Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Wie die Begehrlichkeit wandern gegangen war. 
Ein zeitgemäßes Märchen von Joh. H. Schwalm. 
Die Begehrlichbeit, der Habsucht und des Geizes jüngste 
Tochter, war wandern gegangen. Drei Teufelchen hatte sie 
sich zur Gesellschaft mitgenommen: Die „pPfiffigkeit“, die 
Hewissenlosigkeit und die Herzlosigkeit. 
Gute Seiten herrschten für die vier im Lande. Der Krieg 
tobte dort an allen Ecken und Enden. 
Als sie so fürbaß gingen, begegnete ihnen zuerst die 
Armut. Blaß und blutleer sahen ihre Wangen aus, zerrissen 
hing ihr das zerwaschene Kleid vom Leibe. 
St,“ flüsterte die Begehrlichbeit, „an der will ich ein- 
nal meine Kunst versuchen.“ 
Sogleich begannen die Gedanken in Frau Armut ihr 
verbendes Spiel: „Ein halbes Pfündchen Brot auf den Tag, 
s ist doch gar zu wenig. Ja, ja, wer noch Kartoffeln hat und 
ein Schweinchen schlachten kann und — Geld hat — ja der ...“ 
Die Armut war stehen geblieben, ihre Wangen hatten 
ich gerötet, an ihrer Nase zog's vorüber wie der verlockende 
Duft von allerlei Genüssen. 
Sie seufzte. 
Aber dann schritt sie tapfer weiter: „Es muß sein. Es 
ist Kriegl — — Wenn nur mein Hans, mein Sohn, mein 
einziger, wiederbehrt... Ich drücke mich schon durch. Gott, 
erhalt' ihn mir — dann gönne ich gerne allen — alles.“ 
So kehrte die Begehrlichbeit zu den drei Teufelchen 
zurück, ohne ihr Siel erreicht zu haben. und brauchte für 
Spott nicht zu sorgen. 
Nicht lange darauf begegneten sie dem Frohsinn. Auch 
hdei ihm versuchte die Begehrlichkeit ihr Glück: „Hast du nicht 
Lust,“ wisperte sie, „das und das kannst du jetzt ergattern, 
jetzt in der Kriegszeit, Kriegsgewinne bannst du machen.“ 
„Schaffe mir den Krieg aus dem Lande und die trüben 
Hedanken aus dem Herzen,“ antwortete der Frohsinn und 
ieß den Kopf hängen, „daß ich mich wieder ohne Gewissens- 
zisse, ohne Keue freuen kann. Jetzt — Geld — nein, nein, 
geh 9J 9 
Hui, war die Begehrlichbeit auch aus diesem Herzen hinaus. 
And gerade im richtigen Augenblick. Denn eben kam 
des Frohsinns sorgenvergrämte Schwester, der Trübsinn, 
langsam dahergegangen. 
„Dir geht's traurig. Jetzt ist die rechte Seit, deiner Trübsal, 
deinem Anglück ein Ende zu machen, dein Los zu wenden. 
Das Geld liegt heuer auf der Straße. Heb's auf ...“ 
„Geld?“ echote der Trübsinn, „Geld — was nützt mich 
Held — wenn meine Augen von Treänen überfließen! Siehst 
zu sie nicht, alle die Unglücklichen, Tag für Tag? O, o, der 
Jammer!“ Weinend verhüllte Frau Trübsinn ihr Angesicht ... 
Weg war da die Begehrlichkeit. 
Aber sie ließ nicht ab. Ihr verschlug's wenig oder nichts, 
daß sie von der Ehrlichkeit zum Hause hinausgewiesen, 
daß sie von der Daterlandsliebe mit der Peitsche bedroht, 
daß sie von der Frömmigkeit in Acht und Bann erbklärt 
purde. Weiter zog sie, die Begehelichbeit, weiter durchs Land. 
Aus al 
Aus der Schmugglerzeit in Hessen⸗ 
VDon Ed. Lange, Röhrenfurth. 
Als unser Hessenland dem preußischen Sollverein noch nicht 
ingeschlossen war, da waren manche Lebensmittel, die in unsrem 
Lande nicht erzeugt und gewonnen wurden, recht teuer. So bostete 
. B. ein Pfund Salz im „Hannöverschen“ 3 Heller, während bei 
Zuletzt besuchte die Begehrlichbeit die Selbstsucht. Und 
da war sie endlich vor die richtige Schmiede gekommen. Bei 
der Selbstsucht behrten dann auch ihre drei Gesellen froh— 
ockend ein: die Herzlosigkeit, die Gewissenlosigkeit, die 
„Pfiffigkeit“. 
AUnd nun rechneten sie mit der Selbstsucht und mit seiner 
jrau, der Hartherzigbeit, des langen und breiten aus, „wenn 
»as und das so und so viel Pfennige, so und so viel Marb 
eurer wird, dann — ja dann bist du, Selbstsucht, fein raus. 
Dazu brauchst du bein bißchen Regsambeit, bein bißchen 
Topf, nein, nein, nur die Ellenbogen und deinen Großknecht, 
ie Küchsichtslosigkeit.“ 
Wie da die Selbstsucht schmunzeltel Ja, ja, das war 
jerade ihr Fall. Das war ihre goldne Seit. 
Als aber so die gottvergessene Gesellschaft im besten 
Zechnen war, ging die Tür auf. Die Klugheit machte der 
Selbstsucht einen Besuch. 
Gleich war die Selbstjucht dabei, der Klugheit vorzurechnen: 
„Wenn — ja, dann ...* 
„Hm, hm,“ knurrte die Klugheit, „was dann? Was dann, 
venn die Engländer über deinen so erworbenen großen Geld— 
ack herfallen und die Franzosen über deine Weibsleute und 
ie Russen sengen und brennen dir Haus und Hof und 
fabriken und Geschäftshäuser nieder, und deine Acker und 
Viesen und Bauplätze und Parkanlagen verwandeln sie in 
euerspeiende Schũtzengräben? Selbstsucht, rechne mal, ob's 
angt, mit deinen 80 Pfennigen mehr oder weniger fürs 
DRfund, hal“ 
„Hm, hm,“ knurrte nun auch die Selbstjucht. „Dor der 
hand hab ich's aber — in der Hand — das liebe Geld.“ 
„Sooo? And zerrst damit die Not, den Tod herbei, mit 
inem Wort, du trägst emsig dazu bei, daß wir ausgehungert 
verden, daß wir den Krieg verlieren. Du warst zwar von 
eher „gescheiter“ als ich, dafür heißt du ja auch mit dem 
dornamen Benutzdienot, aber diesmal bist du mit allen deinen 
derzensverwandten, der herzlosen Dummheit, der Gewinnsucht, 
em Krämersinn, auf dem holzigsten Holzwege. Komm dicht 
eran, ich will dir was laut ins Ohr sagen, du darfst es auch 
ach Möglichbeit ausposaunen: „Wenn wir alle, so lange der 
Zrieg dauert, schlicht gegen schlicht beinen roten Heller über 
Hebühr verdienen — dann, ja dann machen wir das beste 
Seschäft ...“ 
Ich weiß nicht, ob die Selbstsucht das goldene Wort zu 
derzen genommen hat. 
Die Begehrlichbeit aber und ihre drei Gesellen, husch, 
varen sie fort. Wo die von da wohl hingewandert sein mögen? 
Man munkelt so mancherlei. Neuerdings soll sich die Begehr- 
ichkeit jogar ein Auto zugelegt und — ganze Stände ver— 
estet haben. 
Wo ist der David, der die Begehrlichkeit mit seiner 
Sʒchleuder niederstreckt, der Hindenburg, sie in den Seen der 
daterlandsliebe, des Kechts und der BSilligkeit zu ersäufen! 
ter Seit. 
ins für ein Pfund 10 Heller bezahlt werden mußten. Desgleichen 
varen die Preise für Kaffee, Tee, Kum, Schnaps bedeutend höher 
ils in Hannoper. Um die Waren billiger zu bekommen, versuchten 
vagehalsige Leute sie bei Nacht und Nebel auf geheimen Pfaden 
iber die Grenze' zu schaffen. Einer dieser bekanntesten Schmuggler- 
fade ist der noch heuie bebannte Sälzerweg. Er führt von Hann. 
Münden über Sooden, Melsungen, Homberg, Knüll, Vogelsberg
	        
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