Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

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VDom Pulsschlag der Heimat. 
Aus dem Leben eines hessischen 
Töpfers. 
VDon Otto Stückrath, Biebrich. 
Der Kunsttöpfermeister August Gimpel in Homberg stammt 
aus einer alten Töpferfamilie. Schon sein Dater und sein Groß— 
oater sind in Homberg Töpfer gewesen. Ihre Werkbstätte war in 
der Freiheit, Schulstraße 12/18, wo links und rechts von der Tür 
noch zwei Tonplatten mit der Jahreszahl 1819 und der Haus- 
nummer 320 zu sehen sind. Das Töpferhandwerk blühte im Anfang 
des 19. Jahrhunderts und früher und stand im siebzehnten im Flor. 
Noch in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gab es in 
Homberg mindestens 6, in Frielendorf 6 und in Michelsberg 526 
Töpfer, die samt und sonders ihr Auslbommen fanden. Der 
Siebziger Krieg verschloß ein außerordentlich dankbares Absatz- 
gebiet im Westen, das besiegte Frankreich, fast vollkommen, auch 
die Lieferungen nach Belgien wurden geringer, und das billige 
Emaillegeschirr, das allenthalben sich Eingang verschaffte, war der 
Töpferei nicht gerade günstig. Dazu kam, daß der schandbare 
Grundsaßtß „billig und schlecht— sich auch hier und da im Töpfer— 
gewerbe breit machte, daß von diesem und jenem jkrupellosen 
Geschäftemacher eine Ware geliefert wurde, die das qute alte 
Handwoer! in Verruf brachte. Wenn man heute 
so ein Schmachstück in die Hand bekommt, so 
hegreift man den starben Rückgang der hessischen 
Töpferei in der zweiten Hälfte des vorigen 
Jahrhunderts volllommen. 
Es war Lbein leichtes, gerade in den 
Siebziger Jahren eine Töpferei zu begründen 
uind von ihrem Ertrage zu leben. Trotzdem 
ging der junge Meister, dem die lockenden Rufe 
zweier älterer Brüder, die in dem Paradies 
der Erde, in Chile, eine neue Heimat und ihr 
Glück gefunden hatten, wohl auch in den Ohren 
Aangen, mit frohem Muteée an sein Werb. 
Da wurde auf dem ererbten Tonacker mit 
Séedachtsambeit Ton gehackt, auf großer Fuhre 
heimgeführt und im Keller verstaut. Er Lonnte 
den Ton nicht, wie er das auf seiner Wander— 
schaft in großen Werken gesjehen hatte, jchlämmen, 
sondern mußte die alterprobte, väterliche Weise 
der Surichtung anwenden. Wasser wurde auf 
die grauweiße Erde gegossen, und sie sog es 
ein wie ein Schwamm, wurde weich und ließ 
es zu, daß er aus ihr gewaltige Ballen 
machen bonnte. Nun ging es mit dem Ton— 
messer daran. Einmal, zweimal wurde der 
Klumpen braftvoll zerschnitten, das Klotzige, 
Unausgeglichene der Masse schwand mehr 
und mehr, sie wurde reif für die Tonmühle. 
Swei horizontal liegende Stahlwalzen, die sich 
gegeneĩnander drehten, ließen die nochmals gut angefeuchtete Masse 
langsam durchgleiten; von groben Anregelmäßigkeiten bonnte 
schon jetzt Leine Rede mehr sein. Aber noch war die Masse nicht 
so, daß sie verarbeitet werden Lonnte. Die schwerste und sorg- 
fältigste Arbeit leistete der Meister auf der Werkbank. Nun 
griffen die Hände zu; energischer wie ein Kuchenbäcker und sorgsamer 
als ein Konditor kneteten sie die bleijchwer gewordene zähe Masse 
durch; da jchwanden auch noch die letzten Spuren von Verunreinigungen. 
Jetzt war es Seit, die bleineren Werkballen zu formen. Sie 
wurden nicht abgewogen, sondern aus freier Hand gebildet und 
war bein Gramm zu viel und kein Gramm zu wenig, immer reichten 
sie gerade für das Werbstück aus, für das sie VBerwendung finden sollten. 
Dann saß der Meister geruhsam hinter der Töpferscheibe, die 
nicht so burios aussah wie die Kugel, die die schleswigschen Weiber 
droben an der dänischen Grenze oben an der Decke hängen hatten, 
gegen die sie den Ton blatschten und dann an der rottierenden 
Kundung seltjam rohe Gefäße mit drei Füßen, „jchwarze Pötte“ 
genannt, formten, die nachher in einem ganz primitiven Verfahren 
gar gebrannt wurden, nein, es war eine Schuppscheibe, wie sie seit 
Menschengedenkben in hessischen Landen gebräuchlich war. (Siehe 
Abbildung 1.) Nun jsetzte er den Werbballen in die Mitte, ließ durch 
die Füße als billigsten Motoren die Scheibe rotieren und formte 
aus freier Hand, nur unter Suhilfenahme mannigfaltig geformter 
bupferner Schienen bald einen Teller, bald eine Schüssel, bald eine 
schöne Vase. Mit einem Draht schnitt er das festgekllebte Gefäß 
von der Scheibe ab und stellte es auf ein Brett zum Trocknen. 
Als er eben an seinem ersten Brande drehte, flog ihm von 
homberger Gönnern und Gönnerinnen ein poetischer Gruß auf den 
Tisch, der ihn und seine Kunst mit Hurrah begrüßte. Ihre Gunst 
hatte er sich durch eine heitere Gejelligkeit nach getaner Tages- 
arbeit rasch erworben, und mit Behagen las er die Worte: 
„Weil wir haben jetzt vernommen, 
Daß mit der Arbeit wird begonnen, 
So wũnschen wir viel Glück dazu, 
Denn alle Weiber kriegen Ruh. 
Du drehst ihnen ja die schönen Töpfchen 
Und auch glasierst du schöne Näpfchen, 
Auch Tellerlein groß und klein, 
Es muß schon was gedrollert sein 
Mußt sie mit schönen Sprüchlein zieren 
Und ja nur nicht den Mut verlieren ..“ 
Ja, es mußte schon was gedrollert sein, da hatten die Freunde 
ind Freundinnen volllommen recht. Aber mit dem Drollern allein 
st man noch bein Töpfer. Su einem Töpfer gehört noch allerhand 
nehr, und der August Gimpel hat nach der Lehrzeit nicht umsonst 
oier Jahre in Marburg geschafft und sich insgesamt 12 Jahre in 
der Fremde umgesehen. Da hat er sich überall das abgeguckht, 
was ihm noch fehlte, das Malen, Glasieren, Brennen und was 
dazu gehört. Er sah immer aus wie einer 
bon siebzehn Jahren, und die alten Krauter 
iahmen ihn erst ernst, wenn sie gesehen hatten, 
pas er leisten Lonnte. Man schätzte ihn in Cassel, 
Bremen, Hamburg, Naumburg, Wilhelmsburg 
ind nicht zuletzt in Marburg als einen außer- 
ordentlich tüchtigen Dreher, der außerdem 
die Ofenarbeit aus dem ff verstand. Dabei 
var er nicht auf den Mund gefallen und 
zab einem, der ihm die sprichwörtliche Hessen- 
olindheit als einen Mabel an den Kopf geworfen 
und gesagt hatte, die Hessen sähen erst nach 
Neune, die derbe Antwort: „Ja, aber dann 
ehen sie auch so Leute wie Sie für Flegel 
anl“ Sonst brauchte sich kein Mensch über 
ihn zu beblagen, und seine Meister hielten ihm 
hre Freundschaft bis ins späte Alter. 
Er hatte efwas gelernt, der Meister, und 
'o machte ihm denn der Brand nicht allzuviel 
Sorge. Er wartete fein, bis die Ware leder⸗ 
hart war, färbte sie und ließ sie nun abermals 
rocknen. An die Henbelgeschirre fügte er 
vorher die mit etwas stärkerem Sandzusatz 
zum Tone verfertigten Henkel und gab dann 
erst, nachdem das ganze Werbstück gleichmäßig 
getrocknet war, dem Ding seine Farbe. Darauf 
wurden sie mit mancherlei Verzierungen und 
Sprüchen geschmückt und dann mit Glasur 
überzogen. 
Die Sprüche waren teils ererbtes Gut, durch die Jahrhunderte 
eheiligt, teils jolche, die er auf seiner Wanderschaft aufgelesen 
ind nicht nur im Gedächtnis, jondern auch in einem sauber 
jeschriebenen Büchlein aufbewahrt hatte, teils solche, die seinem 
igenen, spintisierenden Kopfe entsprangen wie weiland Pallas 
Athene dem Kopfe des Seus. Da hieß es auf einem Stück: Mit 
Hott und mit der Seit tu ich meine Arbeit, auf einem anderen: 
Dein Haus sei immer hell und rein, noch heller soll deine Seele 
ein, oder: Gönne dir was Gutes, auch wenn du in Not bist, was 
»ast du vom Leben, wenn du erst tot bist, oder: Ein Mädchen und 
in Gläschen Wein Lburieren alle Not, und wer nicht trinkt und 
ver nicht büßt, der ist so gut wie kot, oder andere Sprüche: Nimm 
ich in acht, die Liebe Lommt ũüber Nacht — Weibertränen und 
crippelbier, da bin ich ganz und gar nicht für — Alle Morgen 
Zranntewein, macht die großen Taler blein — Im Küchenofen da 
it Ruß, in meinem Herzen da bist du's — Gäben alle Küsse 
lecken, wären alle Mädchen Schecken — Lieben und nicht haben 
t härter als Steine graben — Lieben und nicht Lust dabei, 
hmeckt wie lauter Wasserbrei — Ein Mann ohne Geld ist halb— 
ot in der Welt — Wie du gibst ins Krippchen, so geb ich dir ins 
dippchen — Das ist mein Gebrauch, wer mich liebt, den lieb ich 
uuch — Glaube ohne Tat ist ein Feld ohne Saat — Recht haben 
iuf unrechte Art ist Unrecht — Wer will verachten mich und die 
Meinen, der betrachte sich und die Seinen; wer sich und die Seinen 
vird recht betrachten, der wird mich und die Meinen wohl auch 
nicht verachten — Es wünsch mir einer, was er will, dem gebe 
Abbildung 1
	        
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