Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

überschaute; auf beiden Seiten schon tauchten schwarze Klippen 
über die Oberfläche der See, an ein Anbrassen ) der Kahen) 
war daher nicht zu denben. Mit übermenschlicher Anstrengung 
wurde der beste Anker in unglaublich burzer Seit zum Fallen 
fertig gemacht, und da man beim Loten sich bereits in 41/, 
Faden Wasser befand, wurde der Anbker fallen gelassen, um 
den Anbruch des Tages zu erwarten. So waren wir denn 
augenblicklicher Gefahr entronnen. Doch wer wußte, was uns 
der Morgen bringen würde. Wir bonnten deutlich die Feuer 
und Fackeln der Araber an der Küste unterscheiden, die uns 
jedenfalls bemerkt hatten, und was würde unser Schichksal 
gewesen sein, wenn wir an dieser unwirtbaren Küste gescheitert 
wären! 
Bei Tagesanbruch fanden wir, daß wir in einer Art 
Becken zu Anber lagen, ringsum Klippen, doch vom Strande 
noch ziemlich entfernt. Wie wir da glücklich eingelaufen, ohne 
an einer der vielen Klippen zu zerschellen, war ein Wunder. 
VDor allem wurde ein Boot ausgesetzt, um eine Straße durch 
die Klippen für unser Schiff auszupeilen)). Der Ober— 
steuermann und vier WMann bestiegen dasselbe, und mit großer 
Mühe gelang es endlich, einen Ausweg zu entdecken. Der 
Untersteuermann bekam darauf den Befehl, genau den Ordern 
des Obersteuermanns zu folgen, der mit dem Boote dem Schifjj 
vorausfuhr und den Weg zeigte. Der Kapitän spielte beim 
ganzen Manöver einen untätigen Suschauer und war unter 
die Aufsicht des Stuarts) gestellt, um ihn von weiterem 
mis-hiefꝰ) abzuhalten. Ehe die Dunkbelheit eintrat, waren 
wir frei von den Klippen und steuerten mit günstigem Winde 
unserem Bestimmungsort zu, den wir am anderen Tage 
erreichten. Nachdem wir unsere Kohlen gelöscht und uns mit 
Ballast versehen, segelten wir nach Abhalo (P) und von da 
mit einer Ladung Reis nach Antwerpen. Da die Leiden- 
schaft des Kapitäns von Tag zu Tag zunahm und derselbe 
oft halb wahnsinnig wurde, beschloß die Mannschaft, die 
Führung des Schiffes dem Obersteuermann allein zu über— 
tragen und den Kapitän in Eisen zu legen. Der Erstere 
übernahm die Führung, auf seine Bitten wurde der Kapitän 
aber nach einigen Tagen seiner Eisen wieder entledigt und 
als Passagier behandelt. Beim Amsegeln des Kaps hatten 
wir furchtbares Wetter zu bestehen, und wir kbonnten froh 
sein, einen Mann von den Fähigkeiten des von uns selbst 
gewählten Kapitäns an Bord zu haben. Der Sturm endigte 
orbanartig, wir verloren sämtliche Stangen und Segel, und 
es war nach einem Orkan, den ich in späteren Jahren auf 
der amerikanischen Warine bestanden habe, das schwerste 
Unwetter, das ich je auf See bestanden. Glücklicherweise 
waren wir gut mit Segeln und Stangen versehen, so daß 
wir Kapstadt vorbei segeln KLonnten. Da aber unser Wasser— 
vorrat sowie das Brot zu Ende gingen, liefen wir St. Helena!o) 
an. Nach einigen Tagen Aufenthalt, an denen es mir aber leider 
nicht vergönnt war, das Land zu besuchen, verließen wir die 
Insel und gelangten nach einigen Monaten glücklich nach 
Antwerpen, wo wir alle unsere Entlassung nahmen. 
Kaum zehn Tage an Land gewesen, engagierte ich mich 
mit mehreren meiner alten Schiffsbameraden auf einen großen 
englijchen Schoner the Harriet!“t) für eine Keise nach 
Konstantinopel. The Harriet gehörte nach Brixham??), und 
es war bestimmt, im Vorbeifahren dort anzulaufen, da der 
Sohn des Keeders die Stelle unseres Kapitäns einnehmen 
sollte. Wir segelten mit gutem Winde ab, doch im Kanal 
steigerte sich die Brise zum steifen Nordoster, so daß mit— 
segelnde Schiffe es für gut fanden, die leichten Segel nebst 
5) Einziehen der Segel durch Brassen (Seile). 9) Segelstangen quer am Mast 
) mit dem Senkblei auszumessen. 5 Stuart, Steward — Aufwärter. “) Unheil 
iüö) Insel im Atlantijchen Ozean, bekannt als Aufenthaltsort Napolens J. 1) Die 
Henriette. ) an der engdlischen Kanalküste 
Leesegel einzuziehen und sogar ein Keff in die Macrssegel 
z stecken. Anser Kapitän hatte indessen beine Lust, wie es 
chien, Segel zu kürzen, und ließ sämtliche Segel stehen, bis 
ein plötzlicher Windstoß uns des Einnehmens der Leesegel 
iberhob, indem die Spiere!8) brach und die Segel fortflogen. 
Unser Royal!9) (7) mit der Stange folgte bald nach, doch 
»ewog dies den Kapitän nicht, irgend ein anderes Segel 
vegzunehmen oder gar zu reffen. Während der ersten Wache, 
die der Steuermann hatte, waren wir in die Baĩ von Torquai 10) 
ꝛingelaufen, und derselbe hatte alle Segel bis auf Großsegel, 
Klüver und Marssegel eingenommen und festmachen lassen. 
Um Mitternacht kam meine Wache, des Kapitäns Wache, 
an Deck. Es war eine häßliche, stürmische Novembernacht, 
und nur für Augenblicke ließ der Mond sein Licht durch die 
vildjagenden zerrissenen Wolken sehen. Ich befand mich auf 
dem Lookout60). Als wir ungefähr eine halbe Stunde an 
Deck gewesen, bemerkte ich das Land rechts voraus und 
aportete dieses sofort dem Kapitän, derselbe sandte mich mit 
der Weisung nach vorn, nur scharf auszusehen, wir würden 
zgleich über Stag!7) gehen. Ich begab mich zurück auf 
neinen Posten, wartete aber vergeblich auf die Order zum 
Venden. Wir näherten uns dem Lande schnell, und schon 
niach kurzer Seit bLonnte ich das Donnern der Brandung 
»ören. Ich meldete sofort breakers ahead!sS), und nun end— 
ich gab der Kapitän Order zum Wenden. Allein es war 
zu spät. Das Schiff war bereits in der Dünung und versagte 
die Wendung, nach einigen Augenblicken stieß es mit großer 
Hewalt. Wir bamen z3war wieder flott, hatten aber das 
Kuder verloren. Anser Schicksal war daher in wenigen 
Sebunden entschieden, wir wurden Breitseit an den steinigen 
Strand geworfen, ungefähr 21/, Meilen von Brixham, dessen 
eichter wir deutlich sehen Lonnten. Es entstand nun für eine 
ʒeitlang eine große Verwirrung an Bord, die Backbordwache 
am beim ersten Stoß nur mit ihren Anterbleidern bebleidet 
in Deck gestürzt, der Kapitän hatte den Kopf verloren, der 
Steuermann, aus Brixham gebürtig, jammerte, so nahe seiner 
hHeimat noch umbommen zu müssen. Mein Kamerad und ich 
varen ziemlich ruhig, indem wir uns auf unsere ziemlich 
edeutende Fertigkeit im Schwimmen verließen und das feste 
Land nur eine Seemeile entfernt war. 
Machdem sich der erste Schrecken gelegt, machten wir den 
HDersuch, unser einziges Boot auszusetzen, allein dasselbe 
zerschellte, als es noch in den Tabeln hing. Bei dieser Seit 
par der Tag angebrochen, und der Strand wimmelte von 
Menschen, das lifeboat!9) machte einen Dersuch, zu uns zu 
jelangen, bonnte uns aber wegen des hohen Seeganges nicht 
ꝛrreichen. Die See spülte über das Schiff und riß alle 
Schanzen und Gegenstände von Deck ab, und bald folgten 
ruch die Masten. Gegen MAbend ließ zu unserem Glück das 
Vetter nach, und nach achtzehn qualvollen Stunden wurden 
vpir gerettet, hatten aber natürlich alle unsere Effebten?0) 
ꝛingebüßt. Dieser AUnfall kühlte ein wenig (mneine Vorliebe?7)29) 
ür englische Schiffe ab, ich begab mich nach Plymouth und 
egelte von da nach Boston. Von diesem Platze machte ich 
iun verschiedene Keisen als Matrose, teils nach Westindien. 
eils nach Europa. 
Schon lange waren meine Brüder in jedem ihrer Briefe 
in mich gedrungen, eine Navbigationsschule??) zu besuchen, um 
nir ein besseres Fortkommen auf der gewählten Bahn zu 
uchen. Ich bam daher der Aufforderung nach und machte 
einen vollständigen Kursus in der Hamburger Schule durch. 
üÜber den Erfolg gibt mein Seugnis Nachricht. Da aber 
18) Segelstange. 199 ein großes Segel. 6) an der englischen Kanalküste. 
6) Lugaus. 1) Stag — den Mast vorn festhaltendes Tau, über Stag gehen — die 
Kichtung ändern. 8) Kiffe voraus! ) Rettungsboot. 20) Habseligkeiten. 2) ergänzt. 
weil unleserlich. *) Seefahrtschule
	        
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