Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Auch war zu Philipps des Großmütigen Seiten ein Gestüt hier 
untergebracht. 
Nach wohltuender Rast geht es talauf dem Kehrenbach ent 
gegen. Im Wald am Totenrain scheiden die Melsunger von dem 
großen Schwarm, der über Quentel zum Söhre-Bahnhof Wellerode 
trebt. Der Melsunger Wandertrupp folgt dem uralten Sälzerweg, 
einem Höhenweg, von Sooden nach Frankbenberg führend. Fern 
grüßt der Alheimer. Dunkle Schneisen zwischen hohen Tannen 
geben oft entzückende Durchblicke auf farbensprühende Buchen- 
wipfel im Abendsonnenlicht. Aus stillem Abenoͤtal winkt Kirchhof 
erauf. Der „Ellerpfad“, der von Kirchhof nach Schwarzenberg 
ührt, wird überschriftten. Er erinnert daran, daß beide Dörfer 
n früheren Seiten eine gemeinsame Born-Eller hatten. die diesen 
Weg ging. 
Uber den jenseitigen Höhen neigt sich die Sonne zum Anter- 
zang. „Goldne Abendsonne, wie bist du so schön!“ blingt es 
inhörbar in der Seele auf. Im Tale dämmert die Stadt. Nur 
die Wasser über dem Wehr schimmern noch vom Glanz des ver— 
unkbenen schönen Tages. der randvoll war vom „goldnen Überfluß 
der Welt“. 
— 
VDom Pulsschlag der Heimat. 
Homberger Bibelausstellung in der Wie, Der Schulze vonWolfenhagen“ 
KReformationswoche. über die Heimat denkt.“ 
ODon Gustav Schröer. 
Man redet in den Büchern soviel von der Heimat. Garnichts 
edeutet sie, wenn einer nichts weiter weiß, als daß er hier jung 
jewesjen ist. Das hält ihn auf die Dauer nicht fest. Er gibi sie 
ran und denkt an sie, wenn es hoch bommt. 
Das aber hält fest, wenn einer immer nachdenblich oder in 
eller Freude, je nachdem, über sein Feld gehn muß, wenn Busch 
ind Baum reden, wenn die alten Gemäuer ihre Stimme erheben 
ind die alten Feldmarken erzählen. Ich habe es mir so zurecht 
jelegt; Bewußt muß man über die Heimaterde gehn und muß aus 
hr nicht bloß schöne Geschichten und wehmütige Erinnerungen ver 
iehmen, sondern es muß etwas ganz Starkes vor einem aufsteigen. 
Fine Stimme muß kbommen, so stark wie die der größten Glocke 
m Lande: Wie du mit deinen Bätern rechten würdest, wären sie 
chlechte Wirte und Haushalter gewesen, so werden einst die mit 
ir rechten, die nach dir kommen, wenn du nicht kust, wie du tun 
nußt. — Kein stärker Mahnen darf auf den Menschen zukommen 
ils das aus der Heimaterde, bein schönerer Stoliz darf ihm im 
herzen wohnen als der auf jeine Däter, beine größere Verant- 
vortfung darf er bennen als die vor seinen Kindern. 
So muß die Heimat reden. und kut sie das. dann ist sie lebendig 
ind hält fest. 
Weh dem, der vor seinem Felde an die harten Taler denkt. 
veh dem, dem die Heimat nicht Feierstunden bereitet, in denen er 
den Herrgott an der Hand hält! — 
Die Heimat ist ein Wegweiser und weist hinaus ins VDaterland. 
Ver beine Heimat hat, der bann bein Daterland haben. — 
Wenn du ein Kerl bist, der was kann. dann laß dir deine 
deimat nicht zu gering sein. — 
Nun bin ich fünfundsiebzig Jahre und habe die bösen Jahre. 
die beiner für möglich gehalten, noch erleben müssen. Eines tu ich 
iun nicht: Ich lasse den Kopf nicht hängen. Wozu hätte ich denn 
oviel gelesen, gelernt und geredet von der Heimat? Haben unsere 
däter nicht gauch schwere Seiten gehabt und sind damit fertig 
jeworden? Das eben ist es ja, was die Heimat gibt. Ein Bei— 
piel gibt sie uns und lehrt uns. auch unsoror Kraft etwas zuzu— 
rauen. — 
Ansere Dörfer, unsere Dörfer! Was Schöneres gibt es auf 
der Gotteswelt nicht wieder. Sowas von Frieden und Tüchtigkeit 
ind geruhsamer Kraft und Herzenseinfalt. Wer uns den Geist 
er Unruhe in unsere Dörfer trägt, der müßte ersäuft werden, da, 
vo das Meer am tiefsten ist. Wenn ich den Kopf aus dem Fenster 
tecke und die Nase links wende, dann sehe ich den Gottesacker. 
)er hat schon immer was Trauliches gehabt. Seit wir aber die 
ebensbäume pflanzten und die acht Hängebirben und die drei 
Zänke aufstellten, ist er richtig zum Garten geworden. Es sollte 
bas Grausliches haben, da in der Erde zu schlafen? Der Gedanke 
st mie nie gekommen. Ich sehne mich nicht danach, hinzukommen, 
ber wenn das mal soweit ist, dann, denke ich, ist es grade so, als 
venn meine Mutter sagte: Nun, mein Junge, wollen wie schlafen gehm! 
Es ist in den bösen Jahren vieles anders geworden. Macht 
insere Abende auf dem Anger wieder lebendig. Das gibt 
Susammenhalt. und mir ist der qute Mensch mehr wert als der 
Iuge. 
Gott helse unseren Bauern zu rechten Freunden. Gegen ihre 
feinde wehren sie sich schon. Er helfe ihnen zu rechten Freunden. 
zu solchen, die sie so lieb haben, daß sie ihnen die Wahrheit sagen, 
ind daß sie erhalten, was unseres Bauerntums Kern immer gewesen 
jt: Schlichtheit undrein fromm Gemũt. 
*) Aus dem Koman „Der Schulze von Wolfenhagen“ (Oerlag: Quelle und 
Moeherꝰ 
Von Heinrich Ruppel. 
Gute Gedanben werden in stillen Stunden geboren. Und 
zweifellos war's ein guter Gedanbe, das diesjährige Keformations- 
jest mit dem vierhundertjährigen Gedenbtag der Lutherbibel zu 
berbnüpfen und durch eine Ausstellung alter Bibeln und Andacht- 
dũcher zu feiern. Vorerst war die Sammlung im Homberger 
Seminar nur für Anterrichtszwecke gedacht; die Seminarijten sollten 
durch die Anschauung „die Entstehung und Verbreitung der Luther⸗ 
bibel und ihre Bedeutung für das religiöse, kirchliche und kulturelle 
Leben unserer engeren Heimat“ bennen lernen. Aber dann, da 
die Sammlung so viel ungeahnte Schätze aus der Verborgenheit 
ans Licht brachte, durfte und wollte man sie auch der reiferen 
Schuljugend wie dem Volke überhaupt nicht vorenthalten. Und so 
war in der Reformationswoche die Aula des Seminars das Siel 
oieler Bejucher aus Dorf und Stadt, wie ja auch Dorf und Stadt 
in gleicher Weise ihre bostbaren Bücherschätze beigesteuert hatten 
Zunächst mag der Blick des Eintretenden wohl über die sieben 
weißgedeckten, bücherbeladenen Tafeln hinweg gegangen sein, um 
die Bilder der Reformatoren zu grüßen und dann auf den langen 
Keihen durch Alter und Inhalt geheiligter Schriften zu verweilen. 
Da ließ sich der ernste Betrachter festhalten von einer hebräischen 
Pergamentrolle mit dem Buche Esther, und es fiel ihm ein, daß 
es solche Schriftrollen waren, die Jejus in seinen Händen gehalten 
hat. NReben der Bibel in ihren Ursprachen (hebräisch, aramäisch und 
greiechisch) lagen die Septuaginta und die VDulgata. Alles ver— 
borgene Schätze für das deutsche Volb, verborgen und ungenutzt 
bis der große Schatzgräber Luther bkam und das rechte Wort fand, 
sie zu erschließen und auszumünzen. Das hat er getan. Vor uns 
reiht sich Lutherbibel an Lutherbibel, daß einen stfaunende Freude 
ankommt. Der ältesten der Sammlung, einem Folianten von 16017, 
schließen sich andere an, groß und blein im Format, prächtig und 
jchlicht im Einband, gut erhalten und abgegriffen, je nachdem, ob 
alt oder neu. Sie reden, diese Bücher, unhörbar, aber ein- 
dringlich. Denn sie haben ihre Schicksale gehabt, wie die biblischen 
Menschen sie hatten und unsere Väter in Notzeit, die sich an diesen 
Schriften erbauten. Da liegt die Hugenottenbibel der französisjchen 
Kolonie Franbenhain bei Treysa, vielleicht das einzige Gut, das 
die Vertriebenen in die Fremde mitnehmen bonnten und wollten. 
Sie vergaßen das Beste nicht. Und da lesen wir in einer anderen, 
daß Johannes Kavior, der wie Abraham ausging von Vaterland 
und Freundschaft um seines Glaubens willen und in Hessen eine 
neue Heimat fand, sich als erstes eine deutsche Bibel Laufte. Da 
hinein schrieb er die Namen jeiner Eltern und Taufpaten und fügte 
hinzu „der Keligion Halben Verdeiben nach Hoffegeismar im 
Hessenlandt und da das Erstemahl Commene Sieret vor Heren 
Parr Klemand, frantzösische Parr, und daselbst das schumacher 
Handt Werck gelernet Bey meister Henrich Kommor schumacher 
in Hoffegeismar“. Vor diesen Büchern werden die gottsjuchenden 
Seelen der Väter wieder lebendig. Alte und neue Bilderbibeln, 
auch Schwälmer Bibeln mit roten Herzen und bunten Sternen 
auf den Buchdeckeln heißen länger verweilen. Andacht-, Gebet— 
und Gesangbücher sowie eine Blindenbibel vervollständigen die 
Sammlung, die weit über 400 Bücher umfaßt, alle nur auf der 
Heimatscholle gesammelt, d. h. in den Kreisen Homberg und 
Siegenhain. Wer hätte gedacht, daß die Heimat noch so reich 
daran seil Das stille Vertiefen der vielen Besucher in die alten 
Folianten mag dem Veranstalter Prorebtor Dr. Körber und seinen 
jungen Helfern Dank und Lohn für alle Mühe gewesen sein. Und 
wenn in dieser wüsten Seit manch eine Seele wieder wortlose 
Ehrfurcht vor diesen Bücherschätzen und Sehnsucht nach den 
„Lebensquellen des inneren Menschen“ empfunden hat. so ist damit 
das Beste gewonnen
	        
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