bei dem ich auch Kost und Logis bebam, gestellt wurde, so
bonnte es doch unter diesen veränderten Umständen nicht fehlen,
daß in mir eine größere Selbständigkeit des Charabters zur
ascheren Ausbildung kam, die vielleicht durch eine sorgsamere
Leitung in heilsamere Bahnen hätte gelenkt werden bönnen.
Denn wenn ich in Cassel für einen bescheidenen und fleißigen
Schüler galt, so wurde ich in Kinteln bald für einen solchen
bekannt, der zu allerhand losen Streichen geneigt sei.
So weiß ich mich unter anderem zu erinnern, daß ich im
Oerein mit Gleichgesinnken in einer Nacht bei großem Schnee⸗
fall eine enge Straße Kintelns auf beiden Seiten durch mächtige
Schneemauern völlig absperrte.
Der unausbleibliche Erfolg solcher Streiche war, daß bald
in Kinteln nichts Derartiges mehr passierte, ohne daß man
in mir den Arheber vermutete, jselbst dann, wenn ich völlig
unbeteiligt war und ruhig an meiner Arbeit gesessen hatte.
Auch allerhand Verdrießlichkeiten mit den Lehrern blieben
nicht aus. Doch kann ich mit gutem Gewissen sagen, daß
ich niemals etwas ausgeführt habe, das mir die Mißachtung
der Menschen zugezogen oder infolge dessen mir nur jemand
ernstlich gezürnt hätte. Auch bestrebte ich mich stets, in Be—
ziehung auf Fleiß und Kenntnis unter den ersten der Gymnasial-
schüler zu sein, was auch meine Seugnisse stets bestätigt haben.
Meine Aussichten auf ein gutes Maturitätsexamen waren
hiernach ungetrübt. Aber in dieser Seit war es, wo eine
bald ins Anwiderstehliche wachsende Neigung zum Soeleben
in mir entstand.
Mein Vormund und meine älteren Brüder boten alles
auf, um mich von dieser Idee abzubringen und mich zu bewegen,
das Studium der Kechte, wozu man mich bestimmt hatte,
nicht aufzugeben. Allein je mehr man mir zu beweisen suchte,
wie unsinnig es sei, ein unruhiges, mühe- und gefahrvolles
Leben einer gesicherten, ehrenvollen Laufbahn vorzuziehen,
um so mehr wuchs meine Abneigung vor aller Kechtsgelehrt
heit, mein Verlangen nach Seefahrten. Die Meinigen gaben
endlich nach, und man ließ mich, leidlich equipiert und mit
einigen Empfehlungen versehen, zur Derfolgung meines Swoecks
die Keise nach Bremen antreten.
Meinen ersten ODersuch zur See machte ich mit einer Brigg,
deren Heimathafen in Kapstadt war. Sie war nach San
Francisco bestimmt, hatte eine Mannschaft von 12 Mann,
alle gezählt, und war eine feine, scharf gebaute und daher
—
in der Kajüte, die ihr Glück im Goldlande versuchen wollten.
Der Anfang der Keise war nicht günstig, anhaltender heftiger
westlicher Wind, der sich bald zum Sturm steigerte, hemmte
unseren Fortgang. Mir, der zuvor nie ein Schiff gesehen hatte,
war natürlich alles im höchsten Grade ungewohnt und neu,
doch blieb ich von der Hauptplage jedes Anbefahrenen, der
Seebrankheit, glücklich befreit. Nach mehrwöchentlichem Kreuzen
erreichten wir endlich den Atlantischen Ozean, und fort ging
es nun mit günstiger Gelegenheit unserer Bestimmung zu.
Don schönem Wetter begünstigt, erreichten wir bald den
Pasjatwind und kreuzten die Linie.?)
Doch ich sollte bald auch die Schattenseiten des Secelebens
lennen lernen. Wir erreichten nämlich die Gegend von Kap
Horn Mitte Juni, also recht mitten im Winter. Die Kälte
war entjetzlich. Das ganze Schiff schien aus Krystall gemacht.
Der Wind war uns immer gerade entgegen und so heftig,
daß wir meist beigedreht liegen mußten. Es war daher
Lein Wunder, als der Kapitän eines Sonntags uns sagte,
daß wir bereits 61 Grad Güdbreite überschritten hätten, alsjo
bolle 10 Grad südlich von Kav Horn wären. Endlich. nachdem
Aauafor
vir uns über zwei Monate in der Kälte herumgetrieben und
nit der bergehohen See gekbämpft, bebamen wir günstigen
Vind und gelangten bereits in 12 Tagen wieder in ein
ommerliches Klima. Ohne eigentliche Geschäfte lief der Kapitän
doch in Dalparaiso ein, teils um der erschöpften Mannschaft
ꝛine leine Rast zu gönnen, teils um einige frische Propisionen?)
inzujchaffen. Dalparaiso war einige Seit vorher durch ein
Erdbeben heimgesucht und ein großer Teil der Stadt lag
rioch in Trümmern. Nach achttägigem Aufenthalt verließen
vir den Hafen und erreichten ohne bemerkenswertes Ereignis
die Bai von San Francisco, 201 Tage nach unserer Abreise
»on Bremerhaven. Die Hälfte der Wannschaft deserktierte
ofort die erste Nacht; um fernerem Desertieren vorzubeugen,
ielten die Steuerleute mit geladener Büchse Wache, doch
»alf es nicht, da die Leute von bis an die Sähne bewaffneter
Nännern von Bord geholt wurden und Widerstand daher
ergeblich gewesen jsein würde. Da der Kapitän beine Mann-
chaft bekommen bonnte, an Bord daher nichts zu tun war,
enutzte ich die Seit, San Francisco und Umgegend mir ein
venig anzusehen. Eine ausführliche Beschreibung der Stadt,
hrer Bewohner, und deren unruhigem, vom Leben in einer
uropäischen Stadt so verschiedenen Treiben würde hier nicht
im Platze sein, deshalb will ich nur mit wenigen Worten
meine dortigen Eindrücke schildern.
San Francisco war damals noch in den ersten Phasen
einer Entwicklung. Die Stadt war schon groß, bestand aber
iur aus bleinen hölzernen, zum Teil barackenartigen Häusern;
die Straßen waren anstatt des Pflasters mit Brettern belegt.
die Ansicherheit war derart, daß man beinem Mann —
Kinder und Frauen sah man überhaupt nicht — begegnete,
er nicht mit Kevolver und Messer bewaffnet war. Die Polizei,
eren Abwesenheit mir als gutem Deutjschen besonders auffiel,
chien ihre Tätigkeit darauf zu beschränken, an jedem Morgen
die Ermordeten auf den Straßen aufheben und auf Karren
vegfahren zu lassen; auf frischer Tat ergriffene Verbrecher
aber, namentlich Diebe, wurden auf der Stelle gelyncht.
Lebensmittel standen in enormem Preije, entsprechend
»och aber auch der Arbeitslohn, so daß, wer sein schmußziiges
Hemd wechseln wollte, sich wohl ein neues baufte und das
ilte wegwarf, weil das Waschen des alten Hamdas so viel
rostete als ein neues.
Einen eigentümlichen Eindruck machten die zahlreichen
zroßen Spielhäuser, in denen ich oft Goldmassen, die ein
Hermögen repräsentierten, gewinnen und verlieren sah wie
»ei uns Kupfermünzen. Freilich mußte auch mancher glückliche
Hewinner auf dem Heimweg seinen Gewinn mit dem Leben
assen, denn es gab Strolche genug, die auf diesem kürzeren
Wage die unsicheren Chancen des Glückes vermeiden wollten.
Im ganzen war ich froh, daß es nach zwei Monaten
endlich unserm Kapitän gelang, gegen ungeheuer hohe Gage
Mannschaft zu bekommen. Wir segelten darauf, um Fracht
u suchen, erst nach San Blas9, dann nach Matanzas. Hier
hesertierten bereits wieder zwei Matrosen, doch wir segelten,
hne diejelben zu ergänzen, nach Chapalla, wohin wir beordert
varen, um eine Ladung Holz einzunehmen nach Europa,
Falmouth o) vor Order. Muf dieser Keise hatten wir viel zu
eiden; schon mit unvollzähliger Besatzung abgesegelt, sollten
vir bald noch mehr geschwächt werden durch den Skorbut,
on dem nur der Kapitän uͤnd der zweite Steuermann gänzlich
erschont blieben. Am leidendsten war der Obersteuermann,
ind wir hatten mehrfach die Hoffnung für sein Leben auf—
jeaeben. Der Kapitän tat alles, was in jeinen Kräften stand.
es Vyrraie PRan der Westküste Mexilos. 5) enqlische Stadt am Westeingang