehre und
Wohlstand vieler Familien. Wie es Hermann Breiter aus Ort—
feld mit Hilfe des alten Schulzen anfaßt und gegen das Elend
angeht, sich langsam durchsetzt, einen nach dem andern den Klauen
Mehnerts und der Branntweinpest entreißt. die Feldflur verbessert.