Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

wieder nach seiner Mutter sah, da war sie entschlafen; die 
Engel hatten sie hinübergetragen in Abrahams Schoß. 
Nun lebte der Mann ganz einsam, die Kinder hielten 
sich fern, da das Spiel seiner Geige nach dem Tode der 
alten Frau verstummt war. 
Da — eines Abends hörten sie wieder die wunder— 
schönen Laute so lieblich und so zart, wie sie dieselben niemals 
zuvor vernommen hatten. Die Töne blangen so lockend und 
einladend, daß die Kinder es nicht unterlassen bonnten zu 
folgen. Der Mann hieß sie wieder freundlich willkommen 
und spielte ihnen unermüdlich vor. 
DAber unter dem Fenster hatten sich noch andere Suhörer 
eingefunden, Leute, die tiefbetrübten Herzens auf dem Fried- 
hof gewesen waren, um ein geliebtes Grab zu besuchen, den 
Hügel zu schmücken und dort zu beten. Die Töne, welche 
aus dem Dachbämmerlein zu ihnen herabschwebten, schienen 
ein Gruß aus Himmelshöhen zu sein: 
„Tröste dich in deinem Leide, 
Schau zum Himmelszelt hinauf; 
Deoben winbt die ew'ge Freude 
Nach des Lebens schwerem Lauf 
Mag der Erde Glück zergehn, 
Deroben dibts ein Wiedersehn.“ 
Und die da unten lauschten, empfanden wundersame 
Tröstung aus der Kraft der lieblichen Töne. 
Jeden Abend bamen sie wieder, die Betrübten, unter 
das Fenster des einsamen Mannes und schöpften himmlischen 
Trost aus den Klängen, welche er seiner Geige entlockte. 
Es war für ihn selbst die größte Freude in seiner Einsambeit, 
penn er sah, wie viele Herzen er durch sein Spiel aufgö- 
richtet und mit himmlischer Freude erfüllt hatte. 
Eines Morgens aber fand man ihn entschlummert in 
einem Bette liegen, still und bleich; ein wunderbarer Friede 
glänzte auf seinem Angesicht. Die Geige hatte er für seinen 
ungen Freund Wartin bestimmt. 
Der Kleine lernte das Spielen auf der Geige mit seltener 
deichtigkeit. Wenn seine noch zarte Hand den Bogen mit 
Kraft, Sicherheit und Schönheit führte, dann war es bald, 
als ob das Meer brauste mit seinen mächtigen Wogen, 
bald aber, als wenn ein sanfter Windhauch in den Blättern 
spielte. Groß und blein versammelte sich um den Spieler, 
und wer betrübten Sinnes gekbommen, war seines Leides 
ledig; die Töne gossen Friede in das bekümmerte Herz, das 
auf unsichtbaren Schwingen über den Erdenschmerz erhoben 
wurde. 
Im Slätterfallen õ 
Von Adolf Häger. 
Am Rande der Stadt dehnt sich ein weiter Park mit 
sonnenfrohen Bäumen und sammetdunblen Kasenflächen. 
Zur Stunde ist es so still dort, daß man das spröde Auf— 
fallen der bunten Blätter hört. NAus den Baumkbkuppeln, 
die golden in der Morgensonne prunbken, fallen sie mũde 
herunter in den schattendunklen Kasen, immerzu. immer⸗ 
zu ... 
Da kommen durch die Stille des Parks drei Mädchen 
gespeungen — blond, braun und schwarz von Haaren. Ihr 
klingendes Lachen scheucht die feierliche Trauer der Stunde, 
daß sie erschrocken seitab flieht. Sie haschen jauchzend die 
Siätter aus der Luft und flechten sie zum bunten Kranze. 
Hell flammt der Purpur des Herbstes im blonden, braunen 
und schwarzen Haare. 
Sie sehen nur den Purpurmantel des Herbstes und 
wissen nichts von dem kalten Gerippe darunter, das jeine 
Falten nur schlecht verhüllen. — — 
Ein junges Paar bommt den blätterbunten Weg daher. 
Ein Windstoß läßt die Blätter fallen wie ein Schwarm 
hunter Vögel. Die Liebenden schauen zu dem geplünderten 
Baume auf, wo erste bahle Aste hart vor dem mabellosen 
Slau des Herbsthimmels stehen. 
Er sagt: „Schau Liebste, siehst du die braunen Knospen 
an den Sweigen? Wenn diese Knospen Blätter treiben. 
bist du mein fürs Leben!“ 
Mit einem wundersamen Lächeln schaut das junge Weib 
hinauf und bricht einen Sweig. 
„Ich will ihn an mein sonnigstes Fenster stellen. Diel⸗ 
leicht brechen seine Knospen noch früher auf, mein Liebster!“ 
Da preßt er in jäher Freude ihren Arm, daß sie das 
erglühende Gesicht abwendet; aber das tiefe Leuchten bleibt 
in den Mädchenaugen. 
Sie schreiten weiter durch den Herbst, wie durch ein 
dunkles Tor, dahinter offen das lachende Leben liegt. — — 
Ein Gréis kommt langsam am Stocke daher. Schon 
»üllt die alten gebückten Schultern der schwarze, schwere 
Wintermantel. So tritt er unter den goldenen Baum, wo 
Sonne wie ein Sturzbad durchs Laubwerkb fällt. Blätter 
iberriejeln seinen Hut und Mantel. Wie in Demut steht 
der Greis. Alles Leuchten ringsum trinkben seine alten 
Augen ein. Schmerzlich nickt er mit dem weißen Haupt. 
— Sieht es ihn auch zur Erde, wie die welben Blätter? 
Müde biegt er in den schmalen Weg, der schon tief im 
Schatten liegt . 
Auf Heimatwegen. 
Die Gartenkunst in ihrer Anwendung 
auf ältere hessische Anlagen. 
ODon Ernst Wenzel, Magdeburg. 
Linie liegen mit dem Schloß die große Hauptallee und zwei von 
Alleen begleitete Wassergräben, der Hirschgraben und der Küchen- 
graben. Die Hauptallee führt sodann um, das mehrfach regulär 
usgebuchtete Bassin mit dem reizvollen Pavillon auf der Schwanen- 
injel im FPoint de vue des Schlosses. Französischer Einfluß ist unver- 
jennbar, der Landgraf hatte seinen Gartenentwurf auch dem großen 
denötre zur Begutachtung eingesandt. 
AUnter Landgraf Karls Nachfolger erfuhr die Anlage manche 
Oeränderung. So entstand in Ansehnung an den Auepark der 
Harten des Prinzen Maximilian und am Bergabhang unter der 
Sellevue der Prinz Georgengarten mit seinen schonen Terrassen- 
inlagen, bei dem Schloß das Marmorbad und als Pendant, der 
Züchenpavillon. Das in französisch-holländijchem Stil gehaltene 
Darterte vor der Orangerie mußte der großen Rajsenfläche des 
Sowlinggreens weichen, als Landgraf Wilhelm IX. der spätere erste 
Kurfürst, den Park in einen englischen Garten umwandelte. 
Des Landgrafen Schöpfungen auf dem Karlsberg gehen unzweijel ⸗ 
haft auf italienische Vorbiider zurück. Unter dem Eindruck seiner 
(Fortietkung und Schluß.) 
Dem Landgrafen Karl war es vorbehalten, die schon beschriebenen 
Anlagen in der Aue und am Weißenstein zu erweitern und zu 
höchster Vollendung zu bringen. Im Anschluß an den Garten in 
der Aue schuf er 1151 das Orangerie-Schloß und in Verbindung 
damit den unvbergleichlichen Aueparb. Sentralpunbt der gesamten 
Anlage des Aueparkes ist der Mittelpavillon des als Sommer- 
resideñnz ausersehenen Orangerie-Schlosses. Von ihm aus blickt 
man über die Terrasse mit den schönen Figuren und Blumenkörben 
auf der Balustrade auf das ausgedehnte, von Statuen umgebene 
Sowlinggreen, das frũher zierliche Blumenparterres teug, wie auch 
solche in der Vordue hinter dem Schlosse lagen. In der geradon
	        
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