Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

aber war nicht allein; wenige Schritte hinter ihm tapste der 
Kiese, die langen Arme ausbreitend, als wolle er den 
Bauern greifen; der fühlte das Nahen des Anholdes, blieb 
stehen, reckte sich hoch auf und drohte dem Anhold mit 
geballter Faust. Der Riese duchte sich scheu und versank 
mit Gelächter in den Boden. 
„Er wird wiederbommen,“ sagte MAugustinus traurig, 
vielleicht wird der Heidemann heute abend an des Bauern 
Tür klopfen. Aber der Bauer wird nicht unterliegen; des 
din ich gewißl Je rauher sein Kampf, um so fröhlicher 
sein Lied!“ Und Augustinus schritt seines Weges woiter. 
Der Derdammte. 
Augustinus bam in eine große Stadt. Dort stand ein Haus, 
dejsen Fenster mit eisernen Gittern geschützt waren. „Ein Ge— 
zängnis,“ riet Augustinus, „das muß ich sehen!“ Er bkletterte 
die hohen, bahlen Mauern empor und schlüpfte durch eines 
der Gitter. Er geriet in ein graues Gemach, in dem außer 
einer Holzbank nur noch ein Tisch stand. Auf der Bank 
iaß ein Mann, der stumm vor sich hinstarete. „Ei, guten 
Morgen!“ rief der Engel, „verzeih, aber ich möchte gerne 
einmal in Dein Herz hineinschauen; ich habe nämlich den 
göttlichen Auftrag — — —“ „Häh,“ unterbrach ihn der 
Sträfling mit roher Stimme, „mach bein Geschmuß; ich habe 
rein Herz; ich habe nur Rebel und Felsen in mir; wenn 
Dir das gefällt, so magst Du es Dir anschaunl“ — Der 
Engel nahm diese Einladung an und ließ sich von der Seele 
des armen Menschen aufnehmen. Fürwahr, was er hier 
vorfand, war erschütternd. Der Sträfling zeigte beine Scheu, 
Augustinus mit verzweifelter Offenheit auf alles erblärend 
hinzuweijen. Anfangs durchwanderten sie ein weites Land, 
das von dichtem, grauem Nebel erfüllt war. „Das Milieu, 
aus dem ich geboren bin,“ sprach der Mann, „jedoch es 
kommt noch besser.“ Der Weg stieg an, die Nebel teilten 
sich, und bald befanden die Wanderer sich in einem Gebirge, 
das aus riesenhaften, kahlen Felskolossen aufgetürmt war. 
Sie schritten an dunklen Schluchten vorüber, auf schmalen, 
gefahrdrohenden Stegen. „Dies hier,“ sprach der Mann, 
„ist meines Lebens Arbeit, mein Streben. Du bemerkbst 
hier nur kahlen Stein, beine Blume, bein Tier, denn die 
Nebel aus der Niederung sind giftig, sie steigen mitunter 
empor bis zu den höchsten Gipfeln und lassen bein Leben 
aufkommen!“ 
Sie schritten weiter. Aus einer Felsspalte riejelte leises 
WVeinen. „Was ist das?“ fragte der Engel. „Nun, das 
ist mein Gewissen!“ schrie der Mann, „mitunter dringt es 
heraus aus den Spalten, aus den Schluchten, mich zu 
hetzen, zu jagen und zu plagenl“ — „Willst Du ihm nicht 
lauschen?“ fragte der Engel. „Es wird's nicht so böse mit 
Dir meinen; es jammert nur, daß es hier so kalt und 
kahl ist. Lauschel“ — Da trat ein Kind aus dem Dunbkel 
und hob flehend die Arme. Der Mann bückte sich, griff 
einen Stein auf und schleuderte ihn mit Wut gegen die Er— 
scheinung. Der Stein ging fehl, prallte an einer Felswand 
ab und rollte polternd irgendwo in die Tiefe. „Warum tust 
Du das!“ rief Augustinus entrüstet, „geh, laß mich mit dem 
Kinde redenl“ „Ich bin das Gewissen,“ sprach das Kind 
„ich will leben, und ich Lann leben. Das Gebirge ist nicht 
bahl, wie der Mann glaubt; ich benne eine grüne Alm hier 
auf den Bergen.“ 
„Hörst Du,“ sprach Augustinus, „Lomm, laß das Kind 
uns führen.“ 
Widerwillig mußte sich der Mann diesem Vorschlage 
fügen. Nach mühseligen Anstrengungen gelangten sie auf 
zin freies Feld, auf dem sich eine spärliche Grasnarbe zeigte. 
.Es wird noch wie ein Teppich,“ rief das Kind mutig, 
ind wie sie fortjchrifken, wurde die Pflanzenwelt reich und 
ippig, Blumen und Sträucher wuchsen in abwechslungs- 
»ollem Reichtum. „Hier sind wir am Siel!“ rief das Kind 
ind zeigte auf eine Gruppe von Bäumen, an denen goldene 
Apfel hingen; ein kleiner Quell murmelte keusch und fröhlich 
urch grüne Wiesen; in der Ferne ragten die Gipfel der 
Berge in blauen Himmel. „Betkrachtet nur diese Aussicht!“ 
ubelte das Kind, nun ganz ausgelassen. Man stand auf einer 
emoosten, vorjpringenden Felsbuppe und blickte hinunter in 
in weites Land. 
„Da sind die Nebel!“ schrie der Mann, „hütet Euch, sie 
verden heraufkommen!“ 
In der Tat ballten sich in der Tiefe dunkle Nebelschwaden 
ujammen, wallten auf und nieder, mitunter ganze Gebirgs- 
ruppen umfangend, mitunter wieder hinabwebend. Fern am 
horizont aber waren die Nebel von der Abendsonne golden 
imrandet. 
„Hier bin ich allerdings noch nicht gewesen; wer hätte das 
ür möglich gehalten!“ rief der Mann aus, „jedoch die Nebel, 
zie Nebel! Ich kann mich nicht vor ihnen schützen. Sie sind 
infach das Gesetz, dem ich unterworfen bin!“ 
„Ich, dein Gewissen, bin dein Gesetz,“ war des Kindes 
chlagfertige Antwort, und nun entspann sich ein weitjchweifiges, 
eidenschaftlich geführtes Swiegespräch zwischen dem Mann 
ind dem Kinde. 
Augustinus stand stumm dabei und dachte bei sich: „So 
nag es recht sein, er hat seinen Garten gefunden.“ 
Die Mutter. 
Wieder einmal bam Augustinus vor ein Haus. Durch 
ie geöffneten Fenster sah er in der Stube eine Mutter ihr 
Zind wiegen. Die junge Frau sang ein Lied und wiegte 
ie Wiege mit der Spitze ihres Fußes, während ihre Hände 
ege mit einer Handarbeit beschäftigt waren. Es war gegen 
Abend, und man konnte es der jungen Frau ansehen, daß 
je erschöpft und müde war. Während ihr Lied sich mit dem 
zwitschern der Nachtschwalben draußen im Garten mischte, 
pährend die Dämmerung langsam heraufzog und auch das 
leine Gemach verdunbelte, ließ die Frau ihre Hände im 
„choße ruhen, neigte den Kopf zur Seite und schlummerte ein. 
Da geschah ein Mirakbel: Das Herz der jungen Mutter 
zffnete sich und heraus traten drei Wünsche; der erste Wunsch 
rug einen Kranz aus grünem Laub, er sprach: „Mögest du 
roh und glücklich werden, mein Kind!“ und stellte sich an 
ie Wiege, dem Kind zu Häupten; der zweite Wunsch trug 
inen Keif von Gold um die Stien, er sprach: „Mögest du 
eich und schön werden mein Kind!“ und stellte sich an die 
Viege, dem Kind zu Füßen; der dritte Wunsch aber war 
hne jeden Schmuck, er blieb stumm und stellte sich ein wenig 
erzagt neben die Mutter. „Nun,“ rief Augustinus, „hast 
u nicht auch etwas zu sagen?“ 
„Ach,“ sprach der Wunsch leise, „ich wünsche, das Kind 
nöge seiner Mutter stets treu und dankbar sein. Allzulaut 
zarf ich das nicht aussprechen, sonst drängen mich die andern 
zurück und schelten mich Eigennutz!“ 
Während dessen hatte das Herz der Mutter begonnen 
zu leuchten, anfangs wie ein Lämpchen, doch nun erstrahlte 
das Mutterherz weit schöner als der Diamant Kohinur und 
umfing die Wiege mit tausend diamantenen Strahlen. 
Der Engel Augustinus war entzückt von diesem Erlebnis; 
das war so recht nach seinem Geschmack. Nicht länger konnte 
er nun seine Ungeduld zähmen, flog empor zum Himmel
	        
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