bæ
VDom Pulsschlag der Heimat.
Aus dem Leben eines hessischen
Töpfers.
VDon Otto Stückrath, Biebrich.
Der Kunsttöpfermeister August Gimpel in Homberg stammt
aus einer alten Töpferfamilie. Schon sein Dater und sein Groß—
oater sind in Homberg Töpfer gewesen. Ihre Werkbstätte war in
der Freiheit, Schulstraße 12/18, wo links und rechts von der Tür
noch zwei Tonplatten mit der Jahreszahl 1819 und der Haus-
nummer 320 zu sehen sind. Das Töpferhandwerk blühte im Anfang
des 19. Jahrhunderts und früher und stand im siebzehnten im Flor.
Noch in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gab es in
Homberg mindestens 6, in Frielendorf 6 und in Michelsberg 526
Töpfer, die samt und sonders ihr Auslbommen fanden. Der
Siebziger Krieg verschloß ein außerordentlich dankbares Absatz-
gebiet im Westen, das besiegte Frankreich, fast vollkommen, auch
die Lieferungen nach Belgien wurden geringer, und das billige
Emaillegeschirr, das allenthalben sich Eingang verschaffte, war der
Töpferei nicht gerade günstig. Dazu kam, daß der schandbare
Grundsaßtß „billig und schlecht— sich auch hier und da im Töpfer—
gewerbe breit machte, daß von diesem und jenem jkrupellosen
Geschäftemacher eine Ware geliefert wurde, die das qute alte
Handwoer! in Verruf brachte. Wenn man heute
so ein Schmachstück in die Hand bekommt, so
hegreift man den starben Rückgang der hessischen
Töpferei in der zweiten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts volllommen.
Es war Lbein leichtes, gerade in den
Siebziger Jahren eine Töpferei zu begründen
uind von ihrem Ertrage zu leben. Trotzdem
ging der junge Meister, dem die lockenden Rufe
zweier älterer Brüder, die in dem Paradies
der Erde, in Chile, eine neue Heimat und ihr
Glück gefunden hatten, wohl auch in den Ohren
Aangen, mit frohem Muteée an sein Werb.
Da wurde auf dem ererbten Tonacker mit
Séedachtsambeit Ton gehackt, auf großer Fuhre
heimgeführt und im Keller verstaut. Er Lonnte
den Ton nicht, wie er das auf seiner Wander—
schaft in großen Werken gesjehen hatte, jchlämmen,
sondern mußte die alterprobte, väterliche Weise
der Surichtung anwenden. Wasser wurde auf
die grauweiße Erde gegossen, und sie sog es
ein wie ein Schwamm, wurde weich und ließ
es zu, daß er aus ihr gewaltige Ballen
machen bonnte. Nun ging es mit dem Ton—
messer daran. Einmal, zweimal wurde der
Klumpen braftvoll zerschnitten, das Klotzige,
Unausgeglichene der Masse schwand mehr
und mehr, sie wurde reif für die Tonmühle.
Swei horizontal liegende Stahlwalzen, die sich
gegeneĩnander drehten, ließen die nochmals gut angefeuchtete Masse
langsam durchgleiten; von groben Anregelmäßigkeiten bonnte
schon jetzt Leine Rede mehr sein. Aber noch war die Masse nicht
so, daß sie verarbeitet werden Lonnte. Die schwerste und sorg-
fältigste Arbeit leistete der Meister auf der Werkbank. Nun
griffen die Hände zu; energischer wie ein Kuchenbäcker und sorgsamer
als ein Konditor kneteten sie die bleijchwer gewordene zähe Masse
durch; da jchwanden auch noch die letzten Spuren von Verunreinigungen.
Jetzt war es Seit, die bleineren Werkballen zu formen. Sie
wurden nicht abgewogen, sondern aus freier Hand gebildet und
war bein Gramm zu viel und kein Gramm zu wenig, immer reichten
sie gerade für das Werbstück aus, für das sie VBerwendung finden sollten.
Dann saß der Meister geruhsam hinter der Töpferscheibe, die
nicht so burios aussah wie die Kugel, die die schleswigschen Weiber
droben an der dänischen Grenze oben an der Decke hängen hatten,
gegen die sie den Ton blatschten und dann an der rottierenden
Kundung seltjam rohe Gefäße mit drei Füßen, „jchwarze Pötte“
genannt, formten, die nachher in einem ganz primitiven Verfahren
gar gebrannt wurden, nein, es war eine Schuppscheibe, wie sie seit
Menschengedenkben in hessischen Landen gebräuchlich war. (Siehe
Abbildung 1.) Nun jsetzte er den Werbballen in die Mitte, ließ durch
die Füße als billigsten Motoren die Scheibe rotieren und formte
aus freier Hand, nur unter Suhilfenahme mannigfaltig geformter
bupferner Schienen bald einen Teller, bald eine Schüssel, bald eine
schöne Vase. Mit einem Draht schnitt er das festgekllebte Gefäß
von der Scheibe ab und stellte es auf ein Brett zum Trocknen.
Als er eben an seinem ersten Brande drehte, flog ihm von
homberger Gönnern und Gönnerinnen ein poetischer Gruß auf den
Tisch, der ihn und seine Kunst mit Hurrah begrüßte. Ihre Gunst
hatte er sich durch eine heitere Gejelligkeit nach getaner Tages-
arbeit rasch erworben, und mit Behagen las er die Worte:
„Weil wir haben jetzt vernommen,
Daß mit der Arbeit wird begonnen,
So wũnschen wir viel Glück dazu,
Denn alle Weiber kriegen Ruh.
Du drehst ihnen ja die schönen Töpfchen
Und auch glasierst du schöne Näpfchen,
Auch Tellerlein groß und klein,
Es muß schon was gedrollert sein
Mußt sie mit schönen Sprüchlein zieren
Und ja nur nicht den Mut verlieren ..“
Ja, es mußte schon was gedrollert sein, da hatten die Freunde
ind Freundinnen volllommen recht. Aber mit dem Drollern allein
st man noch bein Töpfer. Su einem Töpfer gehört noch allerhand
nehr, und der August Gimpel hat nach der Lehrzeit nicht umsonst
oier Jahre in Marburg geschafft und sich insgesamt 12 Jahre in
der Fremde umgesehen. Da hat er sich überall das abgeguckht,
was ihm noch fehlte, das Malen, Glasieren, Brennen und was
dazu gehört. Er sah immer aus wie einer
bon siebzehn Jahren, und die alten Krauter
iahmen ihn erst ernst, wenn sie gesehen hatten,
pas er leisten Lonnte. Man schätzte ihn in Cassel,
Bremen, Hamburg, Naumburg, Wilhelmsburg
ind nicht zuletzt in Marburg als einen außer-
ordentlich tüchtigen Dreher, der außerdem
die Ofenarbeit aus dem ff verstand. Dabei
var er nicht auf den Mund gefallen und
zab einem, der ihm die sprichwörtliche Hessen-
olindheit als einen Mabel an den Kopf geworfen
und gesagt hatte, die Hessen sähen erst nach
Neune, die derbe Antwort: „Ja, aber dann
ehen sie auch so Leute wie Sie für Flegel
anl“ Sonst brauchte sich kein Mensch über
ihn zu beblagen, und seine Meister hielten ihm
hre Freundschaft bis ins späte Alter.
Er hatte efwas gelernt, der Meister, und
'o machte ihm denn der Brand nicht allzuviel
Sorge. Er wartete fein, bis die Ware leder⸗
hart war, färbte sie und ließ sie nun abermals
rocknen. An die Henbelgeschirre fügte er
vorher die mit etwas stärkerem Sandzusatz
zum Tone verfertigten Henkel und gab dann
erst, nachdem das ganze Werbstück gleichmäßig
getrocknet war, dem Ding seine Farbe. Darauf
wurden sie mit mancherlei Verzierungen und
Sprüchen geschmückt und dann mit Glasur
überzogen.
Die Sprüche waren teils ererbtes Gut, durch die Jahrhunderte
eheiligt, teils jolche, die er auf seiner Wanderschaft aufgelesen
ind nicht nur im Gedächtnis, jondern auch in einem sauber
jeschriebenen Büchlein aufbewahrt hatte, teils solche, die seinem
igenen, spintisierenden Kopfe entsprangen wie weiland Pallas
Athene dem Kopfe des Seus. Da hieß es auf einem Stück: Mit
Hott und mit der Seit tu ich meine Arbeit, auf einem anderen:
Dein Haus sei immer hell und rein, noch heller soll deine Seele
ein, oder: Gönne dir was Gutes, auch wenn du in Not bist, was
»ast du vom Leben, wenn du erst tot bist, oder: Ein Mädchen und
in Gläschen Wein Lburieren alle Not, und wer nicht trinkt und
ver nicht büßt, der ist so gut wie kot, oder andere Sprüche: Nimm
ich in acht, die Liebe Lommt ũüber Nacht — Weibertränen und
crippelbier, da bin ich ganz und gar nicht für — Alle Morgen
Zranntewein, macht die großen Taler blein — Im Küchenofen da
it Ruß, in meinem Herzen da bist du's — Gäben alle Küsse
lecken, wären alle Mädchen Schecken — Lieben und nicht haben
t härter als Steine graben — Lieben und nicht Lust dabei,
hmeckt wie lauter Wasserbrei — Ein Mann ohne Geld ist halb—
ot in der Welt — Wie du gibst ins Krippchen, so geb ich dir ins
dippchen — Das ist mein Gebrauch, wer mich liebt, den lieb ich
uuch — Glaube ohne Tat ist ein Feld ohne Saat — Recht haben
iuf unrechte Art ist Unrecht — Wer will verachten mich und die
Meinen, der betrachte sich und die Seinen; wer sich und die Seinen
vird recht betrachten, der wird mich und die Meinen wohl auch
nicht verachten — Es wünsch mir einer, was er will, dem gebe
Abbildung 1