Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Die Mutter aber und Karl dachten, sie weine wegen des 
Toten und trösteten sie. Sie weinte dann um so mehr, denn 
sie fühlte nun noch heftiger, daß sie in ihrem Herzen schon 
längst des Toten vergessen hatte. daß die geschworene Treue 
gebrochen war. 
Als es dann einst ein Tag mit sich brachte, daß Karls 
Mund sich auftat, da gestand sie auch ihm: „Ich habe dich gern.“ 
So gingen sie fortan nebeneinander wie ein Brautpaar. Die 
Leute in Armenseelen aber sagten alle, so sei es gut und richtig. 
Im Mai des Jahres Siebzehn, fast drei Jahre nach der 
Todesnachricht, kam aus Kußland ein Brief, in dem Wilhelm 
anzeigte, er sei am Leben und gefangen, sonst aber gesund. 
Schreiben habe er nicht können, da seine Hand erst jetzt 
wieder gebrauchsfähig sei. 
Barbara erbebte bei dieser Nachricht. Karl aber sprach 
hr Trost ein. And die Mutter setzte ihre Worte so klüglich, 
)aß Barbara ruhig wurde und schier fröhlich ihre Tage ging. 
Im Herbst Siebzehn entwich Wilhelm den Russen, krieb 
sich fast ein Dierteljahr im fremden Lande herum und bam 
gegen den April zu deutschen Truppen. Er wurde in die 
Heimat beurlaubt . 
Langsam durchfuhr der Arlauberzug die deutschen Gaue. 
Wo er hielt, schaate Wilhelm Schieder aus dem Fenster, 
——— 
woher grüßen. So oft er aber auch die Blicke aussandte, 
ie Lamen zurück und sagten ihm: sie ist daheim. And so 
pannte er seine Sehnsucht wie eines Bogens Sehne. 
Als er an das Haus seiner Mutter pochte, da zerschrillte 
die Sehne, und der Bogen seines Glückes zerbrach. Er sah 
Karl und Barbara, wie sie sich büßten. 
Erst tat er, als hätte er nichts gesehen und nichts gehört. 
Sie aber wollten davon nichts wissen, sondern nahmen die 
erste Stunde und streiften alle Blüten, die ihm aufgeblüht 
waren und an deren Duft er sich gefreut hatte. ab und saaten 
hm die harte Wahrheit. Er saß mit müde gesenktem Haupt. 
Dann hob sich sein Auge und ging zu Barbara, ging zu 
dem Bruder und zu der Mutter. 
„Dann kann ich jo wieder gehl!“ 
Müde, todmüde sagte er das und stand auf.. 
Noch einmal sah er zu Barbara hinüber. Das ver— 
zjangene Glück und die Sehnsucht nach ihm und das Leid 
im sein Gestorbensein zauberte einen Glanz des Versunbenen 
n sein Auge. And das Versunkene stieg aus dem Grabe. 
Barbara riß sich aus Karls Armen, stürzte auf Wilhelm zu, 
imarmte ihn jauchzend und schrie: „Bleib! Willem! Bleib!“ 
„Ich gehn.“ 
Bruder stand noch einmal gegen Bruder. Es senkte 
einer den Blick. Dann ging Wilhelm. Für die Mutter 
aber hatte er nicht Gruß noch Wort. 
In der Nacht entrann Barbara. Sie traf Wilhelm und 
treifte mit ihm durch die Wälder. 
Der Frühling stand im Lande. Die Buchen hatten grüne 
leider an, die Maiblumen blühten, die Sweige der Birken 
chwangen wie Fahnen im Winde. 
Mit schweren, trunkenen Schritten gingen die zwei durch 
ie Pracht. Es war ein Taumel in ihnen von einem nahen 
Slück und von einem Ende. 
In einer Waldhütte rasteten sie. Da gab sich ihm 
Sarbara zu eigen. Er streifte ihr einen Ring an die Hand. 
Sie büßten sich und sprachen vom Leben und vom Sterben. 
Am meisten aber vom Sterben. And ihre Seelen wurden eins. 
Wilhelm Schieder -führte das Messer gut. Barbara 
üßte noch seine linke Hand und sah ihn lächelnd an. Dies 
Lächeln machte ihn zucken, und er litt dreifachen Tod. 
Karl, der Bruder, fand die beiden. Dies brachte ihm 
chlohweißes Haar. 
So endet die Geschichte der beiden Brüder im Waldo 
»at aber begonnen auf der Kirmeß im Jahre Dreizehn. 
Spätherbst 
Ein Kleinstadtidyll von 
Spitzt den Mund ... und lächelt trübe. — 
Veiter stapft der graue Alteée, 
Schwingt den Krüchstock wie ein Jüngling. 
Run? — Es stockt sein Fuß. 
Er starrt zum hellen Erberfenster, 
Vo ein Mädchenbopf verschwand, 
Dieses Fenster bennt er noch. — 
dat der dumme runde Vollmond 
Denn das ganze Nest behext? 
vächelnd geht er weiter, 
And er geht so frohbeschwingt, 
fast als ging's zu einem süßen 
junggeheimen Stelldichein. 
däßt den Marktplatz hinter sich, 
Seht vorüber seiner Klause. 
daum schielt er zum „Goldnen Stern 
Wo die Lichter freundlich laden, — 
hn zieht heut ein andrer Weg. 
Lritt durchs stille Obertor, 
Vo des Städtchens Liebesleute 
Seit Jahrhunderten sich trafen, 
Treu beschützt von alten Bäumen. 
Und der Alte steht im Staunen: 
hat er heut die jungen Augen? 
So warb lange nicht der Vollmond 
Um die braunen Giebeldächer. 
Lropfen nicht die weißen Sterne 
Silbern klingend durchs Geäst? 
hHelle Nacht ist wie ein Tönen 
Mundersamer ferner Geigen. 
An den Stamm der alten Linde 
dehnt der Greis. 
dauscht den feiervollen Klängen, 
die sein ganzes Herz bedrängen. 
chaut hinunter in die Gassen, 
Adolf Häger. 
zieht die sichren Bürger schreiten, 
frauen huschen heim vom Krämer, 
Mädchen schwatzen vor den Türen, 
dichter glimmen da und dort. 
.. Sieh, da löst sich aus dem Dunbe! 
Fine zierliche Gestalt. 
Hurtig sind die schlanken Füße, 
dustig wippt ein burzes Köckchen, 
Doch den Kopf hüllk die Kapuze. 
Ddor dem Tore steht sie still — 
zichert rasch, ein scheues Reh — 
Husch — ist sie im Mauerschaͤtten, 
Und der Alte starrt erschrocken. 
FTommt da nicht sein Jugendlieb, 
Seine bleine Ingelene? 
„Ingelene“, stöhnt er leise, 
Ingelene!“ — 
„Hul was hab ich mich erschrocken! 
Ach Gott, Sie sinds, Herr Professor! 
Und schon ist sie ihm vorüber. 
Hanz verstört steht noch der Greis. 
„Ingelene? — Herr Professor?“ 
Sieht das feine blonde Mädel 
Einem schlanken Grünbemützten 
Jauchzend in die Arme fliegen? 
Und er murmelt: „Herr Professor!“ 
Fröstelnd schließt er seinen Mantel: 
„Alter Freund, wir stehn im Spätherbst' 
Und er zappert still ins Städtchen, 
Schleicht gebückt die dunble Gasse. 
Hüstelt manchmal, 
Manchmal blopft jein Stecken 
Srell mit dürrem Laut aufs Pflaster. 
da — ein schwarzes Tor verschluckt ihn. 
Dumpf fällt eine Tür ins Schloß. 
Durch den frühen Spätherbstabend 
Kehrt ein Greis ins alte Städtchen. 
An dem Tore bleibt er stehn, 
Schaut zurück ins Land geruhsam: 
Silbern dämmernd schwinimt die Ebne, 
Liebe Heimatwälder blauen, 
Berge brennen rosenrot. 
Himmel schillert im Opalglanz. 
Fine rote Abendwolbe 
Zieht, ein schlanler Wundervogel, 
Siebenböpfig sonnenwärts. 
Drüben überm alten Friedhof 
Im Gewirre der Abazien 
Erste Sterne beusch erblühen. — 
Langsam wendet sich der Alte, 
Zeine grauen Augen leuchten 
So, als trüge er fiefinnen 
Dieses Abends Widerschein. 
Und so tritt er in sein Städtchen. 
.. Irgendwo muß schon der Mond stehn! 
Alle Giebel da zur Linben 
Sind in weiches Licht getaucht, 
In den Straßen liegt die Nacht. 
Ei, da sieh nur, wiebiel Jugend 
Siegt nicht so ein altes Nest! 
SBlonde Mädchen, bunte Mützen 
Schwirren hin und her die Steige. 
Und ein Kichern und ein Lachen 
Tönt aus jedem dunbeln Winbel. 
Wunderlich wird's da dem Alten, 
So, als wär er wieder jung. 
Schritt da selbst mit bunter Mütze 
So wie einst vor fünfzig Jahren. 
Möchte unterm Fenster pfeifen, 
WVo die Freunde einst gehaust,
	        
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